AfD-Spitzenkandidat Andreas Kalbitz: Unterwegs mit einem, der Brandenburg entzweit
Rechtes Netzwerk, autoritäre Haltung: Der brandenburgische AfD-Chef Kalbitz will die Landtagswahl gewinnen. Warum ihm das tatsächlich gelingen könnte.
Andreas Kalbitz schaut sich den Tumult eine Weile interessiert an. Brandenburgs AfD-Spitzenkandidat sitzt beim Stammtisch in Königs Wusterhausen am Kopf einer U-förmigen Tafel, es ist heiß hier im Hinterzimmer eines Wirtshauses, in der Ecke bläst hilflos ein kleiner Ventilator. Und jetzt gibt es Streit unter den Anwesenden.
Ein massiger Mann ist aufgestanden, offenbar nicht ganz überzeugt von der AfD. Er sagt: „Ich bin viel in der Welt unterwegs, überall sind die Leute unzufrieden. Wir müssen doch auch in Deutschland mal die Dinge sehen, die positiv sind.“ Eine ältere Frau unterbricht ihn, Frust liegt in ihrer Stimme: „Sagen Sie doch mal einen Punkt, der gut ist im Osten.“ Es entspinnt sich ein Wortgefecht, mehrere Männer mischen sich ein, es wird laut.
Da erhebt sich Spitzenkandidat Kalbitz – weißes Hemd, Glatze, kleine silberne Brille. Er versucht es mit einem leichten Lächeln. „So, jetzt atmen alle mal tief durch. Entspannen sich ein bisschen.“ Die Frau ruft nochmal: „Nur einen Punkt!“ Kalbitz reicht es, das Lächeln ist verschwunden. „Jetzt habe ich das Kommando, sonst keiner“, dröhnt er.
Da blitzt er auf, der militärische Duktus, Kalbitz’ Hang zum Autoritären, der Grund, warum er im Landesverband auch gefürchtet wird. Beim AfD-Stammtisch an diesem Donnerstag im Juli stört sich daran allerdings niemand. Einer muss schließlich für Ordnung sorgen.
Alles kann passieren
Andreas Kalbitz will die AfD zum Wahlsieg in Brandenburg führen. Auf Wahlkampfveranstaltungen seiner Partei kündigen sie den 46-Jährigen großspurig als „nächsten Ministerpräsidenten von Brandenburg“ oder „künftigen Landesvater“ an. Wochenlang führten die Rechtspopulisten in Umfragen, lagen deutlich vor allen anderen Parteien. Mittlerweile hat sich die SPD einen hauchdünnen Vorsprung verschafft, sie liegt mit 21 Prozent einen Punkt vor der AfD. Dennoch kann alles passieren am Sonntagabend, auch ein Wahlsieg der AfD.
Es wäre ein folgenschweres Signal. In Brandenburg hätte sich eine Partei durchgesetzt, deren Spitzenkandidat Kalbitz eine rechtsextreme Vergangenheit hat und im Visier des Verfassungsschutzes ist. Es wäre ein Erfolg auch für den völkischen „Flügel“ in der AfD, den Ex-Fallschirmjäger Kalbitz gemeinsam mit dem Thüringer Rechtsaußen Björn Höcke führt. Ein Wahlsieg in Brandenburg könnte den Einfluss der radikalen Strömung in der AfD noch vergrößern. Und Kalbitz zum vielleicht einflussreichsten Mann der Partei machen – zumindest hinter den Kulissen.
Die Wähler wollen einen starken Staat
„Massiver Bürgerkontakt und extrem hohe Veranstaltungsfrequenz“, so beschreibt Kalbitz die Wahlkampfstrategie. Das Hinterzimmer im Wirtshaus in Königs Wusterhausen ist beim Stammtisch brechend voll, obwohl die Veranstaltung nicht einmal im Internet beworben wurde. Überwiegend grauhaarige Herren sitzen hier, aber auch einige Frauen. Eine Dame mit Fönfrisur und Goldschmuck nickt immer wieder, wenn Kalbitz spricht. „Genau“, sagt sie halblaut.
