zum Hauptinhalt
Ein von der «Syria Civil Defence» (Weißhelme) am 04.04.2017 zur Verfügung gestellte Foto, zeigt einen Freiwilligen Helfer, der ein Opfer eines mutmaßlichen Giftgasangriffs in Chan Scheichun, Syrien, versorgt.
© Syria Civil Defence/ZUMA Wire/dpa

Bürgerkrieg in Syrien: Welche Möglichkeiten die Weltgemeinschaft jetzt hat

Immer neue Gräuel und Kriegsverbrechen werden bekannt. Welche Möglichkeiten gibt es, dem Horror ein Ende zu setzen? Die Lage in Syrien ist sehr kompliziert.

Es ist ein trauriger Mechanismus: Wenn Kriegsverbrechen und Gräueltaten durch Fotos und Filmmaterial gut dokumentiert sind, steigt der Druck, den Verantwortlichen in den Arm zu fallen. Nicht anders ist es nun mit den Szenen toter und sterbender Kinder aus dem syrischen Ort Chan Scheichun. Doch alle Empörung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Lage in Syrien sehr kompliziert ist.

Welche Informationen über die Verantwortlichen gibt es?

Britische und amerikanische Politiker haben das Regime von Präsident Baschar al Assad für den Angriff verantwortlich gemacht, während Russland umgekehrt die Rebellen beschuldigt. Gleichzeitig schlagen die USA, Großbritannien und Frankreich vor, dass der UN-Sicherheitsrat den Angriff auf Chan Scheichun verurteilt und eine unabhängige Untersuchung einleitet. Darin liege ein Widerspruch, meint der deutsche UN-Experte Johannes Varwick. Die westliche Öffentlichkeit habe zu oft „fragwürdigen oder interessengeleiteten Geheimdienstinformationen“ vertraut, warnt der Politikwissenschaftler von der Universität Halle. Auch wenn jede Plausibilität für die Verantwortung des Assad-Regimes spreche, seien eindeutige Belege notwendig.

Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel sprach zwar von einem „barbarischen Kriegsverbrechen“, hielt sich mit Schuldzuschreibungen aber zurück – und drängte auf eine Untersuchung durch die UN. Der Vizechef des Berliner Thinktanks, Global Public Policy Institute, Philipp Rotmann, findet diese Zurückhaltung vernünftig. „Gerade jetzt, wo kaum jemand auf der Welt der US-Regierung unter Trump noch traut, was Tatsachen und ihre Bewertungen betrifft, ist es gefährlich, sich deren Einschätzung zu eigen zu machen“, sagte der Sicherheitsexperte. Wer eine unabhängige UN-Untersuchung wolle, dürfe deren Ergebnis nicht vorgreifen.

Das russische Verteidigungsministerium versucht, die Schuld für die Tragödie den Aufständischen zuzuschieben: Syrische Kampfflugzeuge hätten ein Lager der Rebellen bombardiert, in dem Giftstoffe für die Produktion chemischer Waffen lagerten. Die Indizien seien aber „sehr stark“, dass das Regime Giftgas einsetzte, sagt der ehemalige Präsident des Bundesnachrichtendienstes, August Hanning. In der Vergangenheit habe Assads Militär bereits mehrfach mit chemischen Waffen bombardiert. Hanning betonte allerdings, die Version der Russen sei nicht völlig auszuschließen. Denn er befürchte, dass Giftgas-Bestände „in Syrien vagabundieren“.

Deshalb sei denkbar, dass auch die Dschihadistenmiliz Dschabhat Fatah al Sham, die in der angegriffenen Stadt Chan Scheichun dominiert, an Giftgas herangekommen sein könnte. Dennoch hält es der Ex-BND-Chef für wahrscheinlich, „dass das Regime jetzt wieder mit Chemiewaffen zugeschlagen hat“. Schärfer noch argumentiert der Terrorismus-Experte Peter Neumann vom King’s College in London. Es gebe „absolut keine Hinweise“, dass die Dschihadistenmiliz über chemische Waffen verfüge. Das habe eine unabhängige UN-Kommission festgestellt.

Wie können die UN den Giftgas-Einsatz ahnden?

Im besten Falle könnte eine von den UN eingesetzte Untersuchungskommission am Tatort Belege sammeln und Zeugen befragen, um zu einem belastbaren Urteil zu kommen. Sobald ein Täter feststände, könnte der UN-Sicherheitsrat in einer idealen Welt die Verantwortlichen benennen und vor den International Strafgerichtshof in Den Haag bringen. Dazu wäre allerdings ein Mandat des UN-Sicherheitsrates notwendig – und das wird schwierig. Im Sicherheitsrat hat Russland immer wieder eine Verurteilung Syriens verhindert – zuletzt Ende Februar, als Sanktionen gegen Assad wegen des Einsatzes von Chemiewaffen vorgeschlagen worden waren.

Für Moskau ist Syrien von strategischem Interesse – auch deshalb griff Russland im Herbst 2015 militärisch mit Luftangriffen gegen die Gegner Assads in den Konflikt ein. „Solange keine Bereitschaft vorhanden ist, die Ergebnisse unabhängiger Untersuchungen anzuerkennen, bleibt es unwahrscheinlich, dass dieses Kriegsverbrechen spürbare Konsequenzen zur Folge hat“, sagt der Sicherheitsexperte Oliver Meier von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. Das aber habe Folgen weit über Syrien hinaus: „Die Straffreiheit dürfte bei möglichen Nachahmern die Bereitschaft verstärken, ebenfalls Chemiewaffen oder andere Massenvernichtungswaffen in Bürgerkriegsszenarien als Terrorwaffen einzusetzen.“

Wie sind die Aussichten für eine Verhandlungslösung?

