zum Hauptinhalt
Holocaust-Mahnmal in Berlin.
© Kitty Kleist-Heinrich

Nach Einzug der AfD in den Bundestag: Erinnerungspolitik mit Rechtsradikalen

AfD-Politiker sitzen künftig mit in Aufsichtsgremien wie dem der Stiftung "Denkmal für die ermordeten Juden Europas". Zum "Bündnis für Demokratie und Toleranz" hat die Partei Jens Maier geschickt.

Und mittenmang Jens Maier. Am Montag fand die erste Beiratssitzung des "Bündnisses für Demokratie und Toleranz - gegen Extremismus und Gewalt" statt. Der Dresdner AfD-Bundestagsabgeordnete wurde von seiner Partei nach der Wahl in das Gremium geschickt und soll mit aufpassen, wie das im Jahr 2000 gegründete Bündnis sich nun aufstellt, um zum "Einsatz für unsere Demokratie zu ermutigen", wie es in der Aufgabenstellung heißt.

Maier, einer der einschlägig bekannten Rechtsradikalen in der Partei, brachte schon vor der Sitzung die anderen Beiratsmitglieder gegen sich auf. Er bediente sich dabei des provokatorischen Stils, für den er seit Monaten bekannt und selbst in seiner Partei zum Teil berüchtigt ist. Maier war im Januar in Dresden Vorredner des thüringischen AfD-Politikers Björn Höcke, forderte dort ein "Ende des Schuldkults". Er lobte die NPD. Und relativierte die Taten des norwegischen Rechtsterroristen Anders Breivik. Als diese Woche der neue "Sachsen-Monitor" ergab, dass eine Mehrheit der Sachsen eine "gefährliche Überfremdung" in Deutschland sehen, meinte er, dies habe nichts mit Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit im Freistaat zu tun, sondern sei eine "realistische Einschätzung der Lage". Eben erst stellte die AfD Sachsen das noch von Frauke Petry eingeleitete Parteiausschlussverfahren gegen Maier ein.

Vor der Beiratssitzung am Montag postete Maier auf Facebook seine Erwartungen an das Gremium. Er wolle "spezifisch deutsche Kultur" erörtern, habe in der neuen Position "die Chance, Licht in die dunkle Höhle linker und linksextremer Finanz- und Vereinsstrukturen zu bringen" und werde jede "ideologisch begründete Einseitigkeit" anprangern.

Jens Maier ist AfD-Bundestagsabgeordneter aus Dresden. Er nennt sich selbst "der kleine Höcke".
Jens Maier ist AfD-Bundestagsabgeordneter aus Dresden. Er nennt sich selbst "der kleine Höcke".
© Sebastian Kahnert/dpa

Die Stimmung war also nicht gut im Beirat des Bündnisses. Das Gremium kritisierte in einer knappen Erklärung, dass sich Maier "in abfälliger und herabwürdigender Weise" über den Beirat geäußert habe. Alle Teilnehmer der Runde - es wurde Vertraulichkeit vereinbart - bekamen eine Vorstellung davon, was es bedeutet, dass die AfD nun Anspruch darauf hat, in allerlei Aufsichtsgremien zu kommen - beispielsweise in die Kuratorien der Bundeszentrale für politische Bildung (BPB), der Stiftung "Denkmal für die ermordeten Juden Europas", Bauherrin des Holocaust-Mahnmals, sowie der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung, Zukunft" (EVZ), zuständig für die Aufarbeitung nationalsozialistischen Unrechts.

Prinzipiell Anrecht auf eine Vertretung in den Aufsichtsgremien der Organisationen hat die AfD nach ihrem Einzug in den Bundestag dort, wo es um die Verteilung von Bundesmitteln geht. Teilweise ist das in den Satzungen auch explizit so geregelt.

Anders als beim Demokratie-Bündnis ist bei den drei zuletzt genannten Gremien noch nicht klar, wen die AfD entsenden will. Das Kuratorium der Bundeszentrale für politische Bildung wird voraussichtlich erst wieder tagen, wenn eine neue Bundesregierung gebildet ist. Bei der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung, Zukunft" soll es laut Auskunft einer Sprecherin zur Frage des Umgangs mit der AfD im Kuratorium zunächst bei der kommenden Sitzung im Dezember "interne Diskussionen" geben.

Lea Rosh nennt AfD "drastisch demokratiefeindlich"

Bei der Stiftung "Denkmal für die ermordeten Juden Europas" zeichnet sich ab, dass diese Debatten besonders heftig sein werden. Die Höcke-Rede vom Januar, bei der er das Holocaust-Mahnmal "Denkmal der Schande" nannte und von einer "dämlichen Bewältigungspolitik" sprach, haben alle noch im Ohr. Stellvertretende Kuratoriumsvorsitzende ist hier Lea Rosh, die Initiatorin des Mahnmals, neuer Kuratoriumschef der neue Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU). Rosh sagt dem Tagesspiegel: "Es gibt demokratische Spielregeln. Grundsätzlich sind alle Bundestagsparteien per Gesetz in unserem Kuratorium vertreten. Im Fall der AfD würde mich allerdings brennend interessieren, wie Herr Schäuble das sieht."

