zum Hauptinhalt
Ob als Legehenne oder Masthähnchen: Für beide gibt es wenig Platz in großen Ställen.
© Julian Stratenschulte/dpa

Fleischfabrik Deutschland: Welche Folgen hat die Massentierhaltung?

Die Tierproduktion hat sich binnen 20 Jahren verdoppelt. Welche Auswirkungen haben Antibiotika-Einsatz und Gülle-Ausbringung auf Mensch und Umwelt? Was passiert in den Ställen?

Anton Hofreiter klingt kämpferisch: „Immer mehr, immer billiger – mit dem irren System der industriellen Massentierhaltung muss Schluss sein! Wir brauchen eine Agrarwende für gutes Essen und eine faire Tierhaltung.“ So preist der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag sein Buch „Fleischfabrik Deutschland“ an, das er am Dienstag gemeinsam mit Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) vorstellen wird.

Das ist eine gleich doppelte Demonstration: ein Flirt mit Schwarz-Grün, an dem Hofreiter wie Altmaier mit Blick auf die Bundestagswahl 2017 ein strategisches Interesse haben. Und es ist ein Signal an die erstarkende Bewegung, die die Folgen der Massentierhaltung nicht mehr hinnehmen will. Die Agrarwende-Bewegung gehört zu den derzeit stärksten sozialen Bewegungen, auf die sich die Grünen im kommenden Jahr zubewegen wollen und – das mag Hofreiter hoffen – an deren Spitze sie sich stellen können.

Was ist die „Fleischfabrik Deutschland“?
Der studierte Biologe Hofreiter hat sich die Auswirkungen der Massentierhaltung für Tiere, Umwelt und Gesundheit angeschaut. Dabei ist nach eigenem Bekunden keine Bibel für Vegetarier herausgekommen, sondern ein Plädoyer für einen maßvollen, bewussten Fleischkonsum und eine nachhaltige Landwirtschaft. Dafür, dass die Landwirtschaft weniger als einen Prozentpunkt an der deutschen Wirtschaftsleistung ausmacht und weniger als 1,5 Prozent der Arbeitsplätze stellt, ist das Maß der ökologischen, gesundheitlichen und sozialen Probleme, die die Branche anrichtet, deutlich überproportional.

1994 ist in Deutschland noch weniger Schweine- und Geflügelfleisch produziert worden, als konsumiert wurde. Damals sind nach Angaben des Statistischen Bundesamts 2,7 Millionen Tonnen Schweinefleisch produziert worden, 2014 waren es bereits 5,5 Millionen Tonnen. Beim Hühnerfleisch waren es 1994 noch 342 000 Tonnen, 2014 aber schon 872 000 Tonnen. Inzwischen exportiert Deutschland stetig größere Mengen an Schweinehälften und gefrorenen Hühnerteilen in alle Welt.

Die Produktionsausweitung fand in den ostdeutschen Bundesländern statt. Die Zahl der Tiere ist deutlich gewachsen, die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe aber ist um etwa 90 Prozent gesunken. Produziert und geschlachtet wird in immer größeren Einheiten. Und immer noch werden neue Bauanträge für Großställe gestellt.

Ähnlich sieht das Bild bei der Milchproduktion aus. 1994 wurden 28,6 Millionen Tonnen Milch produziert, 2014 waren es schon 32,2 Millionen Tonnen. Kein Wunder, dass auf Milchgipfeln im Landwirtschaftsministerium darum gerungen wird, den dramatischen Verfall der Milchpreise aufzuhalten. So viel Milch können die Deutschen gar nicht selbst konsumieren. Doch mit Blick auf das Ende der Milchquote 2015 haben viele Bauern in den Bau großer Kuhställe investiert – immer in der Hoffnung auf den Weltmarkt, und darauf, dass vor allem in China viele Geschmack an der Milch bekommen haben. Diese Bauern stehen vor dem Ruin, weil sie diese gewaltigen Investitionen unmöglich wieder verdienen können. Derzeit kostet sie die Produktion eines Liters Milch auch ohne den Kapitaldienst für die Ställe schon mehr als sie von einer Molkerei bekommen können.

Welche Folgen hat der Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung?

Je größer die Ställe werden, desto schwieriger ist es, die Tiere darin gesund zu halten. Wenn ein Huhn eine Erkältung hat, kann es gleich ein paar Tausend weitere anstecken. Deshalb werden diese Tiere mehr oder weniger prophylaktisch gleich mit behandelt. Bei Hühnern ist es nahezu unmöglich, jedes kranke Huhn rechtzeitig zu isolieren.

Vor einigen Jahren wurden Antibiotika sogar zur Mast eingesetzt. Die Tiere nehmen schneller zu, wenn sie damit behandelt werden. Das ist inzwischen verboten, und in langwierigen Verhandlungen mit dem grünen Landwirtschaftsminister Niedersachsens, Christian Meyer haben sich Geflügelwirtschaft und Tierarztverbände auf eine Minderungsstrategie für den Einsatz von Antibiotika im Stall geeinigt.

