Nach den Wahlen in Sachsen und Brandenburg: Wer die AfD-Wähler sind und was sie umtreibt
Zweitstärkste Kraft in Brandenburg und Sachsen – die massiven Gewinne der AfD sind eine Zäsur. Wer wählte rechtsaußen? Ein Blick in die Daten.
Wer in den vergangenen Wochen unterwegs war im Osten, Wahlveranstaltungen der AfD besuchte, der konnte es bereits sehen. Da saßen Herren mit grauem Schnurrbart neben Frauen mit Goldschmuck und Föhnfrisur, da standen Rentnerinnen für Selfies mit AfD-Spitzenpolitikern an und junge Männer hatten als Ordner ein Auge darauf, dass nichts aus dem Ruder lief. Da war schon klar: Den typischen AfD-Wähler gibt es nicht.
Dennoch werfen die Wahlergebnisse in Sachsen und Brandenburg die Frage wieder auf: Wer wählt im Osten eigentlich die AfD? Und warum? Die Rechtspopulisten wurden zwar nicht stärkste Kraft, holten aber mit 27,5 Prozent in Sachsen ihr bestes Ergebnis jemals bei einer Wahl in Deutschland. Und in Brandenburg kamen sie auf 23,5 Prozent, konnten ihr Ergebnis im Vergleich zu 2014 also fast verdoppeln. Ein Blick in die Umfragedaten verrät, was die Menschen speziell im Osten umtreibt.
Was war die Strategie der AfD?
Die AfD fuhr vor allem in Brandenburg neben ihrem üblichen national-sozialen Kurs eine Kampagne, die stark auf die DDR- und Wende-Erfahrung der Wähler zugeschnitten war. Slogans wie „Vollende die Wende“, „Wende 2.0“ oder „Friedliche Revolution mit dem Stimmzettel“ sollten suggerieren, die Wende 89 sei nicht geglückt, es brauche wieder eine Revolution – und die Verhältnisse in Deutschland seien heute vergleichbar mit denen in der DDR.
Immer wieder schmeichelte etwa AfD-Chef Alexander Gauland den Menschen damit, sie hätten als Ostdeutsche auf Grund ihrer Vergangenheit einen Erkenntnisvorsprung. „Sie wissen wie eine Diktatur sich anfühlt, Sie hören das autoritäre Gras wachsen, wenn auf allen Kanälen die Opposition verteufelt wird.“ Und er appellierte an das Gefühl, benachteiligt zu sein: „Westdeutsche haben Sie zur Bürgern zweiter Klasse gemacht“, sagte Gauland bei mehreren Gelegenheiten.
Dass die AfD mit dieser Kampagne einen Nerv traf, zeigt sich auch in den Umfragen. In Sachsen und Brandenburg sagten laut Infratest dimap knapp 78 Prozent der AfD-Wähler, Ostdeutsche seien Bürger zweiter Klasse. Auch stimmten in Brandenburg 51 Prozent der Wähler der Aussage zu, die Unterschiede zwischen Ost und West seien wieder größer. Sabine Kropp, Politikprofessorin an der FU Berlin, sagt: „Die AfD kopiert die Politik des Kümmerns vor Ort, mit der früher die PDS im Osten recht erfolgreich war.“
In welchen Regionen war die AfD besonders stark?
Grob gesagt sind es vor allem Randregionen an den Grenzen zu Polen und Tschechien sowie die brandenburgischen und sächsischen Braunkohlegebiete, in denen die AfD überdurchschnittlich abschneidet. Es sind kleinstädtisch und ländlich geprägte Gebiete, die zwar nicht unbedingt als „abgehängt“ klassifiziert werden müssen, aber meist strukturschwach sind und etwas weiter entfernt von den Metropolen Berlin, Leipzig und Dresden liegen. Eine städtisch geprägte Partei ist die AfD nicht, auch wenn sie in den urbanen Regionen ebenfalls Wähler findet.
In den Grenzregionen zu Polen und Tschechien waren rechtsradikale bis rechtsextreme Umtriebe in den 90er-Jahren schon häufiger zu beobachten. In Gemeinden, in denen die NPD bei der Landtagswahl 2014 viele Stimmen bekam, ist jetzt die AfD besonders stark. Hier zieht sich also eine Rechtsaußentendenz seit der Wende durch.
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Wer wählte die AfD?
Dass Männer eher zur AfD neigen als Frauen, hat sich in beiden Landtagswahlen wieder bestätigt. Nimmt man die Altersgruppen, schneidet die AfD vor allem in den mittleren Jahrgängen zwischen 30 und 59 Jahren besser als alle anderen Parteien ab. Aber bei den Jungwählern bis 29 Jahre ist sie stark – in Brandenburg hinter den Grünen, in Sachsen sogar als stärkste Kraft. Dass die SPD in Brandenburg und die CDU in Sachsen am Ende die Nase insgesamt vorn hatten, verdankten sie jeweils den Älteren ab 60.
Warum schnitt die AfD bei jungen Wählern so gut ab?
Der Befund verwundert vor allem deshalb, weil Wähler unter 30 keine DDR-Erfahrung gemacht haben, die ja oft als Teilerklärung für den Wahlerfolg der AfD im Osten herangezogen wird. Der Politikberater Johannes Hillje hat 2017 für die Studie „Rückkehr zu den politisch Verlassenen“ zahlreiche Gespräche auch im Osten geführt. Er sagt: „Es kommt auf das soziale Umfeld an.“ Man müsse zwischen verschiedenen Jungwählergruppen unterscheiden.
