Die Kandidatin für alles: Was kommt als Nächstes für Franziska Giffey?
SPD-Vorsitzende will die Familienministerin nicht werden – vorerst. Doch ihr stehen andere Optionen offen.
Nach dem für sie positiven Urteil über ihre Promotion hat Franziska Giffey entschieden, sich trotzdem nicht um den SPD-Vorsitz zu bewerben. Dabei hatten viele Sozialdemokraten auf sie gehofft.
Welche Optionen hat die Hoffnungsträgerin der SPD in naher Zukunft?
Die Entscheidung der Freien Universität Berlin, dass Franziska Giffey den Doktortitel behalten darf, bringt die Bundesfamilienministerin in eine komfortable Lage. Ihr stehen nun viele Türen offen, sowohl im Bund wie auch in den Ländern Berlin und Brandenburg. Das gilt nicht nur für Spitzenpositionen in der SPD, sondern auch für attraktive Regierungsjobs. Genossen im Berliner Landesverband, die sie besser kennen, gehen aber davon aus, dass Giffey jetzt nichts übers Knie brechen wird. Noch gebe es eine Bundesregierung, der sie angehöre – und es gehe schließlich um Entscheidungen, die ihr künftiges Leben prägen werden.
In Berlin wird Giffey schon lange als SPD-Kandidatin für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin gehandelt. Ihr trauen viele Parteifreunde zu, anstelle des schwachen und unpopulären Regierungschefs Michael Müller den Berliner Sozialdemokraten bei der Abgeordnetenhauswahl im Herbst 2021 zu einem Wahlsieg zu verhelfen. In Brandenburg könnte sie, aber das sind nur vage Planspiele, zur Mitte der neuen Wahlperiode den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Dietmar Woidke nach zehn Jahren im Amt ablösen. In der Bundespartei würden die Berliner Genossen Giffey künftig gern als Vize-Parteichefin sehen, wenn sie schon auf den SPD-Vorsitz verzichtet.
Wie groß wären ihre Chancen, in Berlin Regierende Bürgermeisterin zu werden?
In der Berliner SPD wagen manche Sozialdemokraten die Prognose, dass Franziska Giffey bei einer parteiinternen Befragung, ob sie bei der Abgeordnetenhauswahl 2021 SPD-Spitzenkandidatin werden solle, eine Zustimmung von 80 Prozent der Mitglieder bekäme. In jedem Fall ist die Zustimmung an der Basis groß und die Genossen in Partei und Parlamentsfraktion sind begeistert, dass Giffey ihren Doktortitel – und damit ihr Ministeramt – behalten kann. „Das freut mich, das ist gut für die SPD“, sagt stellvertretend für viele Parteifreunde der Berliner SPD-Fraktionschef Raed Saleh. „Sehr gut sogar“, fügt er hinzu.
„Franziska ist eine, die das Ruder herumreißen kann“, sagt ein anderer führender Genosse. Aber es gibt drei Klippen, die die hochgelobte Wahl-Neuköllnerin mit Ost-Biografie überwinden muss, um das Rote Rathaus zu erobern. Erstens müsste Amtsinhaber Michael Müller den Weg freimachen. Noch ist unklar, ob er freiwillig verzichten wird – oder ob er „noch einmal durchzieht“, wie es ein Sozialdemokrat formuliert. Zweitens müsste Giffey den starken linken Flügel des Landesverbands für sich gewinnen. Nicht nur persönlich, sondern auch politisch-strategisch. Es gibt Parteilinke, die sagen, dass dies schwer möglich sei.
Die dritte Hürde, die sie überwinden müsste, ist die politische Stimmung in der Stadt. Die große Mehrzahl der Berliner weiß mit den Sozialdemokraten nicht mehr viel anzufangen. Die SPD liegt seit einem Jahr in den Umfragen bei 15 bis 17 Prozent, hinter Grünen und Linken und gleichauf mit der CDU. Wenn eine SPD-Spitzenkandidatin Giffey den Hauch einer Chance haben will, muss sie im nächsten Wahlkampf die Grünen überholen, die seit Juni in Umfragen stabil bei 24 bis 27 Prozent liegen. Das ist nicht unmöglich, als volksnahe und charismatische Wahlkämpferin wird Giffey nicht nur in der SPD eine erfolgreiche Aufholjagd zugetraut. Entscheidend dürfte sein, mit welchem Personal die Grünen in die Wahl gehen.
Könnte Giffey auch den Landesvorsitz der Berliner SPD übernehmen?
