Saudi-Arabiens neuer Botschafter im Interview: "Wir wollen einen moderaten und toleranten Islam"
Sein Land hat hierzulande keinen guten Ruf – das will Botschafter Awwad S. Alawwad ändern. Ein Gespräch über Menschenrechte, Religion und Reformen
Herr Alawwad, sind Sie mit einer eigenen Agenda als Botschafter nach Deutschland gekommen?
Für mich ist die Ernennung zum Botschafter Saudi-Arabiens in Deutschland eine große Ehre. Seit 80 Jahren, als Deutschland als erstes europäisches Land in die Entwicklung meines Landes investiert hat, verbindet unsere beiden Länder eine umfassende Beziehung, und ich bin mir sicher, dass wir diese Partnerschaft gemeinsam zu neuen Höhen führen können. Doch wie in jeder glücklichen Ehe gibt es auch Herausforderungen. Als Teil einer neuen Generation von Regierungsvertretern ist es mein Ziel, unsere gute Beziehung in allen Bereichen zu festigen und zu stärken und auf dem aufzubauen, was bisher schon erreicht wurde.
Sind Sie auch bereit, mit der deutschen Öffentlichkeit sensible Themen wie die Lage der Menschenrechte in Ihrem Land zu diskutieren?
Unbedingt. Kommunikation ist ein wesentlicher Bestandteil meiner Amtszeit. Deutschland ist für Saudi-Arabien ein sehr wichtiges Land. Diese Beziehung lässt sich nur dadurch stärken, dass man offen ist, mit den Menschen spricht und auf sie zugeht. Genau das tue ich. Ich bin hier, um Brücken zu bauen – in Bezug auf Politik und Wirtschaft, aber genauso bezüglich der immer wichtiger werdenden "Soft Power"-Faktoren wie Kultur und Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft. Das ist die Sprache meiner Generation.
Was sind die Säulen der saudisch-deutschen Beziehungen?
Unsere Beziehung fußt auf den Säulen Politik, wirtschaftliche Kooperation sowie kultureller Austausch. Ich selbst komme aus dem Investment-Bereich, erlauben Sie mir deshalb diese Ausführung: Saudi-Arabien, aber noch mehr Deutschland haben insbesondere von den sehr guten wirtschaftlichen Beziehungen profitiert, die uns verbinden. Die Handelsbilanz war stets ausgezeichnet und zum Vorteil von Deutschland. Ihr Land exportiert jährlich Waren im Wert von zwölf Milliarden Euro an uns, wir hingegen exportieren lediglich im Umfang von 800 Millionen. Uns ist daran gelegen, das Volumen von Handel und Investitionen mit Deutschland zu verdoppeln. Ein Schwerpunkt wird dabei auf den erneuerbaren Energien liegen, insbesondere der Solarenergie, aber auch auf dem Bankenwesen, dem Transport und der Logistik. Als Botschafter in diesem Land ist es eine meiner Aufgaben, die wirtschaftlichen Beziehungen zum Wohle unser beider Länder zu intensivieren. Und ich kann Ihnen versichern, dass wir mit dem Start unserer "Vision 2030" unsere Partnerschaft auf eine neue Stufe heben werden.
Wie steht es denn um die politischen Beziehungen?
Deutschland und Saudi-Arabien unterhalten eine sehr umfassende politische Beziehung, die von gegenseitigem Verständnis geprägt ist. Wir sprechen weitgehend die gleiche Sprache. Wir sind langjährige Partner mit gemeinsamen Interessen. Wir sind zusammen mit Frankreich, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten Teil einer größeren Koalition. Die Krise im Nahen Osten bringt uns näher zusammen. Deutschland spielt gemeinsam mit uns eine wichtige Rolle bei der Suche nach einer friedlichen Lösung, vor allem in Syrien und im Jemen. Gemeinsam arbeiten wir daran, diese Ziele zu erreichen, Lösungen zu finden für die Flüchtlingskrise und ebenso die Syrische Opposition zu unterstützen, die sich aus allen Konfessionen und Fraktionen zusammensetzt und bei deren Organisation wir eine führende Rolle gespielt haben.
Was halten Sie vom Atomabkommen mit dem Iran?
