Triumph nach den Impeachment-Anhörungen: Warum Trump derzeit nichts zu befürchten hat
Die öffentlichen Anhörungen sind vorbei, das Bild in der Ukraine-Affäre ist verheerend – doch der Präsident obenauf. So ist der Stand des Impeachment-Prozesses.
Devin Nunes fährt scharfe Geschütze auf, als er zum letzten Mal das Wort im Raum 1100 des Longworth-Kongress-Gebäudes ergreift. Auch an diesem Donnerstag, dem fünften und vorerst letzten Tag der öffentlichen Zeugenanhörung in der Impeachment-Voruntersuchung, wird es draußen schon wieder dunkel. Drinnen arbeitet die Klimaanlage auf Hochtouren, es ist so kalt, dass manche Beobachter ihre Winterjacken angezogen haben.
Nunes, im Geheimdienstausschuss des US-Repräsentantenhauses der ranghöchste Republikaner und damit sozusagen der Sprecher der Minderheit in diesem Gremium, sitzt seit acht Stunden fast ohne Unterbrechung in der Mitte der erhöhten halbrunden Abgeordnetenbank und tönt von der Tyrannei der Mehrheit. Das Verfahren sei nur der Höhepunkt einer dreijährigen Schmutzkampagne gegen den gewählten Präsidenten, nichts anderes als ein Putschversuch.
Zwölf Zeugen haben zwei Wochen lang zur Ukraine-Affäre ausgesagt, insgesamt mehr als 30 Stunden und live übertragen von allen relevanten Nachrichtensendern. Draußen vor dem Sitzungssaal warten Journalisten, Kongressmitarbeiter und interessierte Bürger manchmal stundenlang, um doch noch einen Sitzplatz zu ergattern.
Die Zeugen sind aktuelle und ehemalige Außenpolitikexperten der Regierung sowie hochrangige Karrierediplomaten, manche bereits seit Jahrzehnten für ihr Land im Einsatz. Viele entstammen Einwandererfamilien, sie haben ihre Chancen im Land der Freiheit ergriffen und sind zu überzeugten Patrioten geworden. Ihre Themengebiete sind Russland und die Ukraine, hier kennen sie sich aus wie wenig andere.
Und was sie aussagen, ist atemberaubend:
- Sie berichten über die Ukraine-Politik Washingtons, in der ab dem Frühjahr auf einmal ganz andere als die dafür vorgesehenen Personen die Regie übernahmen.
- Über ein Telefonat zwischen dem US- und dem ukrainischen Präsidenten am 25. Juli, in dem der Amerikaner seinen neu gewählten Amtskollegen zu Ermittlungen gegen das ukrainische Gasunternehmen Burisma drängte, bei dem der Sohn des ehemaligen US-Vizepräsidenten und derzeitigen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden beschäftigt war.
- Über eine hoch angesehene Botschafterin in Kiew, die abgelöst wurde, weil sie sich diesem Versuch entgegenstellte, eine fremde Regierung für innenpolitische Zwecke einzuspannen.
- Und über die ohne Erklärung auf Eis gelegte Militärhilfe an die Ukraine, die sich bis heute den Aggressionen ihres russischen Nachbarn ausgesetzt sieht.
Eigentlich alles, was die zwölf Zeugen im Raum 1100 vortragen, belastet den Mann, für den sie arbeiten oder gearbeitet haben: Donald Trump, seit 2017 US-Präsident, dem die Demokraten im Repräsentantenhaus vorwerfen, sein Amt missbraucht zu haben, weil er von einer ausländischen Macht ein Tauschgeschäft, ein Quid pro quo, einforderte.
Wer die Aussagen verfolgt, bekommt ein ziemlich konsistentes Bild vermittelt, um was es in der Ukraine-Affäre geht und was Trump wollte. Auch wenn manche Detailfragen noch offen sind, weil sich das Weiße Haus gegen jegliche Kooperation entschieden hat, also Dokumente zurückhält und Regierungsmitarbeitern die Aussage verweigert. So wartet Washington etwa mit Spannung darauf, was Trumps geschasster Sicherheitsberater John Bolton beizutragen hat – ein Gericht entscheidet im Dezember, ob er aussagen soll. Sein Insiderwissen könnte das ohnehin schon düstere Bild der Trumpschen Ukraine-Politik vervollständigen.
