Franziska Giffey und die SPD: Mit Herz und Ehrgeiz
Viele Genossen sind enttäuscht, weil die Ministerin auch mit geprüftem Doktortitel nicht Parteichefin werden will. Sie hat noch andere Optionen. Ein Kommentar.
Einen halben Tag lang haben verzweifelte Sozialdemokraten gemeint, sie könnten einen Lichtblick am Horizont ausmachen. Große Erwartungen richteten sich an Franziska Giffey, nachdem die Freie Universität am Mittwochabend erklärt hatte, die Familienministerin dürfe ihren Doktortitel behalten. Doch die Hoffnung, sie währte nur wenige Stunden. Am Donnerstagmittag trat die Berliner Sozialdemokratin vor die Presse und gab bekannt, sie wolle sich nicht um den SPD-Vorsitz bewerben.
Die Vorstellung, Franziska Giffey könnte doch noch im Rennen um die Nachfolge von Andrea Nahles antreten, hat in der SPD politische Energien von einiger Wucht freigesetzt. Bis dahin war die Partei vor allem erschöpft gewesen. Denn die Versprechen der Interimsführung zündeten nicht. Weder hat die Basisentscheidung über die Parteispitze die SPD ungemein belebt, wie behauptet wurde. Noch wird sie die Partei mit sich selbst versöhnen und ihr eine Führung bescheren, die alle akzeptieren.
Vielmehr ahnen viele Genossen allmählich, dass das gepriesene Verfahren die Lage am Ende sogar noch schlimmer machen könnte. Von der schlechten Erfahrung mit der emotionalen Berg- und Talfahrt des Kanzlerkandidaten Martin Schulz, der am Ende auch noch den Parteivorsitz verlor, wollte die kommissarische Parteiführung offenbar nicht lernen. Stattdessen versprach sie wieder eine grundlegende „Erneuerung“. Das klang, als sei die Übergabe der Entscheidung an die Basis ein Heilmittel, an dem die Partei sich gesund trinken könne.
Nun steht die SPD aber mit zwei Kandidatenduos da, die viele Zweifel wecken, aber kaum das große Versprechen der Erneuerung einlösen können. Vizekanzler Olaf Scholz, der seit Jahren zur SPD-Führung gehört und wie kein anderer die große Koalition verkörpert, weckt nicht einmal bei seinen Anhängern Begeisterung. Gefühle zu wecken, gar positive, gehört nicht zu seinen Stärken. Auch Klara Geywitz öffnet mit ihrem grundsoliden Pragmatismus keine Räume für Sehnsucht in der Partei.
Am SPD-Vorsitz sind schon viele gescheitert
Ex-NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans, der sich schon aus der Politik zurückgezogen hatte, steht mit seinen 67 Jahren jedenfalls nicht für jugendliche Frische. Und seine Partnerin Saskia Esken hat zwar ein geschlossen linkes Weltbild, aber viel zu wenig Führungserfahrung. Deshalb gibt es bis in die verbliebene SPD-Spitze hinein massive Zweifel, ob sie dem Amt überhaupt gewachsen ist. Es sind, das sollte man nicht vergessen, schon gestandene Ministerpräsidenten und eine mit allen Wassern gewaschene Gremienpolitikerin daran gescheitert.
Nur vor diesem Hintergrund ist die Hoffnung auf den Einstieg der Ministerin in das SPD-Rennen verständlich. „Die Leute entscheiden viel über den Bauch und das Herz“, hatte Franziska Giffey im Sommer gesagt. Es sei „extrem wichtig, dass jemand im Vorsitz ist, der Bauch und Herz erreicht“. Die frühere Bezirksbürgermeisterin von Neukölln – sie sprach von sich selbst. Tatsächlich haben nur wenige andere Politiker die Fähigkeit, so offen, unverkrampft und einladend auf Menschen zuzugehen wie sie.
Die Familienministerin aber hat andere Möglichkeiten, als nun der Bundes-SPD ein Führungsversprechen zu machen. Die Berliner Sozialdemokraten stecken in Nöten. Es liegt auch an Michael Müller, wenn der Mietendeckel nun von einer Mehrheit der Linkspartei als Verdienst zugeschrieben wird und nicht seiner Partei. Dringend braucht die SPD eine Persönlichkeit, die ihre Politik glaubwürdig verkörpert und Schutz verspricht, Schutz vor sozialen Schieflagen und anderen Gefahren. Schon einmal ist ein Regierender Bürgermeister aus Berlin Kanzler geworden.
Aber da ist noch mehr: In ihrem Heimatland Brandenburg lieben die Menschen sie. Franziska Giffey wird Angebote bekommen. Womöglich hat sie noch größere Ziele. Dann muss sie darauf hoffen, dass es die SPD noch gibt, wenn sie sich an neuer Stelle bewährt hat.