Wir haben wirklich die Hoffnung, dass das Atomabkommen mit dem Iran der Bedrohung durch die Verbreitung von Atomwaffen ein Ende setzen kann. Unsere Sorgen beschränken sich nicht auf Sicherheitsaspekte und eine militärische Gefährdung, sondern auch auf das Umweltproblem, das von solchen nuklearen Ambitionen für die Region ausgehen kann. Die Atomkraftwerke im Iran werden in erdbebengefährdeten Gebieten gebaut, und die Technologie ist nicht sehr solide. Wir müssen sicherstellen, dass es zuverlässige Sicherheitsmaßnahmen gibt, die mögliche Situationen verhindern, die zu Umweltkatastrophen führen könnten.
Das klingt sehr skeptisch …
Wir hoffen, dass das Abkommen sein Ziel erreicht. Trotzdem sollten wir wachsam sein. Der wirkliche Knackpunkt ist nicht die Unterzeichnung der Vereinbarung. Es geht darum, die Vereinbarung auch umzusetzen. Sie muss zu hundert Prozent umgesetzt werden.
"Wir wollen den Anteil von Frauen an den Arbeitskräften erhöhen"
Was erwartet Saudi-Arabien vom Iran?
Für uns ist Sicherheit und Stabilität im Nahen Osten vorrangig. Besondere Sorgen bereitet uns und anderen arabischen Staaten die interventionistische Politik des Iran in interne Angelegenheiten anderer souveräner Staaten, die gegen internationales Recht verstößt. Wir wollen, dass der Iran diese Art von Aktivitäten einstellt, welche Sektierertum befördern und Terrorgruppen wie die Hisbollah und Milizen wie die Huthis dazu ermutigen, Länder gegen das Wohlergehen der Menschen und gegen die legitime Regierung in ihre Gewalt zu bringen. Es wäre viel gewonnen, wenn der Iran solche Aktionen unterbleiben ließe. Das wäre ein großartiger Schritt, der der Stabilität des gesamten Nahen Ostens dienen würde.
In Deutschland und Europa besteht die große Befürchtung, dass auch Saudi-Arabien den Terror exportiert…
Diese Anschuldigung entbehrt jeglicher Logik. Dieses Schwarze-Peter-Spiel bietet keine Lösungen. An der Seite unserer europäischen Verbündeten arbeitet Saudi-Arabien seit Langem unermüdlich an der Natur der terroristischen Bedrohung, unter der wir seit Jahrzehnten leiden. Zudem haben wir die strengsten Anti-Terror-Gesetze eingeführt, tauschen relevante Informationen mit unseren Verbündeten aus und waren die Ersten, die die Terrorfinanzierung unter Strafe gestellt haben. Schließlich haben wir durch unsere fortwährenden Bemühungen, den Terrorismus zu bekämpfen, mit 39 anderen Nationen eine Anti-Terror-Koalition gebildet. Aber es geht nicht nur um Terrorismus und um Gesetze – wir arbeiten auch daran, die Köpfe und Herzen der jungen Menschen zu erreichen, das Konzept eines moderaten und toleranten Islam zu etablieren und jeglicher Begründung für Extremismus und Terrorismus die intellektuelle Grundlage zu entziehen. Davon abgesehen: Wenn Ihr Argument wahr wäre bezüglich des Ideenexports – warum werden sie dann nicht in unsere Nachbarländer wie Dubai, Abu Dhabi oder Bahrain exportiert? Letzteres ist übrigens nur 20 Kilometer entfernt und durch eine Dammstraße verbunden. Sie alle wählen einen anderen Lebensstil als den unseren – und das respektieren wir.
Wird der niedrige Ölpreis Reformen in Ihrem Land eher beschleunigen oder im Gegenteil verlangsamen?
Wie der deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche sagte: „Hindernisse und Schwierigkeiten sind Stufen, auf denen wir in die Höhe steigen.“ In jeder Herausforderung liegt eine Chance. Genau das ist es, was wir mit unserer Vision 2030 machen. Sie ist der Diversifizierung und Entwicklung verschrieben und wird uns unabhängig machen von Öl.
Worum geht es bei dem Plan?