Um Flüchtlinge geht es nur am Rande. Der eingeladene Direktkandidat Dennis Hohloch ist Lehrer in Berlin, das Thema der Veranstaltung ist Bildung. Kalbitz hält eine kurze Rede zur Einstimmung. „Die AfD ist keine Protestpartei“, sagt er. „Sie ist eine Problemlösungspartei.“
Die Rechtspopulisten wollen sich im Wahlkampf als Kümmerer präsentieren. Neben „kriminellen Migranten“ ist immer wieder Bildung, Infrastruktur, Rente oder Familie Thema. Kalbitz erzählt dann, welche Initiativen die Partei im Landtag von Brandenburg eingebracht hat. Einführung eines Familientages für berufstätige Eltern, Abschaffung der Grundsteuer, Senkung der Mehrwertsteuer für Babyartikel, kostenlose Babyerstausstattung. Alles sei von der rot-roten Koalition abgelehnt worden. Dass das den anderen Oppositionsparteien mit ihren Anträgen genauso geht, erwähnt er nicht. Die Wähler im Osten wollen einen starken Staat, der die Dinge regelt. Die AfD ist bereit, ihn zu versprechen.
Gegen Ende meldet sich beim Stammtisch noch ein älterer Herr. Vor der Wahl werde ja sicher noch ein Skandal über die AfD aus der Schublade gezogen, meint er. Kalbitz grinst. „Hundert Prozent, einer reicht gar nicht.“ Schon den ganzen Wahlkampf über bereitet er seine Anhänger darauf vor, es werde noch schmutzig. Vielleicht soll das etwaige Enthüllungen über ihn von vornherein entkräften.
Rechtsextreme Kontakte
Kalbitz hat schon in der Vergangenheit rechtsextreme Teile seiner Vita immer erst dann eingestanden, wenn sie sich nicht mehr leugnen ließen. 2007 besuchte er ein Zeltlager der inzwischen verbotenen rechtsextremen „Heimattreuen Deutschen Jugend“, kurz HDJ. Ziel solcher Veranstaltungen war es, Jugendliche im Sinne der NS-Ideologie zu erziehen und militärisch zu drillen. Kalbitz sagt, er habe sich dort nur informieren wollen.
Er war Autor für rechtsextreme Publikationen wie das Vereinsblatt der „Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland“. Er war bei den vom Verfassungsschutz beobachteten Republikanern aktiv. Und er leitete einen von Nazis, SS-Offizieren und NPD-Funktionären gegründeten Kulturverein. Als das im Herbst 2015 publik wurde, gab er den Vorsitz auf. Kalbitz sagt gern, das seien alles alte Kamellen, aber nun mal Teil seiner Biografie und er könne sich ja nicht von sich selbst distanzieren.
In den letzten Wochen tauchten weitere Puzzlestücke aus seiner Vergangenheit auf. Die „Welt“ berichtete, dass Kalbitz seinem Schwiegervater Stuart Russell – einem 2006 gestorbenen britischen Soldaten – bei einem Film über Hitler und einem über die 1. Gebirgsdivision im Zweiten Weltkrieg half. Die Division war an schwersten Kriegsverbrechen beteiligt, was im Film laut „Welt“ unerwähnt bleibt. Es werde der Eindruck vermittelt, es habe sich beim Vorrücken der Division um eine Heldentat gehandelt.
Vergangene Woche berichtete der „Spiegel“ über E-Mails, die auch dem Tagesspiegel vorliegen. Sie belegen, dass Kalbitz noch tiefer in der rechtsextremen Szene verstrickt war, als bisher bekannt. Im Jahr 2009 erhielt er eine E-Mail vom damaligen HDJ-Bundesführer, die an einen kleinen Verteiler von sieben Personen ging. Der Inhalt ist eher unspektakulär. Außerdem schrieb ihm 2008 Horst Mahler eine E-Mail – der Rechtsextremist hatte die NPD als Anwalt im Verbotsverfahren vertreten. In der Mail berichtet Mahler vom ersten Verhandlungstag am Landgericht Potsdam, wo er später wegen Volksverhetzung zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde.
Mehr Einfluss in der Partei
Innerparteilich schaden Kalbitz diese Enthüllungen kaum, genauso wenig wie die Tatsache, dass sein „Flügel“ mittlerweile vom Verfassungsschutz beobachtet wird.