Lea Rosh ist die Initiatorin des Holocaust-Mahnmals.
Lea Rosh ist die Initiatorin des Holocaust-Mahnmals.
© Britta Pedersen/dpa

Der Einzug der AfD in das Aufsichtsgremium ist für Rosh nicht selbstverständlich. "Ich habe das Programm der AfD vor mir liegen", erklärt sie. "Es ist so drastisch demokratiefeindlich, was die machen, dass eine Teilnahme der AfD eigentlich ausgeschlossen sein müsste. Das gilt natürlich erst recht nach dem, was der thüringische AfD-Chef Höcke über das Holocaust-Mahnmal gesagt hat. Ich fürchte allerdings, die AfD wird so unverfroren sein, reinkommen zu wollen." Von Wolfgang Schäuble war bisher keine Stellungnahme zu erhalten.

Wie auch immer: Auf Bundesebene setzt sich nun fort, was auf Landesebene schon gängige Praxis ist. Die AfD ist inzwischen in 14 der 16 Landesparlamente vertreten, mithin dort überall auch in den Kuratorien der Landeszentralen für politische Bildung. Als sich deren Chefs kürzlich trafen, war die AfD-Präsenz einem Teilnehmer zufolge "ein Riesenthema". In Thüringen etwa hat die AfD ihren Fraktions- und Landeschef Höcke persönlich entsandt, in Sachsen-Anhalt den Landesvorsitzenden André Poggenburg.

Überlebende des KZ Bergen-Belsen warnen

Die Folge mindestens teilweise: Gespickt mit Informationen aus den Kuratorien, piesacken die AfD-Vertreter dann die Landesregierungen. Im August stimmte im Landtag von Sachsen-Anhalt auch eine Mehrheit der CDU-Fraktion für einen AfD-Antrag, eine Enquete-Kommission "Linksextremismus" einzusetzen. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es ähnliche Diskussionen, wie das Ehepaar Lohmeyer berichtet, das im kleinen Dorf Jamel seit Jahren gegen Rechtsextremismus aktiv ist. Mit der Präsenz erst der NPD und nun der AfD im Schweriner Landtag stehe die Landeszentrale "unter Rechtsfertigungsdruck, warum sie nicht genug gegen Linksextremismus unternimmt", sagt Birgit Lohmeyer. Auch dass die Förderung des Festivals "Jamel rockt den Förster", das explizit "demokratischen Gegenwind für Nazis" bieten will, erst kürzlich einer Prüfung unterzogen worden sei, sei wohl "nicht zufällig" geschehen, vermutet sie.

In Niedersachsen äußern Überlebende des früheren Konzentrationslagers Bergen-Belsen die Sorge, dass die AfD demnächst im Stiftungsrat für die niedersächsischen Gedenkstätten sitzen könnte. Im Januar beantragte die damals noch von Parteichef Jörg Meuthen geführte AfD-Fraktion Baden-Württemberg, Fördergelder von 120.000 Euro für die KZ-Gedenkstätte im französischen Gurs im Haushalt zu streichen.

Die thüringische Linken-Bundestagsabgeordnete Martina Renner ist alarmiert. "Erinnerungs- und Gedenkpolitik ist ein zentrales politisches Schlachtfeld für die AfD", warnt sie im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Deren Abgeordnete würden regelmäßig den Völkermord an den europäischen Juden relativieren. "Dabei handelt es sich nicht um Ausrutscher, sondern um eine klare Programmatik: Der Rechtspartei geht es darum, völkisches Denken als eine der Grundlagen des NS-Regimes diskutierbar zu machen." Deshalb halte sie AfD-Vertreter in den unterschiedlichen Gremien und Beiräten für untragbar, sagt Renner: "Sie wären eine Verhöhnung aller, die sich gegen Antisemitismus und für eine demokratische Kultur einsetzen."

Zentralrat der Juden: Nicht über jedes Stöckchen springen

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, will nicht ganz so weit gehen. Er sagte dem Tagesspiegel: "Mit dem Einzug der AfD in den Bundestag und in zahlreiche Landesparlamente geht einher, dass die Partei Sitze in Stiftungsbeiräten und anderen Organisationen erhält." Für die Arbeit in diesen Gremien sei es wichtig, dass die anderen Mitglieder dem Populismus von AfD-Vertretern Sachargumente entgegensetzen, verlangt er. "Die anderen Beirats-Mitglieder sollten zusammenstehen und sich nicht gegeneinander ausspielen lassen. Es wird sich zeigen, ob die AfD weiterhin auf Provokationen setzt oder Themen konstruktiv angehen kann. Denn gezielte Provokationen sind das Mittel ihrer Wahl, um Aufmerksamkeit zu erringen. Für mich gilt: Wir dürfen nicht über jedes Stöckchen springen, das die Rechtspopulisten uns hinhalten."

Zur Startseite