Deutschland und die EU setzen auf eine Verhandlungslösung. Mittlerweile gibt es zwei Verhandlungsformate: Die Genfer Friedensgespräche werden von UN-Sondervermittler Staffan de Mistura koordiniert. Daneben haben Russland, die Türkei und der Iran, die sich als Einflussmächte in Syrien sehen, in der kasachischen Hauptstadt Astana eine eigene Verhandlungsrunde etabliert, die vom Westen kritisch gesehen wird. Die UN-Runde kommt nur mühsam voran. Die deutsche Außenpolitik hat viel Mühe investiert, um die verfeindeten Regionalmächte Iran und Saudi-Arabien an den Genfer Verhandlungstisch zu bringen.

Die schiitische Macht Iran kämpft mit Revolutionsgarden an der Seite Assads, während das sunnitische Saudi-Arabien die Rebellen unterstützt. Die Milizen der Assad-Gegner sind in Dutzende, teils islamistische Untergruppen zerfallen und blockieren den politischen Prozess immer wieder.

Seit der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten ist zudem die Einigkeit des Westens in diesem Konflikt gefährdet. Erst schien Trump mit der Einteilung der Welt in Interessensphären Assad und Russland in Syrien freie Hand zu geben, inzwischen kommen aus Washington widersprüchliche Signale. „Die Chancen des Westens, den Konflikt zu einem Ende zu bringen, stehen schlecht“, urteilt Politikwissenschaftler Varwick. Das Entsetzen über den Giftgaseinsatz im Westen sei verständlich und richtig, meint der Experte.

Doch der Empörungspegel gehe „wieder zu einem Zeitpunkt hoch, in dem die Einflussmöglichkeiten gering sind“. Der Schlüssel zu einer Befriedung des Landes liege weiter in einer Verständigung mit Russland und dem Iran, wofür der Westen „schmutzige Kompromisse“ eingehen müsse. Viel hänge deshalb davon ab, ob Washington zu einer klaren Linie finde und gegenüber Russland und dem Iran Zugeständnisse machen wolle.

Der Orientexperte Ferhad Ibrahim Seyder von der Freien Universität Berlin hält den Konflikt sogar für „fast unlösbar.“ Eine Aussicht auf Frieden in den nächsten Jahren sieht er jedenfalls nicht.

Warum interveniert die Weltgemeinschaft nicht militärisch, um die Menschen vor Assad zu retten?

Die meisten Länder der Welt lehnen militärische Interventionen in anderen Staaten grundsätzlich ab – oft aus der Erinnerung an ihre eigene Kolonialgeschichte. Auch die UN-Veto-Mächte Russland und China verteidigen das Prinzip der Nichteinmischung – aus eigenem Interesse. Damit bleiben als potenzielle Akteure westliche Staaten wie die USA, Großbritannien, Frankreich oder andere EU-Länder übrig. Zu den Versprechen Trumps gehörte es, sein Land nicht in einen neuen Krieg im Ausland zu verstricken. Doch auch schon sein Vorgänger Barack Obama war nach dem Scheitern der Irak-Invasion und den schlechten Ergebnissen des Afghanistan-Krieges nicht mehr bereit gewesen, US-Soldaten nach Syrien zu schicken.

Die Gefahr wäre hoch, mit dem Einmarsch in ein islamisches Land eine Art Krieg der Religionen zu entfachen. Seit dem Eingreifen des russischen Militärs würde zudem jeder Versuch, die syrische Luftwaffe auszuschalten oder Schutzzonen für Zivilisten einzurichten, das Risiko von Kampfhandlungen zwischen russischen und westlichen Soldaten heraufbeschwören. Davor scheuen westliche Regierungen aus guten Gründen zurück.

Könnte Assad als Sieger aus dem Krieg hervorgehen?

Ein Sieg in dem Sinne, dass Assad wie vor dem Krieg uneingeschränkt das Land beherrscht, scheint kaum vorstellbar. Assads Armee ist ausgezehrt und bereits zu schwach, die derzeit kontrollierten Gebiete alleine zu halten. Ohne Hilfe der Russen, der Iraner und der schiitischen Milizen aus dem Libanon, dem Irak und Afghanistan würde Assad vermutlich untergehen. Deutsche Sicherheitsexperten gehen davon aus, dass die Streitkräfte des Diktators nur noch einige zehntausend Mann stark sind. Zahlreiche Soldaten und Offiziere seien desertiert, außerdem habe die Armee in den vielen Kämpfen hohe Verluste erlitten.

Es sei zudem unklar, ob Assad noch die komplette Kontrolle über sein Militär habe. Teile der Streitkräfte mutieren offenbar zu Warlord-Milizen. Sie stehen auf der Seite des Regimes, agieren aber mehr und mehr autonom. Widersprüchlich ist auch die Rolle der schiitischen Milizen aus anderen Ländern. Die kampfstarke Hisbollah aus dem Libanon und die Truppen aus dem Irak und Afghanistan stützen Assad, beschneiden aber gleichzeitig seine Macht. Dirigiert werden die Milizen vor allem vom Iran.

Sicherheitsexperten verweisen zudem auf das Terrorismus-Problem, das auch bei einem militärischen Sieg Assads nicht verschwinden würde. Die Dschihadisten des IS, der Al-Qaida-nahen Dschabhat Fatah al Scham und andere Islamisten würden weiterhin Anschläge verüben. Ein durchgängig sicheres Syrien unter der Regie von Baschar al Assad halten deutsche Sicherheitskreise schlicht für eine Illusion.

Frank Jansen, Hans Monath, Ronja Ringelstein

Zur Startseite