Denn der übermäßige Antibiotika-Einsatz in Großställen hat zur Folge, dass die Wunderwaffe gegen Bakterienentzündungen immer öfter nicht mehr wirkt. In Verbindung mit einem viel zu großzügigen Antibiotika-Einsatz in der Humanmedizin hat das verheerende Folgen für die Behandlung multiresistenter Bakterienarten. Aus einer trivialen Entzündung kann so eine lebensbedrohliche Krankheit werden.

Ist Fleisch gesund?

Die deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt Erwachsenen, pro Woche nicht mehr als 600 Gramm Fleisch zu essen. Ein Wert zwischen 300 und 600 Gramm gilt als gesund. Der tatsächliche Verbrauch liegt doppelt so hoch. Die Internationale Krebsforschungsagentur (IARC) hat zudem gewarnt, dass Fleisch Krebs erregende Wirkung haben könnte. Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) beeilte sich damals zu betonen, dass „Fleisch und Würstchen“ kein Gesundheitsrisiko seien.

Die Gülle und das Futter

Vor allem in Niedersachsen werden viele Tiere gehalten.
Vor allem in Niedersachsen werden viele Tiere gehalten.
© Tsp

Wohin mit der Gülle?
Der Nährstoffüberschuss in den Zentren der Massentierhaltung, beispielsweise im Landkreis Vechta in Niedersachsen, ist inzwischen für die Trinkwasserversorgung bedrohlich geworden. Dort wird der Nitrat-Grenzwert für Trinkwasser regelmäßig überschritten, weshalb das Trinkwasser aufwendig behandelt und mit weniger nitrathaltigem Wasser gemischt werden muss, bevor es durch die Wasserhähne fließen darf.

Der Umweltverband BUND hat im „Fleischatlas regional 2016“ recherchiert, dass aus dem Weser-Emskreis, der sich durch eine hohe Tierdichte auszeichnet, 2,3 Millionen Tonnen Gülle in ganz Niedersachsen verteilt werden. Im Landkreis selbst können die Äcker den Reststoff schon lange nicht mehr aufnehmen. Nun wird also das ganze Bundesland überdüngt.

Zeitweise hoffte der Bauernverband, das Gülleproblem mit Bonuszahlungen für Biogasanlagen, in denen auch Gülle vergoren wird, in den Griff zu bekommen. Das erwies sich als teure Subvention für die Massentierhaltung und wurde mit dem Erneuerbare-Energien- Gesetz 2014 abgeschafft.

Die Massentierhaltung und die Probleme mit der Gülle sind auch der wesentliche Grund dafür, dass die EU-Kommission Deutschland wegen der Nicht-Einhaltung der Nitratrichtlinie vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt hat.

Womit werden die Tiere gefüttert?

Die Futtermittel für die Großställe werden schon lange nicht mehr in Deutschland produziert. So viel könnten die deutschen Bauern gar nicht produzieren. Und seit es im Zuge der BSE-Krise verboten ist, Schlachtabfälle, die zu Tiermehl verarbeitet wurden, in die Tröge der Tiere zu werfen, kommt ein Großteil der Futtermittel aus Südamerika.

Sojaschrot wird zu 90 Prozent in der Tiermast verfüttert und zu etwa zehn Prozent an Milchkühe. 4,5 Millionen Tonnen Sojaschrot werden aus Brasilien, Argentinien und Paraguay für die deutsche Massentierhaltung jährlich importiert. Der Sojaanbau ist in allen drei Ländern stark ausgeweitet worden. Die Savannengebiete der drei Länder sind überwiegend dem Sojaanbau zum Opfer gefallen. Ein Großteil davon ist gentechnisch veränderte Soja.

Was passiert in den Hühnerställen?

Seit das Bundesverfassungsgericht 1999 entschieden hat, dass ein DIN A4-Blatt nicht genug Platz für eine Legehenne in einer Käfigbatterie und diese Haltungsform ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz ist, hat sich die Lage für die Legehennen verbessert. Im vergangenen Monat hat Agrarminister Schmidt eine Verordnung in Kraft gesetzt, nach der die im Anschluss eingeführte neue Käfighaltung in so genannten ausgestalteten Käfigen verboten wird. Die Betriebe, die noch so produzieren haben allerdings eine lange Übergangszeit bis 2025, um die Käfighaltung für Hennen in Deutschland endgültig zu beenden.

Doch Masthähnchen oder Masthühnchen haben noch weniger Platz als Hennen in Batteriekäfigen. Sie werden in dunklen Ställen gehalten und wachsen so schnell heran, dass sie kurz vor der Schlachtung manchmal nicht einmal mehr eine Tränke erreichen können in der Enge. Nach 40 Tagen werden die Masthühnchen geschlachtet. Die natürliche Lebenserwartung eines Huhns liegt zwischen acht und zwölf Jahren.

