Die größten Krisen 2020: Was auf die deutsche Außenpolitik zukommt
Die deutsche Außenpolitik ist Ende 2019 hart kritisiert worden – von deutschen Experten. Im neuen Jahr wird sie auf vielen Feldern zu tun haben. Ein Überblick.
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„Deutschland ist derzeit ein Totalausfall. Ich kann keine Europa-Politik erkennen, der Außenminister ist ein Ausfall, die Kanzlerin weiß das alles, aber unternimmt nichts.“ So hart hat Anfang November ausgerechent der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Norbert Röttgen (CDU), die Bundesregierung kritisiert.
Röttgen griff bezeichnenderweise Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer nicht an, obwohl die CDU-Chefin mit einem unabgesprochenem Vorschlag zur Schaffung von Schutzzonen in Syrien in der Koalition Streit provoziert hatte. Die Regierung schien in der Außen- und Sicherheitspolitik weder einig noch handlungsfähig.
Seither widerspricht vor allem Außenminister Heiko Maas (SPD) dem Kritiker. In mehreren Reden hat er eine Leistungsbilanz vorgelegt und erklärt, Deutschland sei führend bei der Lösung weltweiter Konflikte. Damit kommt er auch einem Wunsch der SPD-Fraktion nach, die von ihm eine erkennbar sozialdemokratische Außenpolitik gefordert hatte.
Wie aber steht es tatsächlich um wichtige internationale Problemfelder - und wo wird die deutsche Außenpolitik im neuen Jahr gefragt sein? Eine Übersicht.
EUROPÄISCHE UNION
Ein starkes, souveränes und soziales Europa ist das Ziel von Maas. An Deutschland, das in der zweiten Jahreshälfte die EU-Präsidentschaft übernimmt, richten sich hohe Erwartungen. In diese Zeit könnte der Abschluss des siebenjährigen EU-Haushaltes fallen und wichtige Entscheidungen, wie die Beziehungen zu den Briten nach dem Brexit aussehen werden. Auf Berlin könnte im neuen Jahr eine Schlüsselrolle zukommen, wenn es um Flüchtlinge und Migration geht. Ein wichtiges deutsches Ziel ist auch die Selbstbehauptung Europas in der Welt durch geschlossenes und strategisches Handeln. Allerdings bringt es die EU nicht einmal fertig, einstimmig und geschlossen das brutale Vorgehen Chinas gegen die Uiguren zu verurteilen. Peking versucht, unter anderem durch Investitionen in schwachen EU-Ländern Abhängigkeiten zu schaffen.
Noch kein durchschlagendes Mittel hat die EU gegen die Aushöhlung von Rechtsstaat und Meinungsfreiheit in Polen und Ungarn gefunden. Dass ausgerechnet Berlin hier 2020 entscheidende Anstöße gibt, ist nicht zu erwarten.
VERHÄLTNIS ZU DEN USA
Das Ende jeder Berechenbarkeit der USA unter der Präsidentschaft von Donald Trump und ihr Ausfall als Weltordnungsmacht fordern die deutsche Politik auf vielen Feldern heraus. Wie kann die Exportnation Deutschland ihren Wohlstand sichern, wenn der US-Präsident mit Handelskriegen droht? Wie kann der Westen auf die Herausforderung autoritärer Staaten wie China und Russland antworten, wenn Trump vieles verachtet, was den Westen ausmacht und er sich mit Despoten verbündet? Wie können neue, atomare Rüstungswettläufe verhindert werden, wenn die USA ein wichtiges Abkommen zur Begrenzung von Mittelstreckenraketen kündigen?
Eine Reaktion auf den Ausfall Amerikas als Weltordnungsmacht ist die Allianz für den Multilateralismus, die der deutsche und der französische Außenminister ins Leben gerufen haben. Rund 80 Staaten haben sich zusammengetan, die zwar keine neue Organisation bilden, aber Slogans wie „America first“ oder „Russia first“ auf internationalem Parkett gemeinsam entgegentreten wollen. Vorhersage: Eine schnelle positive Wirkung ist nicht zu erwarten, Fortschritte auf verschiedenen Arbeitsfeldern mittel- und langfristig schon. Auch bei der Rüstungskontrolle hat das Auswärtige Amt Initiativen gestartet - ohne Washington, Peking und Moskau aber sind echte Fortschritte kaum zu erwarten.
