CDU-Bündnis mit AfD vom Tisch: Sachsen steuert auf eine Kenia-Koalition zu
Im Wahlkampf beschimpfte CDU-Ministerpräsident Kretschmer die Grünen heftig. Jetzt wird er wohl mit ihnen regieren müssen.
Mancher in der Führung der Sachsen-CDU wünscht sich, Ministerpräsident Michael Kretschmer hätte schon früher gegenüber den Grünen abgerüstet. Doch noch am vergangenen Montag ätzte der Vorsitzende der Sachsen-Union in einer Runde von Chefredakteuren kräftig. 90 Prozent der Mitglieder der CDU im Freistaat wollten eine Regierungsbeteiligung "partout nicht", sagte Kretschmer. Er selbst rechnete sich ausdrücklich zu diesem Kreis, sagte: "Ich bin der prominenteste Vertreter."
In den Tagen darauf, so berichten es Spitzenpolitiker der Grünen, schickte Kretschmer dann Emissäre los. Sie sollten der Öko-Partei vermitteln, dass es mit der Absage ganz so ernst nicht gemeint gewesen sei.
Und darauf läuft es nun auch hinaus. Die CDU hat zwar gegenüber der Landtagswahl 2014 verloren. Aber sie hat deutlich besser abgeschnitten als bei der Europawahl im Mai und der Bundestagswahl 2017. Vor allem hat sie das Ziel erreicht, wieder stärkste Partei zu werden. Und Kretschmer hat sogar aller Voraussicht nach das Direktmandat in Görlitz geholt.
"Ein toller Tag", sagt Michael Kretschmer
"Ein toller Tag", sagt Kretschmer, als er wenige Minuten nach 18 Uhr vor seine jubelnden Anhänger im Landtagsrestaurant Chiaveri tritt. "Das freundliche Sachsen hat gewonnen. Wir haben es geschafft." Auf den Erfolg der AfD, die am Sonntag bei ungewöhnlich hoher Wahlbeteiligung zweitstärkste Partei geworden ist und so gut abgeschnitten hat wie bei noch keiner Landtagswahl irgendwo in Deutschland, geht er nicht ein.
Auch zu möglichen Koalitionen will er sich nicht festlegen. Er spricht aber ausdrücklich von einer "stabilen Regierung" und erteilt damit auch einer Minderheitsregierung eine Absage, für die CDU-Wahlhelfer Werner Patzelt, Ko-Autor des Landtagswahlprogramms, auf der CDU-Party weiter fleißig in Interviews Werbung macht.
Hinter den Kulissen sind die Weichen für ein Bündnis mit den Grünen längst gestellt. "Logisch, dass es jetzt dazu kommt", sagt ein Führungsmann. Ein anderer erklärt: "Wir machen das. Ganz pragmatisch." Und ein dritter erläutert, dass es nun "ganz eindeutig" auf eine Kenia-Koalition hinauslaufe.
Was die Zugeständnisse gegenüber den Grünen angeht, rüsten sich die CDU-Funktionäre schon einmal: "8,8 Prozent sind keine Mehrheit", sagt einer mit Blick auf einen grünen Zwischenstand bei den Hochrechnungen. "Wir müssen selbstbewusst auftreten."
Ein wenig vorsichtiger formuliert nur Christian Hartmann, der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion. Ihm war seit Monaten nachgesagt worden, er halte sich für den Fall einer CDU-Wahlniederlage bereit für die Kretschmer-Nachfolge. Und auch, dass er ein Bündnis mit der AfD nicht ganz so kategorisch ausschließe, wie es Kretschmer immer wieder getan hat.
Am Wahlabend versichert Hartmann: "Es wird keine Koalition mit Linken oder AfD geben. Dabei bleibt es." Über andere Konstellationen will er nicht sprechen. "Wir haben eine Polarisierung in unserer Gesellschaft. Die müssen wir abbauen."
Tatsächlich hat es seit den sächsischen Kommunalwahlen im Mai neue Annäherungen von CDU und AfD gegeben. Wenige Tage vor der Landtagswahl sogar ausgerechnet in Görlitz, der Heimatstadt des sächsischen Ministerpräsidenten Kretschmer. Viele CDU-Stadträte wählten hier einen AfD-Mann in den Umwelt- und Ordnungsausschuss, einen, der als Waffennarr und Anhänger der rechtsextremen Identitären Bewegung gilt. Der Tabubruch erfolgte damit dort, wo Kretschmer am Sonntag um das Direktmandat kämpfte.