So hätten in städtisch geprägten Regionen junge Wähler häufiger Grün gewählt. Die AfD dagegen sei erfolgreich bei jungen Wählern in Wahlkreisen mit einem ansonsten hohen Durchschnittsalter und einer starken Abwanderung . „Wenn Menschen abwandern, dann schließen Läden, werden Verkehrsverbindungen eingestellt und Schwimmbäder machen zu.“ Das wiederum führe zu Enttäuschung und Unsicherheit. Zudem sei es schon lange eine Strategie von Rechtsradikalen, dort ihren Nachwuchs zu rekrutieren, wo das soziale Geflecht ansonsten schwach sei.
In seinen Gesprächen in schrumpfenden Regionen hat Hillje bei den Jungen erlebt, dass das Misstrauen gegenüber den etablierten Parteien noch ausgeprägter sei als bei älteren Menschen. „Die Erwartungen an die Politik sind extrem gering.“ Das sei ein enormes Problem für die heutigen Volksparteien. Auch Zukunftsängste spielen bei jungen Wählern in abgehängten Gegenden eine Rolle. Hillje sagt, es sei auffällig gewesen, dass schon viele junge Menschen etwa Angst vor Altersarmut geäußert hätten. Politikprofessorin Kropp vermutet, dass junge AfD-Wähler häufig in der Familie geprägt werden und Werte und Ansichten ihrer Eltern übernehmen, die schon länger Anhänger der AfD als Ost-Partei sind.
Wie stark punktete die AfD bei Nichtwählern?
Hier ist man auf Wählerwanderungsdaten angewiesen, und die sind mit Vorsicht zu genießen. Es handelt sich nämlich um Schätzungen, die auf einer recht ungewissen Datenbasis beruhen: Wissen wirklich alle Wähler verlässlich, wie sie sich fünf Jahre zuvor entschieden haben? Daher sind etwa die Zahlen, die Infratest dimap veröffentlichte, nur als grobe Orientierung zu nehmen. Demnach kam in Brandenburg und Sachsen etwas weniger als die Hälfte der AfD-Wähler von denen, die 2014 nicht gewählt hatten
Ansonsten dürfte es in Brandenburg eine überschaubare Wanderung von SPD, CDU und Linken zur Rechtspartei gegeben haben. In Sachsen verlor die CDU wohl in größerer Zahl Wähler an die AfD, konnte das aber durch Zuwachs von vormaligen Nichtwählern ausgleichen.
Welchen Einfluss hat wirtschaftliche Unsicherheit auf die Wahlentscheidung?
Laut der Soziologin Bettina Kohlrausch von der Universität Paderborn spielen für die politische Unzufriedenheit im Osten nicht nur abstrakte Gefühle „mangelnder Anerkennung“ oder das Thema Migration eine Rolle, sondern sehr stark auch „konkrete ökonomische Unsicherheitserfahrungen“. Diese reichten deutlich weiter als im Westen.
Während sich dort vor allem Un- und Angelernte Sorgen um ihre berufliche und soziale Zukunft machten und überdurchschnittlich häufig rechte Parteien wählten, treffe das in den neuen Bundesländern auch auch Beschäftigte mittlerer Qualifikation wie Facharbeiter zu. Das Gefühl, nicht für die kommende Transformation in der Arbeitswelt gerüstet zu sein – gemeint ist etwa die Digitalisierung – beeinflusse offenbar die Wahlentscheidung. Dieser Befund passt zur Erhebung von Infratest dimap, wonach in Brandenburg und Sachsen jeweils 44 beziehungsweise 41 Prozent der AfD-Wähler Arbeiter waren und damit die größte Gruppe stellten.
Die Angst vor Umbrüchen lässt sich auch auch in Braunkohleregionen beobachten: Dort hat der Beschluss der Bundesregierung zum Kohleausstieg der AfD neue Wähler zugetrieben. So ist laut Infratest dimap der Anteil derer, die den Ausstieg bis 2038 als zu schnell empfinden, in Brandenburg mit 42 Prozent bei den AfD-Anhängern deutlich höher als in anderen Parteien.
Stimmt das Bild von der reinen Protestpartei noch?
Wohl nicht mehr so ganz, wobei hier Unterschiede zu erkennen sind. Denn in Brandenburg ist die AfD stärker Protestpartei, während sie in Sachsen in den Augen eines Teils ihrer Wähler Züge einer rechtskonservativen Partei trägt. Nicht umsonst hat die Werte-Union, eine betont konservative Gruppe innerhalb der CDU, den sächsischen Wahlkampf als Profilierungsfeld genutzt – mit dem geschassten Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen als Galionsfigur. Sie sieht sich als Brücke zwischen CDU und AfD mit dem Ziel, die Union wieder weiter nach rechts zu rücken.
In Sachsen sagten laut Forschungsgruppe Wahlen 70 Prozent der AfD-Anhänger, sie wählten ihre Partei wegen ihrer politischen Forderungen, also aus inhaltlichen Gründen. Das ist ein Indiz für eine gewachsene Parteibindung. In Brandenburg äußerten sich nur 43 Prozent der AfD-Anhänger entsprechend – während 53 Prozent angaben, die AfD zu wählen, um anderen Parteien einen Denkzettel zu verpassen. Solche Protestwähler gibt es in Sachsen in geringerem Maß, 28 Prozent der AfD-Anhänger stuften sich als Denkzettel-Wähler ein.
Und es gibt noch einen Hinweis, dass die AfD in Sachsen in einem etwas anderen Licht gesehen werden muss. Dort finden 90 Prozent der AfD-Anhänger, eine Koalition mit der CDU wäre gut – sie sind also durchaus regierungsorientiert. Allerdings finden sie keine Gegenliebe, denn nur fünf Prozent der CDU-Anhänger wollen mit der AfD koalieren.