Er sagt zwar über sich, um Ende des Jahres bei den Bundesvorstandswahlen als Parteivorsitzender anzutreten, sei er „politisch und medial derzeit eventuell zu eindeutig verortet – das würde der Gesamtpartei nicht dienen.“ Das ändert aber nichts an dem Einfluss, den er im Hintergrund jetzt schon über sein weitverzweigtes Netzwerk ausübt. Während Björn Höcke als Galionsfigur der rechten Strömung gilt, sieht man in Kalbitz den Steuermann. Gegner beschreiben ihn als einen, der Schwäche verachtet, nur Freund und Feind kennt und treu ergebene Kameraden fördert. Nach einem Wahlsieg der AfD im Osten könnten die vom „Flügel“ dominierten Landesverbände noch mehr Einfluss in der Partei beanspruchen.
Die rechtsextremen Bezüge in seiner Vita seien auch den AfD-Anhängern einerlei, glaubt Kalbitz. „Das interessiert die Leute nicht“, sagt er bei einem Treffen Anfang des Jahres. Die Menschen interessiere, wenn nach 18 Uhr kein Bus mehr fahre. Wenn sie sich mit zwei Jobs über Wasser halten müssten. „Aber nicht, ob einer vor zehn Jahren an einem Zeltlager teilgenommen hat.“
Hüpfburg und blaue Zuckerwatte
Viele Menschen in Brandenburg fühlen sich abgehängt, das versucht die AfD für sich zu nutzen. Für die Lausitz fordert sie im Wahlprogramm eine Sonderwirtschaftszone, um die Region auf ein Ende der Kohleförderung vorzubereiten – mit Investitionszulagen, Zinszuschüssen, Sonderabschreibungen für Unternehmen und Bevorzugung bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. Eine Idee, über die Kalbitz gern im Fernsehen spricht.
Ihre Versprechen bettet die AfD ein in eine größere Erzählung. Parteichef Alexander Gauland streut schon seit einer Weile in seine Reden ein, die Verhältnisse in der Bundesrepublik erinnerten ihn an die in der späten DDR. Jetzt hat die AfD auf diese Idee ihre Wahlkampagne aufgebaut.
Am vergangenen Sonntag in Peitz, einer kleinen Stadt im Spree-Neiße-Kreis, lässt sich das wieder beobachten. Es ist der Wahlkreis von Ministerpräsident Dietmar Woidke, in der Ferne bläst das Kohlekraftwerk Jänschwalde weiße Wolken in die Luft. Bei der Kreistagswahl war die AfD hier stärkste Kraft. Auf dem Platz hinter einem historischen Festungsturm hat sie ihre Bühne aufgebaut. Es gibt eine Hüpfburg und blaue Zuckerwatte. Auf den Schirmen und Transparenten steht „Die friedliche Revolution mit dem Stimmzettel“ oder „Wende 2.0“. Die Botschaft: Es brauche in Deutschland wieder eine Revolution, es herrschten Zustände wie in einer Diktatur. Eine Frau mit Deutschlandfahne trägt eine AfD-Weste, auf der „Dissident“ steht.
Die AfD will im Wahlkreis Woidke schlagen, sie fährt in Peitz ihre ganze Parteiprominenz auf. Gauland ist da, auch Fraktionschefin Alice Weidel, bei deren Ankunft sich eine Schlange von Menschen bildet, die ein Selfie mit ihr wollen. „Sie ist so hübsch“, seufzt eine Frau.
Es läuft nicht nur gut für Kalbitz
Auf der Bühne sagt Andreas Kalbitz: „Ich freue mich auf den Fluglärm, wenn am BER einmal Abschiebeflieger Tag und Nacht starten.“ Und über Bürgerkriegsflüchtlinge: „Ich will die nicht integrieren, ich will die remigrieren.“ Aber er zieht auch die Ost-Karte. 30 Jahre nach der Wende müsse man wieder überlegen: „Was sage ich der Familie, was den Freunden, was am Arbeitsplatz und was am Küchentisch, damit die Kinder in der Schule nichts ausplappern?“
Kalbitz stammt aus München. Er nennt die Nachrichten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks trotzdem zuweilen „Aktuelle Kamera“, wie in der DDR die Nachrichtensendung hieß. Das ist ein sicherer Lacher. Kalbitz behauptet nie direkt, er sei damals dabei gewesen. Aber wer nicht weiß, dass er nicht aus dem Osten stammt, könnte bei seinen Reden diesen Eindruck bekommen. „Fangen Sie wieder an, Ihre Meinung zu sagen“, ruft er in Peitz. „Unglaublich, dass man das sagen muss, 30 Jahre nach der Wende.“
Doch es läuft nicht nur gut für Kalbitz. Der Wahlkampf zehrt an seinen Kräften. Red Bull, Zigaretten, wenig Schlaf. Bei einem Spitzenkandidaten-Forum im Brandenburger Landtag verhöhnt er die Klimaaktivistin Greta Thunberg als „zopfgesichtiges Mondgesicht-Mädchen“ und bezeichnet einen Schüler als „verblendet“.