Die vom Vize-Kronprinzen vorgestellte Vision 2030 ist die umfassendste Reformagenda in der Geschichte Saudi-Arabiens. Sie ebnet den Weg für eine erfolgreiche Zukunft und die Entwicklung des Königreichs zu einer globalen Wirtschaftsmacht. Sie antwortet auf die Bedürfnisse und Träume der jungen Generation. 50 Prozent der Einwohner Saudi-Arabiens sind jünger als 25. Die Regierungsumbildung Anfang des Monats fügt sich nahtlos in die Pläne ein und ist ein Zeichen dafür, dass wir neue Schwerpunkte setzen und die Reformen aktiv angehen. Wir wollen unser BIP verdoppeln. Wir wollen den Anteil von Frauen an den Arbeitskräften von 20 auf 40 Prozent erhöhen. Wir wollen Solar- und Windenergie nutzen. Wir wollen unseren Staatsfonds von 200 Milliarden auf zwei Billionen Dollar erhöhen. Wir wollen alle Wettbewerbsvorteile unserer Gesellschaft nutzen.
Denken Sie nicht, dass gut ausgebildete Frauen ihren Teil der Macht einfordern werden?
Sie sind doch schon Teil des Machtgefüges. Frauen engagieren sich in hohem Maße, und die Regierung ermutigt sie dazu.
…aber sie dürfen nicht einmal ein Auto fahren!
Genau auf dieses Klischee habe ich gewartet. Jedes Mal, wenn wir nach vorne schreiten, kommt jemand mit diesem immer gleichen Thema. Und übrigens ist dies nicht etwa ein religiöses, sondern ein gesellschaftliches Thema. Die saudische Gesellschaft entwickelt sich weiter, und das mit großen Schritten. Vor gerade einmal 60 Jahren gab es keine Schulen für Frauen. Heute sind 55 Prozent unserer Studenten weiblich. Außerdem sind 20 Prozent unserer Abgeordneten weiblich – im internationalen Vergleich ist das ziemlich gut. Und vor einigen Monaten haben Frauen aktiv an den Kommunalwahlen teilgenommen und 20 von ihnen wurden gewählt. Heute nehmen 600.000 Frauen am Arbeitsleben teil, das ist ein Zuwachs von 48 Prozent in den letzten fünf Jahren. Unser Ziel ist es, Frauen in noch größerem Maße zu fördern, und das ist auch ein Teil des Plans des Vize-Kronprinzen.
Ein Fall, der in der deutschen Öffentlichkeit breit diskutiert wird, ist der des Bloggers Raif Badawi. Er wurde zu zehn Jahren Gefängnis und 1000 Schlägen verurteilt, weil er den Islam beleidigt haben soll. Warum ist es ein Verbrechen, seine Meinung zu äußern?
Ich verstehe den deutschen Standpunkt in dieser Sache. Aber genauso wie in Deutschland hat die freie Meinungs- und Gedankenäußerung auch in Saudi-Arabien Grenzen. Den Propheten und den Islam zu beleidigen, ist nicht nur in Saudi- Arabien, sondern in allen islamischen Ländern illegal. Meinungsfreiheit hat ihre Grenzen. Aber vermischen Sie doch nicht einen Fall, der öffentlich und international instrumentalisiert wird, mit dem übergeordneten Ziel, unsere Gesellschaft und Wirtschaft weiterzuentwickeln. Ziel der Vision 2030 ist es, wirtschaftliche und soziale Veränderungen zu verankern. Das ist den saudischen Menschen wichtig – wichtiger, als es den internationalen Organisationen ist.
Können Sie das genauer ausführen?
Die Sache der Menschenrechte nimmt Schaden, wenn sie politisiert wird. Wir haben erlebt, wie Saudi-Arabien für einen Fall attackiert und beschimpft wurde, während 10.000 andere Fälle in anderen Ländern, in denen die Verletzung von Menschenrechten auf der Tagesordnung steht, keine Beachtung finden. Menschenrechte sind ein ehrenhaftes Anliegen. Lassen Sie uns doppelte Standards vermeiden und die Menschenrechte überall auf der Welt in gleicher Weise umsetzen.
"Die Wahrheit ist, dass wir am Panzergeschäft nicht interessiert sind."
Es gibt weltweit Unterstützung für Badawi. Gibt es irgendeine Chance, dass er das Land verlassen und mit seiner Familie im Ausland leben darf?
Ich möchte mich den Worten des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier anschließen, der in einem Interview mit Ihrer Zeitung deutlich gesagt hat, dass es der Lösungsfindung abträglich ist, wenn bestimmte Fälle immer wieder öffentlich diskutiert werden. Wir teilen die Erfahrung, dass Gespräche in vertrauensvoller Atmosphäre oft zielführender sind als lautstarke Ankündigungen. Dabei möchte ich es belassen.
Die Zahl der Exekutionen hat in Saudi-Arabien in den letzten Monaten einen neuen Höchststand erreicht. Warum?
