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Sie sind schon da. Schilder weisen im Hannover Congress Centrum den Delegierten den Weg.
© Julian Stratenschulte/dpa
Update

AfD-Parteitag in Hannover: Wer übernimmt das Ruder bei der AfD?

Auf dem Bundesparteitag wird die AfD-Parteispitze neu besetzt. Es gibt mehr Bewerber als Posten – und viel Anlass zum Streit: Die Rechtsnationalen drängen an die Spitze.

Es ist ein Grundsatz, an dem die AfD durch all ihre Machtkämpfe hindurch festhielt: An der Spitze sollten stets beide Flügel der Partei repräsentiert sein. Der wirtschaftsliberale und der nationalkonservative, Ost und West, vergleichsweise gemäßigt und radikal. Auch das Duo aus Alexander Gauland und Alice Weidel an der Spitze der AfD-Fraktion sollte dem Rechnung tragen. Doch mit dem vermeintlichen Ausgleich könnte es bei den Rechtspopulisten jetzt vorbei sein.

An diesem Wochenende wählen die gut 600 Delegierten der Partei in Hannover ihren neuen Bundesvorstand. Zuletzt hatte die Partei im Juli 2015 das Gremium neu besetzt. Damals hatte sich Parteichefin Frauke Petry gegen Parteigründer Bernd Lucke durchgesetzt. Der verließ daraufhin die AfD, gründete eine neue Partei und löste so eine Austrittswelle bei der AfD aus.

Auch Petry hat der Partei mittlerweile den Rücken gekehrt. Und so geht es beim Bundesparteitag an diesem Wochenende vor allem um die Frage, ob die Rechtsnationalen endgültig das Ruder übernehmen.

Wer tritt an?

Als gesetzt galt bislang Jörg Meuthen. Der Wirtschaftsprofessor aus Baden-Württemberg hatte die Partei nach dem Austritt von Frauke Petry allein geführt. Lange war nicht klar, wer neben ihm für die Doppelspitze kandidieren sollte. Zwischenzeitlich brachten seine Unterstützer sogar eine Einzelspitze ins Gespräch. Doch dafür bräuchte es eine Satzungsänderung und damit eine Zweidrittelmehrheit auf dem Parteitag. Dass diese zustande kommt, gilt als eher unwahrscheinlich.

Am Dienstag erklärte der Berliner Landeschef Georg Pazderski, dass er antreten werde. Der ehemalige Berufsoffizier gilt als vergleichsweise gemäßigt und als einer der letzten Landeschefs, die es mit der Abgrenzung der AfD nach Rechtsaußen tatsächlich ernst meinen. Zudem will er die Partei koalitionsfähig machen. Er teilt damit die Ansicht von Frauke Petry, die die AfD auf einen realpolitischen Kurs festlegen wollte. Dass er im Bundesvorstand in der Vergangenheit häufiger auf der Seite der damaligen Chefin stand, hängt ihm heute in der Partei nach.

AfD-Fraktionschef Alexander Gauland, dem geschicktesten Strippenzieher der Partei, ist deshalb skeptisch gegenüber Pazderskis Kandidatur. Er hatte stets eine schützende Hand über Rechtsnationale wie den umstrittenen Thüringer Landeschef Björn Höcke gehalten. Bei einem Treffen des von Höcke gegründeten rechtsnationalen „Flügels“ soll überlegt worden sein, wie man Pazderski verhindern könne. Doch es fand sich kein geeigneter Gegenkandidat, so dass man zum Ergebnis kam: Nur Gauland hätte bei einer Kampfkandidatur gute Chancen. Als über die „Bild“-Zeitung durchsickerte, dass er antreten will, dementierte Gauland das nicht. Besonders viel Lust, behauptet er, hat er auf den zusätzlichen Posten aber nicht.

Wie stehen die Chancen der drei?

Wenn sich nicht doch noch ein Kompromiss findet, ist die große Frage, gegen wen Pazderski antritt. Denn die beiden Posten der Doppelspitze werden einzeln abgestimmt. Pazderski könnte sich also aussuchen, gegen wen er die Kampfkandidatur wagt. Allerdings dürften seine Chancen gegen Meuthen wesentlich besser stehen als gegen Gauland.

Gauland hat bislang noch jeden Machtkampf in der Partei gewonnen. Obwohl er im Wahlkampf mit rassistischen und nationalistischen Äußerungen auffiel, hat er Unterstützer in beiden Lagern der Partei. Der 76-Jährige mit dem vornehmen Auftreten und der Hundekrawatte gilt als AfD-Übervater. Es gelang ihm im vergangenen Jahr trotz seines hohen Alters als eine Art heimlicher Parteivorsitzender die AfD zusammenzuhalten. Es ist daher schwer vorstellbar, dass ihn die Delegierten des Parteitages jetzt beschädigen könnten.

