Plagiatsexperte über Giffey-Entscheidung: „Die Rüge ist eine Pseudo-Sanktion“
Ein Mitarbeiter von VroniPlag Wiki kommentiert im Interview das milde Urteil der FU über die Dissertation der Familienministerin: „Magna cum laude et Rüge“.
Die Freie Universität hat ihr Urteil im Fall der Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) gefällt. Statt des Entzugs des Doktortitels, den die Plagiatsdokumentation auf der Plattform VroniPlag Wiki nahelegte, wurde am Mittwochabend nur eine "Rüge" für die Nichteinhaltung wissenschaftlicher Standards verkündet.
Im Tagesspiegel-Interview äußert sich dazu der Mitarbeiter von VroniPlag Wiki, der die Recherche angestoßen hat. Er will anonym bleiben, nennt sich "Robert Schmidt" und beantwortet Journalistenfragen per E-Mail.
Haben Sie sich bei Ihrer Einschätzung zu Franziska Giffeys Doktorarbeit geirrt?
Nein. Auch wenn in der Öffentlichkeit die angeblich lange Verfahrensdauer kritisiert wurde, war ich sehr überrascht, dass bereits nach knapp neun Monaten eine Entscheidung gefallen ist. Normalerweise dauern Promotionsüberprüfungen an der FU über ein Jahr; auch vier Jahre sind keine Seltenheit.
Sie sehen sich mit Ihrer Kritik an Giffey Arbeit also weiterhin im Recht?
Die relativ kurze Dauer hängt damit zusammen, dass – jedenfalls nach der veröffentlichten Entscheidungsbegründung – ein weiterer zentraler und zeitaufwändig zu untersuchender Vorwurf von VroniPlag Wiki (neben den Plagiaten an sich) gar nicht überprüft wurde: die zahlreichen willkürlichen Referenzierungen. Wenn man Aussagen durch Angabe von Quellen, die das Ausgesagte gar nicht belegen, zu belegen vorgibt – wie Frau Giffey das nach unseren Erkenntnissen in über 70 Fällen getan hat –, stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis man es hier noch mit einer wissenschaftlichen Arbeit und nicht mit schlechter Belletristik zu tun hat. Hier hätte nach dem Berliner Hochschulgesetz noch geprüft werden müssen, ob „wesentliche Voraussetzungen für die Verleihung [des akademischen Grades] nicht vorgelegen haben“. Mir drängt sich der Eindruck auf, dass die relativ schnelle Entscheidung außerwissenschaftlichen Faktoren geschuldet ist.
Die Kommission der Freien Universität hat sich an den Fundstellen von VroniPlag Wiki abgearbeitet und widerspricht den beanstandeten Bauernopfern, Verschleierungen etc. offenbar nicht im Einzelnen. Wie ist das milde Urteil dann zu erklären?
In erster Linie wollte die Kommission wohl die eigene Institution, also die Universität, nicht beschädigen. Bei einer Aberkennung wären aber auch der Fachbereich Politikwissenschaft der FU und insbesondere Frau Giffeys Doktormutter Tanja Börzel, die dort eine herausragende Stellung einnimmt, verstärkt ins Zwielicht geraten: Weil nicht nur eine inhaltlich sehr dürftige Arbeit angenommen, sondern auch noch ohne ernsthafte Prüfung durchgewinkt wurde.
Mit der meines Wissens nirgends vorgesehenen Rüge, die niemandem richtig weh tut und eine Pseudo-Sanktion darstellt, versucht sich die FU nun mehr schlecht als recht aus der Affäre zu ziehen, da sie die zahlreichen Verstöße nicht leugnen kann.
Die FU argumentiert mit dem Bundesverwaltungsgerichtsurteil von 2017 zu Mathiopoulos, eine Aberkennung des Doktorgrads sei nicht zulässig, wenn die Zitierfehler quantitativ und qualitativ nicht „überhandnehmen“ und der Kern der Arbeit davon nicht berührt ist. Können Sie das nachvollziehen?
Da Frau Giffey sogar im Schlusskapitel der Arbeit, in dem „aus den Ergebnissen der vorangegangenen Untersuchung Schlussfolgerungen gezogen“ werden sollten, in nicht unerheblichem Umfang abgeschrieben hat, könnte man erstens durchaus die Ansicht vertreten, dass ohne die Plagiate keine beachtliche bzw. eigenständige wissenschaftliche Leistung mehr vorliegt und der Kern der Arbeit eben doch betroffen ist. Aber wie Gerhard Dannemann schon ausgeführt hat, steht zweitens dieser Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts eine sich über Jahrzehnte erstreckende Rechtsprechungsgeschichte der Verwaltungsgerichte entgegen, derzufolge eine Reduktion auf einen als Promotionsleistung ausreichenden plagiatsfreien Kern nicht zulässig ist. Die FU musste sich keineswegs an diesem Urteil im Fall Mathiopoulos orientieren.
[Wie die Freie Universität begründet, dass Giffey der Doktorgrad nicht entzogen wird, lesen Sie ausführlich hier.]
Das Team von VroniPlag Wiki hat im Fall Giffey auf Vorsatz etwa beim Verschleiern von Plagiaten erkannt. Wie kann die FU darüber hinweggehen?
So wie ich die Stellungnahme der FU verstehe, wird das Vorliegen einer Täuschung nicht bestritten. Das Berliner Hochschulgesetz räumt der Hochschule aber auch in diesem Fall einen Ermessensspielraum ein, den sie zugunsten von Frau Giffey ausgeschöpft hat.
Welches Signal in Richtung von Studierenden und Lehrenden geht von dem FU-Freispruch mit Rüge aus?
Für Studierende bedeutet es, dass man es im Zweifelsfall mit Betrügen ja mal versuchen kann – wenn man es denn nicht allzu sehr übertreibt. Und für Lehrende, dass man bei eingereichten Arbeiten nicht besonders genau hinsehen muss, da man sich dadurch erstens Arbeit, die einem niemand dankt, und zweitens auch Unannehmlichkeiten ersparen kann. Die proklamierte Exzellenz wird mit diesem „magna cum laude et Rüge“ sicher nicht befördert.