Uns ist bekannt, dass Deutschland die Todesstrafe ablehnt. Aber sie wird in mehr als 60 Staaten der Welt angewandt – viele davon Demokratien wie unser gemeinsamer Verbündeter, die Vereinigten Staaten. Und selbst in einem deutschen Bundesland, in Hessen, steht die Todesstrafe noch in der Verfassung – auch wenn sie ausgesetzt ist. Es ist an der Zeit, dass unsere Freunde und Verbündeten verstehen, dass ein Rechtssystem nicht für alle Länder der Welt gilt. Wir wenden unser Recht an. Wir erwarten nicht, dass Sie es loben. Aber Sie sollten verstehen, dass wir ein souveränes Land mit eigenem Justizsystem sind.
Was denken Sie darüber, dass die deutsche Regierung die Lieferung moderner deutscher Panzer, die Ihr Land angefordert hatte, blockiert hat?
Waffenlieferungen sind für die Beziehung zwischen Deutschland und Saudi-Arabien nicht ausschlaggebend. Deutsche Lieferungen machen weniger als ein Prozent unserer Waffengeschäfte aus. Der Großteil unserer Waffen kommt aus anderen Ländern. Wir haben nur wenige Geschäftsabschlüsse. Gestatten Sie mir zu sagen, dass dieses Thema für interne politische Auseinandersetzung missbraucht wird – auf Kosten der Beziehung beider Länder. Die klare Wahrheit ist, dass wir an dem Panzergeschäft nicht interessiert sind.
Haben Sie das Gefühl, dass Ihr Land für ein Waffengeschäft verurteilt wird, um das es nie gebeten hat?
Vor zehn Jahren gab es eine Diskussion über ein mögliches Panzergeschäft, die aber zu nichts geführt hat. Wenn das Thema Waffen für interne politische Auseinandersetzungen genutzt wird, dann wird das Königreich zukünftig sehr zurückhaltend sein, was weitere Waffengeschäfte mit Deutschland angeht, denn wir wollen unsere insgesamt gute Beziehung und andere gewinnbringende Projekte nicht damit belasten. Und noch mal, die Summe der deutschen Militärsysteme für Saudi-Arabien ist sehr gering und konzentriert sich hauptsächlich auf die Bereiche Sicherheit und Überwachungssysteme. Wir verstehen, dass Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg eine spezielle nichtmilitärische Tradition hat, deshalb lassen Sie uns auf andere Projekte und Aufgaben schauen, die unsere zwei Länder gemeinsam angehen sollten.
Es gibt Anschuldigungen, dass Saudi-Arabien in Deutschland Moscheen baut und Imame in unser Land entsendet. Ist das der Fall?
Definitiv nicht. In Deutschland kann keine Moschee ohne die Erlaubnis Ihrer Regierung gebaut werden. Und ich kann Ihnen mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, dass es keinen Antrag meines Landes diesbezüglich gibt. Das Gleiche gilt für die angebliche Entsendung von Imamen. Diese Anschuldigungen sind frei erfunden und basieren nicht auf Tatsachen.
Gilt dies auch für einzelne Personen oder Stiftungen aus Saudi-Arabien?
In Saudi-Arabien ist es illegal für eine Person oder eine Stiftung, Geld für wohltätige Zwecke ins Ausland zu überweisen, außer es handelt sich um eine anerkannte internationale Organisation. Es ist illegal, und alle Transaktionen werden gründlich überwacht. Jeder, der das versucht, sieht sich mit den rechtlichen Folgen konfrontiert.
Awwad S. Alawwad ist seit Dezember 2015 Botschafter des Königreichs Saudi-Arabien in Deutschland. Er gilt als Vertrauter des Vizekronprinzen und Verteidigungsministers Mohammed bin Salman. Awwad wurde am 11. April 1972 als Sohn eines Bauern geboren. Er studierte in seinem Heimatland, in den USA und in England, wo er mit einer Arbeit über Finanzmarktrecht promoviert wurde. Alawwad arbeitete bei der Saudi Arabian Monetary Agency, war Vizechef der Saudi Arabian General Investment Authority und baute Programme zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des Landes auf. Zuletzt war er Berater für Wirtschaft und Finanzen im Privatbüro des Kronprinzen Mohammed bin Naif und im Büro des Gouverneurs von Riad. Er ist verheiratet und Vater dreier Söhne.