Ergebnisse bei Gipfel in Paris: Ukraine und Russland einigen sich auf Truppenabzug und Waffenstillstand
Acht Stunden verhandelten Selenskyi und Putin, zusammen mit Merkel und Macron. Mit der Einigung zeichnet sich ein Ende des jahrelangen Ostukraine-Kriegs ab.
Beim Pariser Ukraine-Gipfel gab es einen Durchbruch zur Lösung des Konflikts in der Ostukraine. Konkret vereinbart wurde laut Abschlusserklärung ein Truppenrückzug aus drei umstrittenen Gebieten der Ostukraine bis Ende März. Noch vor Jahresende soll zudem eine Waffenruhe umgesetzt werden.
Damit gab es im Ringen um einen Frieden in der umkämpften Ostukraine nach jahrelangem Stillstand konkrete Fortschritte.
Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron, Kanzlerin Angela Merkel (CDU), der russische Präsident Wladimir Putin und dessen ukrainischer Kollege Wolodymyr Selenskyj berieten in wechselnden Runden rund acht Stunden lang im Élyséepalast. Ein solches Treffen hatte es zuletzt vor gut drei Jahren in Berlin gegeben.
Vorgesehen ist demnach auch ein Gefangenenaustausch nach der Formel „alle gegen alle“ bis Ende des Jahres. Dabei geht es um einen Austausch von 250 Gefangenen aus Kiew gegen 100 aus Luhansk und Donezk. Eine konkrete Vereinbarung dazu gab es aber nicht, sondern lediglich die Absichtserklärung, mit Hilfe der Kontaktgruppe in der Region und des Roten Kreuzes den Austausch umzusetzen.
In vier Monaten wollen die Staats- und Regierungschefs von Deutschland, Frankreich, Russland und der Ukraine dann erneut zu einem Gipfeltreffen zusammenkommen, um weitere Schritte zu besprechen.
Durchbruch auch im Gas-Streit
Putin und Selenski nutzten den Gipfel auch zur Klärung eines anderen Konflikts: Den Streit über Gaslieferungen. Selenskyj sagte, dass man die Blockade in den Verhandlungen durchbrochen habe. Die Berater würden beauftragt, die Details zu lösen.
Ende des Jahres läuft das zehnjährige Transitabkommen aus, nach dem russisches Gas durch die Ukraine nach Westen geliefert wird. Die Ukraine kassiert dafür Transitgebühren und sorgt sich, dass mit der Fertigstellung der Ostseepipeline Nord Stream 2 kein Gas mehr durch das Land geschickt wird. Putin sagte nach dem Gespräch, dass die ukrainische Seite mit billigerem Gas rechnen könne, wenn es ein Abkommen gebe. Russland hat bisher kritisiert, dass die Ukraine zu hohe Transitgebühren verlange.
Kanzlerin Angela Merkel hatte eine Einigung auf einen neuen Gastransit-Vertrag als Voraussetzung zur Inbetriebnahme der Nord Stream 2 Pipeline genannt. Der Status der Ukraine als Transitland müsse erhalten bleiben.
„Zeit des Stillstands überwunden“
Zum Durchbruch im Hauptkonflikt – dem Krieg in der Ostukraine – sagte Selenskyi: „Wir haben uns auf klare, deutliche Schritte und Termine zu ihrer Umsetzung geeinigt.“ Innerhalb von 30 Tagen sollen auch neue Übergangspunkte für die Bevölkerung an der Frontlinie eingerichtet werden - auf der Grundlage von humanitären Kriterien. Neben der Waffenruhe soll auch ein Plan für die Minenräumung umgesetzt werden.
Macron sagte: „Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um den politischen Mut und die Entschlossenheit des Präsidenten der Ukraine seit seiner Wahl zu würdigen, Frieden in den Konflikt im Osten seines Landes zu bringen.“
Bundeskanzlerin Merkel zeigte sich „sehr zufrieden“. „Wir haben heute die Zeit des Stillstands überwunden“, sagte sie. Es seien „realistische Dinge“ vereinbart worden. „Wir werden dann natürlich auf diesem Weg auch weitermachen.“
Der russische Präsident Putin bezeichnete die Ergebnisse als Fortschritt für die Menschen im Kriegsgebiet. Wichtig sei eine Verbesserung des Lebens der Menschen, sagte Putin. Deshalb seien neue Übergänge an der Frontlinie vereinbart worden. Diese sollen nun innerhalb von 30 Tagen auf Grundlage von humanitären Kriterien umgesetzt werden, sagte Putin.
Der Kremlchef lobte, dass Merkel und Macron sich für eine Lösung des Konflikts einsetzten. Er trage die Gipfelerklärung in vollem Umfang mit, betonte Putin.
Beim Gipfel gab es auch ein Bekenntnis zur „Steinmeier-Formel“ für einen Sonderstatus der Regionen Luhansk und Donezk. Das war Putin besonders wichtig. Die nach dem Bundespräsidenten und Ex-Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) benannte Formel regelt, in welchen Schritten der Status für die russischsprachigen Regionen Luhansk und Donezk eingeführt werden kann.
Selenskyj hat Druck im eigenen Land
Die Zusammenkunft von Selenskyj und Putin in der französischen Hauptstadt wurde als ein wichtiges Signal der Annäherung gesehen. Beide Staatschefs hatten zuvor nur miteinander telefoniert, um den für ganz Europa gefährlichen Konflikt zu entschärfen.
In den ostukrainischen Regionen Donezk und Luhansk stehen sich ukrainische Regierungstruppen und prorussische Separatisten gegenüber. Rund 13.000 Menschen sind nach UN-Schätzung bisher ums Leben gekommen. Die Menschen in den betroffenen Regionen Luhansk und Donezk sehnen sich nach einem Ende des Krieges.
Der im April ins höchste Staatsamt gewählte Selenskyj steht innenpolitisch unter Druck. Direkt vor dem Präsidentensitz in Kiew hielten sich in der Nacht zum Montag bei Temperaturen um den Gefrierpunkt mehrere Hundert Menschen auf, die gegen mögliche Zugeständnisse an Russland demonstrierten. Ein Friedensplan, der 2015 in der weißrussischen Hauptstadt Minsk ausgehandelt wurde, lag bisher weitgehend auf Eis.
Der Gipfel wird auch als „Normandie-Treffen“ bezeichnet, weil es die erste Zusammenkunft dieser Art im Juni 2014 in der Normandie gab - diese Region liegt nordwestlich von Paris. Gastgeber Macron strebt einen umfassenden Dialog mit Moskau über Sicherheit und Stabilität in Europa an. Um zu Fortschritten mit Moskau zu kommen, muss nach französischer Auffassung auch der Ukraine-Konflikt gelöst werden. Macrons Annäherung an Moskau wird in mittel- und osteuropäischen Ländern mitunter jedoch misstrauisch verfolgt. (dpa, AFP, Reuters)