Wenig erfreulich läuft es für Kalbitz auch im brandenburgischen Birkenwerder. Gemeinsam mit AfD-Chef Gauland und mehreren Direktkandidaten will er hier am Donnerstagabend vergangene Woche vor AfD-Anhängern in der Pestalozzi-Grundschule auftreten. Die Gemeindeverwaltung hat das genehmigt, der Schulleiter aber ist überrascht worden, es gibt Widerstand. Als Kalbitz hier ankommt, begrüßen ihn Gegendemonstranten mit einem Pfeifkonzert und „Nazis raus“-Rufen. Auf dem Weg nach drinnen empfangen ihn Plakate zum Thema Migration. Auf einem sind Menschen aller Hautfarben zu sehen, darunter steht „gemeinsam“.
„Noch nie dagewesene politische Dynamik“
Kurz bevor die Veranstaltung beginnt, steht Kalbitz noch für ein paar Fragen zur Verfügung. Er trägt wie immer einen kleinen silbernen Anstecker am Revers, einen Fallschirm mit zwei Flügeln, der an seine Militärvergangenheit erinnert. Kalbitz lässt durchblicken, dass er natürlich nicht glaube, dass die AfD nach der Wahl mitregieren könne oder er selbst Ministerpräsident werde. „Es wird nach der Wahl mutmaßlich im ersten Schritt eine Anti-AfD-Koalition geben“, sagt er. Eine Dreier- oder Viererkonstellation werde aber politisch nicht tragfähig sein. Irgendwann wäre die CDU dann doch für eine Zusammenarbeit mit der AfD zu haben. „Wir erleben eine noch nie dagewesene politische Dynamik“, sagt er. „In der Union ist Bewegung, sie ist innerlich zerrissen. Früher oder später wird sie sich für uns öffnen, wenn sie bestehen will.“
AfD-Chef Gauland hält in Birkenwerder eine Rede, in der er viele Sätze mit „Wenn die AfD regiert...“ beginnt und endet mit „Bleiben Sie freiheitlich, bleiben Sie deutsch!“ Es ist der gleiche Wortlaut wie in Peitz. Auch Kalbitz spult sein Programm ab, danach gibt es noch eine Fragerunde. Ins Publikum haben sich etliche AfD-Gegner gemischt, es kommt eine kritische Frage nach der anderen. Die anwesenden AfD-Anhänger sind genervt.
Am Schluss steht ein Schüler in blauem Poloshirt auf. Er will wissen, was Deutschland denn tun werde, wenn wegen des Klimawandels Millionen Menschen aus Afrika nach Europa kämen. Der Hintergrund der Frage: Die AfD will den Klimaschutz einstellen, viele ihrer Funktionäre leugnen den menschengemachten Klimawandel.
Sie applaudieren trotzdem
Kalbitz fängt an, über Wirtschaftsflüchtlinge zu sprechen, über ein Einwanderungsgesetz, der Schüler unterbricht ihn. „Meine Frage war: Was passiert mit den Menschen, die aufgrund des Klimawandels ihre Heimat verlieren? Wenn wir jetzt schon mit zwei Millionen Menschen überfordert sind, wie stellen Sie sich denn bitte die Zukunft vor, wenn aufgrund des Klimawandels 500 Millionen zu uns kommen?“ Kalbitz hat keine Lust mehr. „Das kann ich Ihnen sagen“, erklärt er. „Ich stelle mir die Zukunft vor – ohne diese 500 Millionen Menschen!“ Eine echte Antwort ist das nicht. Die AfD-Anhänger applaudieren trotzdem.