NATO
Anders als die Verteidigungsministerin vor ihrem Schutzzonen-Fahrplan hatte sich der Außenminister mit dem Kanzleramt abgestimmt, bevor er eine Arbeitsgruppe zur Zukunft der Nato vorschlug. Damit reagierte er auf die zerstörerische Bemerkung von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der das Bündnis als „hirntot“ bezeichnet hatte. Mindestens so gefährlich wie Querschüsse aus Paris sind für das Bündnis Drohungen von Trump, die Beistandsgarantie aufzukündigen. Einige Verbündete beruhigen könnte Berlin, wenn Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel bei den Rüstungsausgaben zügiger ansteuern würde. Doch die SPD bremst.
VERHÄLTNIS ZU RUSSLAND
Seit der Annexion der Krim durch Russland und dem Ausbruch des Krieges in der Ost-Ukraine 2014 hat Berlin daran gearbeitet, eine weitere Eskalation zu verhindern und die EU zusammenzuhalten. Das Abkommen von Minsk zwischen Moskau und Kiew aber ist trotz des Normandie-Treffens (Russland, Ukraine, Deutschland, Frankreich) in Paris immer noch nicht umgesetzt. Immerhin scheint etwas Bewegung in den Konflikt gekommen zu sein. Mit harten Tönen gegenüber Moskau hatte Maas zu Anfang seiner Amtszeit die eigene Partei verschreckt. Doch eine neue Russland-Strategie ist daraus nicht geworden, offenbar aus Rücksicht auf die SPD meidet der Außenminister nun die Konfrontation.
HERAUSFORDERUNG CHINA
Die Bundesregierung sieht durchaus, dass die KP ihre Macht mit Gewalt und Digitaltechnik sichert, gegen die Minderheit der Uiguren brutal vorgeht und zum weltweiten Gegenspieler der USA aufsteigt. Sie braucht Peking aber als internationalen Akteur und Wirtschaftspartner.
Mit ihrer Münchner Rede hat die Verteidigungsministerin den Fokus auf die völkerrechtswidrigen Territorialforderungen Chinas im südchinesischen Meer gerichtet, denen Partner Deutschlands dadurch begegnen, dass sie eigene Kriegsschiffe in die Region schicken. Forderungen nach einer deutschen Beteiligung aus dem Raum und auch aus Australien und Neuseeland gibt es schon länger. Schließlich hat Deutschland als Exportnation ein vitales Interesse an der Freiheit der Seewege, ist unter den zehn Ländern mit dem höchsten wirtschaftlichen Verkehrsaufkommen auf dem südchinesischen Meer.
Außenminister Maas war im Sommer sogar bereit, nach Anfragen von Partnern grünes Licht dafür zu geben, dass Angehörige der Bundesmarine auf Schiffen der Verbündeten in der Region Dienst tun sollten. Das Kanzleramt aber stoppte das Vorhaben, weil es damals im Vorfeld des Besuchs der Bundeskanzlerin in Bejing von ihren Gastgebern als Kampfansage aufgefasst worden wäre. Seither ruht der Plan.
Kürzlich versicherte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums auf Anfrage des Tagesspiegels, es gebe keine Pläne, ein deutsches Schiff in die Straße von Taiwan zu schicken und keine Pläne, deutsche Marinesoldaten auf Schiffen der Partner mitfahren zu lassen. In der Logik der Programmrede der neuen Ressortchefin Kramp-Karrenbauer wäre das durchaus, in der Bundesregierung aber kaum durchsetzbar. Der Grund: Das Außenministerium führt hier nicht, sondern beugt sich den von der SPD-Bundestagsfraktion vorgegebenen Linien. Die will keine militärische Mission in Fernost.
IRAN
Gegen die USA versuchen Deutschland, Großbritannien und Frankreich („E 3“) gemeinsam mit den anderen EU-Partnern das Atomabkommen mit dem Iran zu retten, das die USA gekündigt haben. Um den US-Sanktionen gegen jeden, der mit dem Iran Geschäfte macht, etwas entgegenzusetzen, haben die drei Staaten gemeinsam mit dem Iran ein unabhängiges Zahlungsabwicklungsinstitut gegründet. Allerdings erscheint es unwahrscheinlich, dass sich Firmen, die in irgendeiner Geschäftsverbindung zu den USA stehen, dem Druck der US-Sanktionen widersetzen und mit Iran Handel treiben. Kein Mittel haben Deutsche und Europäer bislang entwickelt, um Iran daran zu hindern, seine Nachbarschaft sowie Länder wie den Jemen und Syrien zu destabilisieren.
