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Erdogan wollte am Rande des G-20-Gipfels in Deutschland Landsleuten sprechen.
© Oliver Berg/dpa

Streit zwischen Ankara und Berlin: Was das Auftrittsverbot für Erdogan bedeutet

Der türkische Präsident bekommt keine Bühne in Deutschland. Droht ein neuer Eklat im Verhältnis beider Länder? Eine Analyse.

Im deutsch-türkischen Verhältnis gibt es neuen Ärger. Außenminister Sigmar Gabriel erteilte einem Auftritt des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan in Deutschland eine Absage. Ankara nannte die Entscheidung inakzeptabel.

Was fordert Erdogan?

Der türkische Staatschef wollte seine Reise zum G-20-Gipfel in Hamburg nutzen, um in Deutschland zu seinen Landsleuten zu sprechen. Vor dem umstrittenen Verfassungsreferendum in der Türkei im April war es zwischen Ankara und Berlin zu einem heftigen Streit gekommen, nachdem mehrere Auftritte türkischer Politiker in Deutschland untersagt worden waren.

Erdogan hatte daraufhin von Nazi- Methoden gesprochen. Im baden-württembergischen Gaggenau wurde eine Veranstaltung mit dem türkischen Justizminister wegen Sicherheitsbedenken abgesagt, eine Veranstaltung mit Außenminister Mevlut Cavusoglu in Hamburg wurde vom Bezirksamt unter Hinweis auf Brandschutzbestimmungen gestoppt, ähnliche Absagen gab es in anderen Städten. Das Saarland sprach sich grundsätzlich gegen solche Auftritte aus. Dagegen fand in Köln eine Veranstaltung mit dem türkischen Sportminister statt.

Wie reagiert die Bundesregierung?

Gabriels Ankündigung markiert eine Wende in der bisherigen Politik der Bundesregierung, die keinen Auftritt eines türkischen Politikers in Deutschland untersagt hatte. Dagegen hatte die niederländische Regierung die türkische Familienministerin im März an einem Auftritt in Rotterdam gehindert und ihren Fahrzeugkonvoi gestoppt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) stellte sich zwar hinter die Niederlande, sprach sich allerdings nicht grundsätzlich gegen Auftritte von türkischen Regierungsvertretern in Deutschland aus.

Doch wie damals in den Niederlanden ist jetzt in Deutschland Wahlkampf. So war es SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz, der als Erster forderte, dem türkischen Präsidenten einen Auftritt in Deutschland zu untersagen. „Ich will nicht, dass Herr Erdogan, der in der Türkei Oppositionelle und Journalisten ins Gefängnis steckt, bei uns Großveranstaltungen abhält.“

Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) sprang ihm umgehend bei und sprach sich ebenfalls gegen einen Auftritt Erdogans aus. „Ich habe meinem türkischen Kollegen bereits vor Wochen gesagt, dass wir das für keine gute Idee halten.“ Ein solcher Auftritt wäre „angesichts der Konfliktlage, die es mit der Türkei gibt, nicht angemessen“, betonte Gabriel. Und die Kanzlerin? „Wir haben in der Bundesregierung dazu eine abgestimmte Haltung“, sagte der Außenminister. In Wahlkampfzeiten will die Union offenbar dem Noch-Koalitionspartner nicht die Gelegenheit bieten, sie als Erdogan-Unterstützer darzustellen.

Das Auswärtige Amt will nun andere Staaten darüber informieren, „dass die Bundesregierung es sich ausdrücklich vorbehält, auf deutschem Boden geplante politische Veranstaltungen ausländischer Regierungsvertreter zu untersagen“, wie es im Auswärtigen Amt hieß. Dies betrifft nach Gabriels Worten alle Staaten, die nicht der EU angehören.

Wie ist die Rechtslage?

Die Bundesregierung hat hier weitgehend freie Hand. Gabriel hat ausdrücklich die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung erwähnt. Er bezog sich damit auf einen Beschluss aus Karlsruhe vom März. Die Richter hatten die Beschwerde eines Mannes zurückgewiesen, der einen Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim in Deutschland verhindern wollte.

Das offenkundig aussichtslose Unterfangen nutzten sie für eine Klarstellung: Staatsoberhäupter oder andere Mitglieder ausländischer Regierungen hätten weder nach dem Grundgesetz noch nach dem Völkerrecht einen Anspruch darauf, in die Bundesrepublik in ihrer amtlichen Funktion tätig zu sein.

Hierzu bedürfe es der ausdrücklichen oder stillschweigenden Zustimmung der Bundesregierung. Soweit die Politiker in amtlicher Eigenschaft aufträten, könnten sie sich auch nicht auf Grundrechte berufen, denn sie seien keine einfachen Bürger, denen die Grundrechte vorbehalten sind. Bei einer Versagung der Zustimmung handele es sich somit um eine „Entscheidung im Bereich der Außenpolitik“ – Rechtsbehelfe dagegen gibt es keine. In diese Richtung hatte auch das Oberverwaltungsgericht Münster vor einen Jahr entschieden, als es eine Videoschaltung zu Erdogan im Rahmen einer Versammlung von Anhängern verbot.

Welche Folgen hat der Streit für die deutsch-türkischen Beziehungen?

Das Verhältnis zwischen Berlin und Ankara ist ohnehin angespannt. Die Inhaftierung des Journalisten Deniz Yücel, der Streit um das Besuchsrecht für deutsche Abgeordnete in Incirlik und das Vorgehen der türkischen Regierung gegen diejenigen, die sie der Unterstützung des Putschversuchs 2016 bezichtigt – das sind nur einige der Themen, die das Verhältnis zwischen den beiden Staaten derzeit belasten. Sollte Ankara wie angekündigt die Todesstrafe wieder einführen, wäre der nächste Tiefpunkt in den Beziehungen erreicht.

Gabriel hat betont, Erdogan würde beim G-20-Gipfel „mit Ehren empfangen“. Ein möglicher Ausweg aus dem jüngsten Streit könnte ein Auftritt des Präsidenten in der türkischen Botschaft in Berlin oder dem Generalkonsulat in Hamburg sein. Gabriel hat ausdrücklich betont, dass die Bundesregierung dies nicht untersagen kann.

Claudia von Salzen, Jost Müller-Neuhof

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