Für oder gegen Trump: Die USA sind gespalten wie nie
Allerdings wird dieses Bild nicht allen Amerikanern vermittelt. Das Land ist gespalten wie nie. Trump-Befürworter und -Gegner informieren sich auf unterschiedlichen Kanälen. Die Befürworter hören vor allem das, was Trump und seine Leute ständig wiederholen: Das alles sei eine „Hexenjagd“ der Opposition, die ihre Niederlage 2016 noch immer nicht verkraftet habe.
Wahlweise entlasten die Zeugen nach dieser Lesart den Präsidenten, belasten ihn zu Unrecht, da sie zum Lager der „Never Trumper“ zählen, oder verbreiten Dinge, die sie nur vom Hörensagen kennen und die damit nicht verwertbar sind. Der Präsident habe nichts falsch gemacht, und das, was berichtet wird, sei so oder so keine Grundlage für ein Impeachment. Aus und vorbei, verkündet Trump bereits am Mittwochmittag, draußen vor dem Weißen Haus steht er da und liest den wartenden Journalisten von seinem Handzettel vor: Es gab kein Quid pro quo!
So geht das Impeachment-Verfahren jetzt weiter
Da die Demokraten dieser Logik jedoch nicht folgen werden, wird der Impeachment-Prozess seinen Lauf nehmen. Der Geheimdienstausschuss wird seinen Bericht schon bald dem Justizausschuss vorlegen, der wird die Punkte formulieren, wegen der Trump „impeached“ werden soll, darunter Bestechung beziehungsweise Erpressung und Behinderung der Justiz. Dann entscheidet das gesamte Repräsentantenhaus – wie es aussieht, streng entlang der Parteilinien. Da die Demokraten hier die Mehrheit stellen, wird das Impeachment wohl durchgehen, womöglich noch vor Weihnachten.
Doch als Nächstes ist der Senat an der Reihe, der zunächst einen Prozess abhalten wird, bei dem sowohl Demokraten als auch Republikaner Zeugen aufrufen dürfen. Hier sind die Republikaner in der Überzahl, zudem braucht es in dieser Kongresskammer eine Zweidrittelmehrheit, um einen Präsidenten tatsächlich des Amtes zu entheben – etwas, das in der amerikanischen Geschichte noch nie vorgekommen ist.
Danach sieht es auch dieses Mal nicht aus, daran haben die Marathonanhörungen nichts geändert. Selbst William Hurd, der einzige Afroamerikaner unter den republikanischen Abgeordneten und ein Trump-Kritiker, erklärt am Mittwochnachmittag nach der Aussage des EU-Botschafters Gordon Sondland, keinen Beweis vernommen zu haben, dass der Präsident sich der Bestechung oder Erpressung schuldig gemacht habe.
Der zentrale Zeuge: EU-Botschafter Gordon Sondland
Sondlands Auftritt nennen viele einen Schlüsselmoment des Verfahrens, weil er bestätigt, dass es ein Quid pro quo gegeben hat.
Gab es ein Quid pro quo? Die Antwort ist Ja.
Gordon Sondland, US-Botschafter bei der EU
Doch dabei bezieht er sich nicht auf Trump direkt, sondern auf dessen privaten Anwalt Rudy Giuliani, der eine Schatten-Außenpolitik in der Ukraine betrieben hat, die in den Anhörungen klar beschrieben wird. Sondland will auch nichts davon gewusst haben, worum es bei den von Trump gewünschten Ermittlungen wirklich gegangen sei – auch wenn andere Zeugen erklären, dass jedem bewusst gewesen sei, dass „Burisma“ das Codewort für „Biden“ war. Aber Sondland bleibt dabei. Dass er lügt, muss ihm erst nachgewiesen werden.
Trump nimmt via Twitter an den Anhörungen teil
Darum gibt sich Trump auch so siegessicher. Er weiß seine Reihen geschlossen und hält seine Basis via Twitter auf dem Laufenden und bei Laune.
Zu Beginn der Woche deutet er an, dass er selbst aussagen könnte, zumindest schriftlich. Ob er das ernst meint, vermag keiner zu sagen.