Schlecht ergeht es auch den männlichen Küken, die in Hennenbrütereien schlüpfen. Da sie keine Eier legen, werden 40 bis 50 Millionen männliche Küken pro Jahr in Deutschland an ihrem ersten Lebenstag vergast und geschreddert. Seit Jahren kritisierten Tierschützer die massenhafte Tötung gesunder Küken. Auch Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) will die Praxis bis 2017 beenden. Verbieten will er sie jedoch nicht. Stattdessen fördert das Agrarministerium ein Forschungsprojekt zur Geschlechtserkennung im Ei.

Wie Schweine und Rinder gehalten werden

Seit 1994 hat sich die Produktion von Schweinefleisch in Deutschland auf 5,5 Tonnen verdoppelt.
Seit 1994 hat sich die Produktion von Schweinefleisch in Deutschland auf 5,5 Tonnen verdoppelt.
© Patrick Pleul/dpa

Wie geht es deutschen Schweinen?
Eine Zuchtsau ist eine arme Sau. Die meisten Sauen werden einen Großteil ihres etwa dreijährigen Lebens im sogenannten Kastenstand gehalten. Mit sieben Monaten werden sie das erste Mal künstlich besamt, tragen die Ferkel aus, gebären in einem engen Käfig, in dem sie sich nicht einmal umdrehen können, die Ferkel sitzen hinter einer Stange und können gerade mal die Zitzen erreichen.

Die Sauen können kaum Kontakt zu ihren Ferkeln aufnehmen. Begründet wird diese Haltung damit, dass sie ihre Ferkel erdrücken könnten. In Haltungsformen mit mehr Platz ist die Verlustrate jedoch nach Angaben der Tierschutzorganisation Vier Pfoten nicht höher als im Kastenstand. Seit 2013 müssen die Sauen nach etwa vier Wochen, in denen sie ihre Ferkel zumindest säugen dürfen, in Gruppen gehalten werden. Doch zügig danach landen sie wieder im Käfig, um erneut besamt zu werden.

Die Ferkel erleben schon Tage nach ihrer Geburt das erste Mal, dass sie eine Ware sind. Dann werden die männlichen Ferkel betäubungslos kastriert. Eberfleisch hat einen Eigengeruch, den viele Konsumenten nicht akzeptieren. Christian Schmidt und seine Kollegen aus den Niederlanden und Dänemark wollen nun zumindest erreichen, dass die Ferkel betäubt werden müssen, bevor geschnitten wird.

Wenig später werden den Ferkeln die Schwänze abgeschnitten. Denn in den engen Ställen, in denen sie gemästet werden, haben sie so wenig Platz, dass sie sich gegenseitig die Schwänze abbeißen. Um die damit verbundenen Verletzungen zu vermeiden, werden den Ferkeln auch noch die Eckzähne abgeschliffen.

Die Tierschutzorganisation Vier Pfoten kritisiert seit Jahren, dass nicht die Verhältnisse in den Ställen für Schweine erträglich gestaltet werden, sondern die Schweine an die unerträglichen Haltungsbedingungen angepasst werden.

Die Schweinewirtschaft ist so spezialisiert, dass die Mastschweine inzwischen mehrere längere Transporte erleiden müssen. Die Ferkel werden zunächst bei einem Mäster abgesetzt, und womöglich nach ein paar Wochen auf einem weiteren spezialisierten Hof bis zur Schlachtreife gemästet. Erst dann treten sie ihren letzten Transport zum Schlachthof an.

Schweine können übrigens 20 Jahre alt werden, wenn sie gute Bedingungen vorfinden, also Beschäftigungsmöglichkeiten, die Möglichkeiten zum sozialen Kontakt mit anderen Schweinen, und Möglichkeiten zu graben und sich zu suhlen. So leben allenfalls Schweine, die besonders tierschutzgerecht gehalten werden.

Wie werden Rinder gehalten?

Milchkühe werden immer seltener auf der Weide gehalten. Viele sehen ihr ganzes Leben keine Wiese, sondern werden im besseren Fall in Laufställen gehalten. Im schlechteren Fall werden sie angebunden und können sich kaum hinlegen. Die Kühe geben nur Milch, wenn sie Kälber haben. Die Kälber werden aber schon kurz nach der Geburt von den Kühen getrennt.

Nach etwa fünfeinhalb Jahren sind die Milchkühe am Ende. Ein Zuchtbulle, der die Spermien für die künstliche Befruchtung der Milchkühe produziert, kommt auf etwa drei Jahre Lebenszeit.

Mastrinder werden gerade mal 18 bis 24 Monate alt, bis sie geschlachtet werden. Kälber werden nach etwa acht Monaten geschlachtet. Allen Kälbern werden in den ersten Lebenswochen ihre Hörner ausgebrannt. Denn in engen Ställen könnten sich die Kühe mit den Hörnern gegenseitig verletzen.

Eine Betäubung ist auch für diese Prozedur nicht vorgesehen sondern wird nur dort praktiziert, wo sich die Höfe zu einer besonders tierfreundlichen Haltung entschlossen haben, beklagt die Welttierschutzgesellschaft, die sich besonders für eine bessere Milchkuhhaltung einsetzt.

Zur Startseite