Meuthen dagegen stand in letzter Zeit innerparteilich in der Kritik. Das lag zum einen daran, dass er sich dafür entschied, ins Europaparlament nachzurücken, aber sein Mandat im Stuttgarter Landtag nicht gleich aufgeben wollte. Meuthen wird außerdem ein Hang zur Intrige nachgesagt. Momentan versucht er Parteikreisen zufolge, seine Rivalin, die AfD-Fraktionschefin Alice Weidel, in Misskredit zu bringen. Er selbst bestreitet das.

Meuthen gilt auch nicht gerade als führungsstark. Das habe sich auch nach Petrys Weggang gezeigt, heißt es in der Partei. „Führung im Bundesvorstand hat nicht stattgefunden“, sagt ein hochrangiger Funktionär. Und schließlich wird ihm vorgehalten, dass er sich zunächst als gemäßigter Wirtschaftsliberaler verkauft hatte, mittlerweile aber offen den „Flügel“ um Höcke unterstützt und von dort auch seine Mehrheiten bezieht.

Pazderski präsentiert sich bewusst als Gegenentwurf zu Meuthen. „Die Berliner AfD ist das innerparteiliche Musterbeispiel für eine gute Zusammenarbeit von Ost und West. Ein Gegeneinander gibt es bei uns nicht“, rühmt er den Landesverband in seinem Bewerbungsvideo. In Gesprächen kehrt Pazderski seine Führungserfahrung bei der Bundeswehr hervor. Er spricht von Fleiß und Loyalität, die er auch von den anderen Mitgliedern des Bundesvorstandes erwarte. Zudem verweist er gern darauf, dass Meuthen ja jetzt in Brüssel und Straßburg sitze und dort wichtige Aufgaben zu erledigen habe. „Jemand in Berlin muss sich um das politische Tagesgeschehen kümmern.“ Pazderski möchte die AfD langfristig in eine Regierung führen. Er sähe seine Aufgabe als Bundesvorsitzender darin, das Image der AfD aufzupolieren.

Welche Folgen kann die Wahl der Parteispitze haben?

Sollte sich Pazderski nicht durchsetzen, wird die Partei von zwei Männern geführt, die beide dem völkisch-nationalistischen „Flügel“ nahe stehen. Eine Abgrenzung der Partei nach Rechtsaußen dürfte dann so gut wie nicht mehr stattfinden. Die Position von Höcke wäre gestärkt und möglicherweise würden auch bei anderen die Hemmungen für nationalistische Äußerungen fallen. Viele Gemäßigte in der Partei würden wohl austreten. Nur sie selbst sind es aber, die dieses Szenario verhindern könnten. Im für sie günstigen Fall bekäme die AfD eine Doppelspitze aus Gauland und Pazderski. Allerdings würden die Streitereien im Bundesvorstand dann auch nicht aufhören.

Wer tritt noch an?

Neben der Parteispitze müssen auch die anderen Plätze des 13-köpfigen Gremiums neu besetzt werden. Ein großes Fragezeichen ist noch die mögliche Kandidatur Höckes und anderer Mitglieder des „Flügels“. Höcke selbst hatte sich die Kandidatur bis zuletzt offen gehalten. Sollte er sich nicht sicher sein, dass er eine Mehrheit bekommt, wird er sich aber nicht aus der Deckung wagen. Höckes Parteifreund André Poggenburg, der Landeschef in Sachsen-Anhalt ist, hat hingegen bereits angekündigt, dass er als stellvertretender Parteivorsitzender kandidieren will. Als denkbar gilt auch eine Kandidatur von Andreas Kalbitz. Der ehemalige Fallschirmjäger ist Gaulands Nachfolger als Landes- und Fraktionsvorsitzender in Brandenburg. Er gilt als klug, hat aber mehrere rechtsextreme Bezüge in seiner Vergangenheit.

Antreten will außerdem Petr Bystron, der wegen seiner Sympathie für die völkische „Identitäre Bewegung“ vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Er sitzt auch für die AfD im Bundestag und hat den Vorsitz des bayerischen Landesverbandes aufgegeben, um seine Energien ganz auf Berlin konzentrieren zu können. Es ist unklar, ob sein Kalkül aufgeht. Abgesehen davon dürften auch Fraktionschefin Weidel und Fraktionsvize Beatrix von Storch für einen Posten kandidieren.

Welche Entscheidungen stehen sonst an?

Selbst wenn Björn Höcke nicht für den Parteivorstand kandidiert, könnte er mit einer anderen Trophäe nach Hause gehen. Seine Anhänger fordern das Parteiausschlussverfahren gegen ihn auf der Stelle zu beenden. Mit der „Abgrenzeritis“ müsse endlich Schluss sein, finden die Rechtsnationalen. Wird ein entsprechender Antrag auf dem Parteitag angenommen werden, wäre es für Höcke ein großer Erfolg.

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