Mit Genugtuung nimmt er zur Kenntnis, dass die Zuschauerzahlen im Laufe der Woche zurückgehen. Und auch wenn man das in Washington anders empfindet, wo in jeder Bar der Fernseher und in jedem Taxi das Radio die Anhörungen überträgt: Einer Umfrage des Senders ABC News und des Instituts Ipsos zufolge verfolgen nur 21 Prozent der Befragten die Anhörungen genau. Viele Amerikaner haben andere Sorgen, vor allem jenseits der Küsten.
Das Dilemma der Demokraten: Wähler wollen Problemlösungen
Die demokratischen Präsidentschaftskandidaten, die fern der Hauptstadt ihren Vorwahlkampf in ländlichen Bundesstaaten wie Iowa bestreiten, sind sich dieses Dilemmas bewusst. Bei ihrer TV-Debatte am Mittwochabend in Atlanta eint sie zwar die Kritik an Trump: Senatorin Kamala Harris spricht von dem „Kriminellen im Weißen Haus“, Senator Bernie Sanders vom „korruptesten Präsidenten in der Geschichte des Landes“.
Der korrupteste Präsident in der Geschichte Amerikas
Bernie Sanders, Präsidentschaftskandidat
Aber gleichzeitig warnt Sanders davor, sich nur auf Trump zu konzentrieren. Das könnte sie die Wahl kosten. Die Menschen, die unter der zunehmenden Ungleichheit im Land litten, erwarteten Antworten auf ihre wahren Probleme: wie die explodierenden Wohnkosten, die mangelhafte Gesundheitsversorgung, durch Globalisierung und Digitalisierung wegfallende Jobs oder horrende Studiengebühren.
Selbst die Farmer verteidigen Trump: Er tut wenigstens was
Trump hat es 2016 geschafft, viele dieser besorgten Bürger davon zu überzeugen, dass er ihnen nicht nur zuhört, sondern auch helfen wird. Bis heute verteidigen ihn selbst Farmer, die unter den von ihm angezettelten Handelsstreitigkeiten leiden – immerhin versuche er, ihre Lage zu ändern, argumentieren sie. Dem müssen die Demokraten etwas entgegensetzen.
Doch unter den Kandidaten sind gleich fünf Senatoren. Kommt es Anfang 2020 zum Prozess im Senat, müssen sie in Washington anwesend sein, gleichzeitig wahlkämpfen wird da schwer. Dennoch haben sich alle von ihnen für ein Impeachment-Verfahren ausgesprochen, von dem sie sich einen Stimmungsumschwung erhoffen.
Der Herr des Geschehens: Ausschussvorsitzender Adam Schiff
An den Anhörungen selbst liegt es nicht, wenn der ausbleibt. Adam Schiff, der demokratische Vorsitzende des Geheimdienstausschusses, hat seine Aufgabe fulminant erfüllt. Die Riege der Zeugen war beeindruckend, der Sachverhalt ist nun jedem klar, der ihn zur Kenntnis nehmen will. Schiff blieb Herr des Geschehens, selbst wenn die Republikaner ihn, das Verfahren an sich oder die Zeugen angriffen.
Twitterte Trump von draußen wüste Attacken gegen die Zeugen, sorgte er dafür, dass diese davon Kenntnis erhielten, und hielt dem Präsidenten anschließend Zeugeneinschüchterung vor – auch das ein Impeachment-Grund. Seinem Sitznachbarn Nunes, der ihn ein ums andere Mal provozierte, zeigte Schiff konsequent die kalte Schulter.
[Lesen Sie mehr auf Tagesspiegel.de: Das sind die wichtigsten Zeugen und ihre Aussagen – von Vindman bis Volker.]
Wie Schiff am Donnerstag die Anhörungen zusammenfasst, hallt nach. 20 Minuten lang präsentiert er klar und deutlich die Ungeheuerlichkeiten der Affäre, die Zeugen wie Alexander Vindman, Ukraine-Experte im Nationalen Sicherheitsrat, eindrücklich beschrieben – und warum diese schlimmer als der Watergate-Skandal seien, der Präsident Richard Nixon sein Amt kostete.
Anders als damals, so beklagt Schiff, sei heute kein einziger Republikaner bereit, auf die richtige Seite zu wechseln. Mit bebender Stimme endet er mit dem Satz: „Wir sind besser als das.“
Dass das letzte Wort in Trumps Ukraine-Affäre nicht gesprochen ist, macht sein lautes „adjourned“ klar, bevor er den Hammer auf den Tisch schlägt. Vertagt.