MALI/SAHEL-ZONE
In ganz Europa wird mit Sorge registriert, dass sich die Sicherheitslage in der ganzen Sahel-Zone verschlechtert. Französische Soldaten bekämpfen seit 2012 in Mali die Tuareg-Rebellen. Dies Bundeswehr ist an dem VN-Einsatz zur Stabilisierung des Landes beteiligt. Nun überlegt Frankreich, die Mali-Mission auszuweiten auf andere Regionen des Sahel. Deutsche Hilfe, auch militärische, wäre dabei sehr willkommen.
„Eine erweiterte Mission zur Verhinderung von Schlimmerem wäre sicherheitspolitisch sinnvoll“, urteilt der langjährige frühere Leiter des Berliner Büros des European Council on Foreigns Relations (ECFR), Josef Janning, der im eigenen nationalen und im Interesse eines Zusammenhalts Europas auch eine Bundeswehrbeteiligung befürwortet. Die Mandatslage allerdings hält er für „sehr, sehr schwierig“ - und ohne völkerrechtliche Absicherung dürfen deutsche Soldaten nicht ins Ausland geschickt werden. „Da der allianzpolitische Druck auf Deutschland groß ist, könnte ich mir vorstellen, dass die Bundesregierun die Kraft zu einer solchen Entscheidung aufbringt“, meint Janning.
LIBYEN
Der Sturz von Diktator Muammar al-Gaddafi hat Libyen 2011 in einen Bürgerkrieg gestürzt, der bis heute anhält. Zwei EU-Staaten arbeiteten in dem Konflikt gegeneinander: Die Franzosen unterstützten den aufständischen General Khalifa Haftar, die Italiener die international anerkannte Zentralregierung in Tripolis. UN-Sondergesandte Ghassam Salamé bat deshalb um deutsche Hilfe zur Vermittlung - und erhielt diese von Merkel und Maas auch. Deutsche Diplomaten organisierten eine Reihe von Treffen mit den Konfliktparteien, die zuvor nie in einem Raum zusammengefunden hatten.
Das European Council on Foreign Relations (ECFR) sieht deshalb sogar „eine stille deutsche Führungsrolle“ im Libyen-Konflikt. Berlins Mediationsbemühungen zur Stabilisierung des Landes „sind bislang von der der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen worden“, schreibt René Wildangel. Seitdem Russland mit Söldnern die Aufständischen unterstützt und die Türkei massiv die Zentralregierung, sind die Chancen für eine diplomatische Lösung nicht gestiegen.
JEMEN
Die grausame Auseinandersetzung im ärmsten Land Arabiens ist ein Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien auf der einen, dem Iran auf der anderen Seite. Seit Jahren bemüht sich das Auswärtige Amt darum, die hinter dem Konflikt stehenden Mächte an einen Tisch zu bringen, doch die Feindschaft zwischen den Wahabiten in Riad und den Schiiten in Teheran hat sich sogar noch gesteigert. Nun heißt es in Berlin, die Saudis hätten verstanden, dass es Fortschritte in dem Konflikt geben müsse, wenn die G20-Präsidentschaft des Landes ein Erfolg werden solle. Für den Fall, dass eine Deeskalation möglich scheint, ist Berlin bereit, Friedensbespräche auszurichten.
AFGHANISTAN
Seit Jahren hatten auch deutsche Kontakte geholfen, einen Gesprächskanal zwischen den aufständischen Taliban und den Amerikanern aufzubauen. Nach Verhandlungen in Katars Hauptstadt Doha schien die Aufnahme von Friedensgesprächen kurz bevorzustehen. Denn die USA hatten Deutschland und Norwegen gebeten, hilfreich zu sein. Berlin bot Deutschland als Verhandlungsort an. Doch nach einem Großanschlag der Taliban ließ US-Präsident Donald Trump die Gespräche absagen. Ob und wann Deutschland ins Spiel kommt, hängt deshalb von seinen Launen ab, nun sind die Gespräche wieder aufgenommen worden.
Deutschland hat als Vermittler eine Geschichte vorzuweisen: Die Bundesregierung richtete Ende 2011 in Petersberg bei Bonn eine Konferenz aus, welche damals den Grundstein für die politische Neuordnung Afghanistans nach dem Ende der Taliban-Herrschaft legen sollte. Ironie der Geschichte: Auf der geplanten Konferenz werden die Taliban, denen vor 18 Jahren keine Rolle mehr zugedacht war, an einem sehr langen Hebel sitzen.