Er erschütterte seine Kontrahenten des CDU-Sachsen-Chefs: Die Grünen-Landtagsabgeordnete Franziska Schubert sagt: "Keine Zusammenarbeit mit der AfD – so das Versprechen des Ministerpräsidenten. Hier ist sein Wahlkreis; das ist seine Basis-CDU. Wir glauben nicht, dass das Versprechen des Ministerpräsidenten im Großen gilt, wenn es im Kleinen eine andere Realität gibt." Der Linken-Landtagsabgeordnete Mirko Schultze warf der CDU vor, "nicht mal vor Identitären halt" zu machen.
Doch für die Landesebene soll, nach dem klaren Vorsprung der CDU vor der AfD, gelten: Debatten über eine Minderheitsregierung, die letztlich auf eine Tolerierung durch die AfD hinauslaufen würde, sind ebenso vom Tisch wie ein formelle Regierungsbeteiligung der Rechten. Das versichern alle Spitzenleute.
"Der Drops ist gelutscht", sagt der erzgebirgische Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz zu diesem Thema. Er positioniert sich seit Jahren klarer als mancher seiner Parteifreunde gegen die auch im Freistaat extrem rechte Partei. Zwar müsse sich die CDU mit den Motiven der AfD-Wähler auseinandersetzen, mit ihrem grundsätzlichen Pessimismus. Dennoch habe er "kein Verständnis" mehr für AfD-Wähler. "Die wählen eine rechtsradikale Partei. Die Maske ist x-mal gefallen."
"Ein historischer Tag", sagt AfD-Mann Urban
Die sächsische AfD feiert ihr Abschneiden in Dresden im sechsten Stock des Landtags. "Das ist ein historischer Tag", ruft Spitzenkandidat Jörg Urban, als auf den Bildschirmen die ersten Zahlen auftauchen. Die AfD habe "die sächsische CDU-Hochburg gehörig ins Wanken gebracht". Ein junger AfD-Mann brüllt "Jawoll!", das Parteivolk skandiert "AfD! AfD! AfD!".
Die Enttäuschung, dass die Partei es nicht geschafft hat, stärkste Kraft im Freistaat zu werden, scheint verkraftbar zu sein. Die AfD ist schon dabei, sich taktisch und strategisch auf weitere Jahre in der Opposition einzustellen. Die Partei glaubt sogar, sie sei ihrem Ziel doch näher gekommen, die CDU zu zermürben und eines Tages die Regierung zu übernehmen.
Zur Taktik der nun größeren Fraktion im Dresdener Landtag gehört nun erstmal, die vermutlich weiter regierende CDU mit einem Untersuchungsausschuss unter Druck zu setzen. Urban behauptet am Sonntagabend, das AfD-Ergebnis wäre noch besser, wenn es nicht diesen "Anschlag" gegeben hätte, "unsere Wahlliste zusammenzustreichen".
Schon im Wahlkampf hatte Urban damit gedroht, die OSZE wegen angeblicher Behinderungen seiner Partei um Hilfe zu rufen. Am Wahlabend bringt er dann sogar Neuwahlen ins Gespräch.
Der Landeswahllausschuss unter Vorsitz von Landeswahlleiterin Carolin Schreck hatte die Wahlliste der Partei wegen formaler Mängel von 61 auf 18 Kandidaten gekürzt, der sächsische Verfassungsgerichtshof ließ dann allerdings 30 Kandidaten zu. Dennoch hat die Partei womöglich besser abgeschnitten, als sich in der Zahl ihrer direkt und über die Liste gewählten Abgeordneten widerspiegeln wird. Die Wut ist groß, es blühen Verschwörungstheorien.
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Es gebe Belege, dass die Landesregierung "Einfluss auf die Landeswahlleiterin" genommen habe, sagt Urban bei seiner kurzen Ansprache am Wahlabend. Mit der Kürzung der Wahlliste seien Wähler verunsichert worden. Und Urban sieht die AfD generell als Opfer. Die rechtlich umstrittene Kürzung der Wahlliste erwähnt er in einem Atemzug mit der Zerstörung vieler Wahlplakate der AfD- Die Partei hätte ein besseres Ergebnis erzielt, "wenn sie im Wahlkampf fair behandelt worden wäre", sagt Urban. Der Applaus ist wieder kräftig.