Im April 2016 eroberte der Regierende Bürgermeister Müller den Landesvorsitz zurück, den er vier Jahre zuvor an den Parteilinken Jan Stöß verloren hatte. Bei der letzten Vorstandswahl 2018 wurde er mit nur 65 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt. Doch am 16. Mai 2020, wenn der Landesvorstand neu gewählt wird, könnte es zum Schwur kommen. Es ist mit einer Doppelspitze zu rechnen, der Giffey angehören könnte – falls sie bereit ist, sich auf den schwierigen und schwer kalkulierbaren Berliner Landesverband einzulassen.
Vielleicht ist ihr eine strategisch wichtige Rolle im SPD-Bundesvorstand lieber. Klaus Wowereit hatte es stets zu vermeiden gewusst, neben dem Amt des Regierenden auch den Vorsitz der Berliner SPD zu übernehmen und arbeitete stattdessen darauf hin, 2009 für vier Jahre stellvertretender Parteichef der Sozialdemokraten zu werden.
Wäre es für Franziska Giffey im Land Brandenburg einfacher?
Bequemer wäre es für sie in jedem Fall. Als die Bundesfamilienministerin noch fürchten musste, den Doktortitel zu verlieren und anschließend das Regierungsamt, galt ein Platz im neuen Kenia-Kabinett Woidkes als mögliche Rückfallposition. Das hat sich nun erledigt. Doch umworben wird Giffey, in Frankfurt/Oder geboren und in einem Dorf bei Fürstenwalde aufgewachsen, von den Brandenburger Genossen schon lange. Sie gilt als „Landeskind“, außerdem sind auch in der Brandenburger SPD Nachwuchstalente selten. Politisch und mental würde sie besser in den dortigen Landesverband passen als nach Berlin.
Warum steigt Giffey eigentlich nicht ins Rennen um den SPD-Vorsitz ein?
Im Juni warf Franziska Giffey einen Stein ins Wasser. Die Menschen wollten keine „Miesepeter“, sondern gut gelaunte Politiker, erklärte die stets gut gelaunte Politikerin in einem Interview. Viele Sozialdemokraten meinten, die Ministerin wolle austesten, ob sie als Vorsitzenden-Kandidatin willkommen sei. Viele lobten sie. Wenige Wochen später sagte sie ab: Das offene Verfahren um die unter Plagiatsverdacht stehende Doktorarbeit wolle sie der SPD nicht zumuten.
Für viele Genossen wäre es eine Erlösung gewesen, wenn Giffey sich nun doch anders entschieden hätte. „Ohne Promotionsverfahren hätte Franziska Giffey sicher von Anfang an als Kandidatin für den Parteivorsitz zur Verfügung gestanden“, sagt etwa der Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer und verweist auf ihre Bindungskraft. Sie sei „mit die gewinnendste Persönlichkeit der SPD“.
Rechtlich wäre es wohl möglich, auch zu diesem späten Zeitpunkt in das Rennen einzusteigen. Juristisch formal entscheiden über die Parteispitze nicht die Mitglieder, die nun die Wahl zwischen des Duos Klara Geywitz/Olaf Scholz und Saskia Esken/Norbert Walter-Borjans haben. Diesen Beschluss kann nur der Bundesparteitag treffen, der dem Mitgliederentscheid folgen soll.
So hätten sich Giffey, Geywitz und Scholz wohl zusammensetzen und erklären können: Wer nun für Geywitz und Scholz stimmt, erhält Giffey und Scholz, Geywitz wird SPD-Generalsekretärin. Oder: Wer für Geywitz und Scholz stimmt, erhält Geywitz und Giffey sowie Scholz als Kanzlerkandidaten. Dies wäre aber ein politisch gefährlicher Eingriff ins Verfahren gewesen.
Giffey hatte schon im Sommer ein weiteres Argument genannt, das bei ihrer Entscheidung über eine Kandidatur wichtig sei: Sie werde darauf achten, noch genug Zeit für ihren Sohn zu haben.
Ist ein Wechsel an die Spitze der SPD nun für alle Zeit erledigt?
Nichts ist für die Ewigkeit, schon gar nicht in der Politik. SPD-Kenner sagen: Giffey verfüge mit 41 Jahren noch gar nicht über die notwendige Erfahrung, eine so schwierige Partei zu leiten. Wenn das stimmt, könnte die Übernahme einer wichtigen Aufgabe in Berlin oder Brandenburg sie genau dafür qualifizieren. Sofern sie erfolgreich wäre, könnte sie ihr politisches Gewicht mehren – und dann gestärkt in die Bundespolitik zurückkehren. Auch ihr Sohn wäre dann schon größer – und womöglich nicht mehr so stark auf seine Mutter angewiesen.