Beatrix von Storch fühlt sich an die SED erinnert
Die Stimmung ist auch kämpferisch, weil die Partei einen strategischen Vorteil wittert. „Wir haben jetzt die anderen Parteien, wo wir sie haben wollen“, sagt Beatrix von Storch. Die Vizechefin der Bundestagsfraktion ist mit Parteichef Jörg Meuthen nach Dresden gekommen, um mitzujubeln. Und eiskalt prophezeit von Storch eine Wiederauflage der SED. "SPD, Linke, Schwarze, Grüne, alle müssen sich zusammentun gegen uns", sagt sie, "das ist die neue Einheitspartei. Sowas hatten wir schon mal". Die AfD zwinge die anderen Parteien, sich nur noch über die "Negativabgrenzung zur AfD" zu definieren.
Meuthen hat auch gleich einen makabren Begriff parat. Die mögliche Koalition von CDU, SPD und Grünen nennt er gegenüber dem Tagesspiegel "Afghanistan-Koalition", nicht "Kenia-Koalition". Warum Afghanistan? "Da sind ja die Farben auch schwarz, rot, grün." Aber Afghanistan ist im Unterschied zu Kenia ein schwer zerrüttetes Bürgerkriegsland. "Ja", Meuthen freut sich über den provokativen Gag, "Afghanistan ist ein Land in einer schweren Krise, es geht den Bach runter. So kommt es hier auch. Deshalb finde ich ,Afghanistan-Koalition’ stimmiger als ,Kenia-Koalition’."
Ein junger Mann ist in schwarzer Bergmannstracht erschienen. Viele silberne Knöpfe, gekreuzte Hämmer, Quasten am Ärmel. "Ich war im Hüttenwesen tätig", sagt Rolf Weigand. Die Tracht trage er zu besonderen Anlässen. "Heute ist einer, die Liebe zu meiner Heimat zu zeigen."
Weigand hat schon Politikerfahrung, in der vergangenen Legislaturperiode kam er als Nachrücker in den Dresdener Landtag und wurde wissenschaftspolitischer Sprecher der Fraktion. Jetzt könnte er es offenbar wieder ins Parlament geschafft haben und freut sich schon auf eine vermeintlich schwache Regierungskoalition von CDU, SPD und Grünen. "Die wird nicht halten, CDU und Grüne geraten ja schon beim Polizeigesetz aneinander." Der Mann in der schwarzen Tracht kneift die Augen zusammen, "wir werden die vor uns hertreiben".
Dass der CDU immerhin erspart blieb, hinter der AfD zu landen, schreiben sich auch eine spezielle Gruppierung und ihr Enfant terrible zu. Am Sonntag feiert die "Werte-Union" und ihr prominentestes Mitglied Hans-Georg Maaßen getrennt von CDU in einem Hotel wenige Gehminuten vom Landtag entfernt.
"Die Werte-Union und Hans-Georg Maaßen haben dazu beigetragen, dass sich die CDU stabilisiert hat", sagt Ulrich Link, Vorsitzender des sächsischen Verbands der von Merkel ungeliebten Truppe beinharter Konservativer. Link glaubt, die Auftritte Maaßens im Wahlkampf hätten der CDU genützt.
Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer sah das anders, sie drohte dem Ex-Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz indirekt den Rauswurf an - und auch Kretschmer ging auf klare Distanz zu Maaßen. Nach heftiger Kritik in der CDU ruderte Kramp-Karrenbauer zurück. Maaßen wie auch Link sehen keinen Grund, nicht weiterhin Klartext zu sprechen. Am Wahlabend legen sie beide der Bundeskanzlerin nahe, den angekündigten Abschied von der Politik vorzuverlegen.
"Es wäre wirklich gut, sie würde sich auf ihren wohlverdienten Ruhestand konzentrieren", sagt Link. Und Maaßen drängelt, "wer was ankündigt, soll die Leute nicht so lange auf die Folter spannen". Einer derjenigen, die Maaßen im sächsischen CDU-Wahlkampf eingeladen hatten, war Landtagspräsident Matthias Rößler.
Zur Veranstaltung mit Maaßen kamen rund 300 Leute. Als er Kretschmer in den Wahlkreis holte, waren es nur 200, wie er am Sonntagabend genüsslich berichtet. Er wundert sich, dass auf den letzten Metern des Wahlkampfes nicht nur die CDU so gut mobilisieren konnte, sondern auch die AfD. "Rechts von der Union verfestigt sich eine Partei. Das habe ich nicht erwartet. So schnell wird das nicht vorbei sein."
Das gute Abschneiden der AfD könnte ihm selbst zum Verhängnis werden. Nicht abgesichert über die CDU-Landesliste, stand das Mandat des Landtagspräsidenten am Sonntag auf der Kippe.
Frank Jansen, Matthias Meisner