Anhörung der Zeugin Yovanovitch: Das Gesicht der Ukraine-Affäre
Der Auftritt der ehemaligen US-Botschafterin in der Ukraine im Impeachment-Prozess ist emotional. Das ist auch so gewollt.
Marie Yovanovitchs Rolle an diesem Freitagmorgen ist klar: Ihr Auftritt soll dem ersten Opfer der Ukraine-Affäre ein Gesicht geben. Als nicht nur hoch angesehene, verdiente Topdiplomatin mit tadellosem Ruf, sondern auch eine sympathische, mutige Frau, der Unrecht zugefügt wurde. Die ehemalige US-Botschafterin in der Ukraine, die im Mai abrupt von US-Präsident Donald Trump von ihrem Posten abberufen wurde, erfüllt diesen Anspruch.
"Ich erscheine hier vor Ihnen als amerikanische Staatsbürgerin, die den Großteil ihres Lebens, 33 Jahre, dem Dienst an dem Land gewidmet hat, das wir alle lieben", sagt sie mit ihrer warmen, zurückhaltenden Stimme, die vor allem zu Beginn nur schlecht zu verstehen ist. Der Ton muss erst hochgedreht werden, damit die Zuhörer in Raum 1100 des Longworth Kongressgebäude es mitkriegen, wenn die Diplomatin von der "tiefen Dankbarkeit" spricht, die sie gegenüber den USA empfinde, die ihre Familie – Flüchtlinge aus der Sowjetunion – aufnahm. Oder davon, wie sie 1993 beim Putschversuch in Moskau zwischen die Fronten geraten sei.
Schnell geht sie über zu dem Grund, warum sie hier ist. Im Interesse der USA habe sie die Korruption in der Ukraine stets bekämpft, damit das Land zu einer stabilen und unabhängigen Demokratie werden könne. In den letzten Monaten ihrer Arbeit dort hätten korrupte Persönlichkeiten aber plötzlich Unterstützung aus Amerika erhalten.
Ihre Ukraine-Politik sei gekidnappt worden, sagt Yovanovitch. "Das ist hochgefährlich." Die Politik der Regierung habe das Außenministerium in eine schwere Krise gebracht. Diplomaten, die sich für ihr Land in Krisengebiete und manchmal auch an die Front begäben, könnten sich nicht mehr darauf verlassen, den Rückhalt ihrer eigenen Regierung zu haben.
Dann spricht sie über die Schmutzkampagne gegen sie persönlich, die sie ihr Amt gekostet habe. Yovanovitch war nach eigenen Angaben nicht mit den Bestrebungen Trumps und von dessen persönlichem Anwalt Rudy Giuliani einverstanden, sich aus der Ukraine möglicherweise kompromittierendes Material über den demokratischen Präsidentschaftsbewerber Joe Biden und dessen früher für ein ukrainisches Gasunternehmen tätigen Sohn Hunter Biden zu besorgen. Darum habe Giuliani darauf hingearbeitet, sie loszuwerden.
"Schockiert" und "enttäuscht"
Yovanovitch ist die dritte Zeugin, die im Rahmen der Untersuchungen des Repräsentantenhauses für ein mögliches Amtsenthebungsverfahren gegen Trump öffentlich angehört wird. Wie vor ihr William Taylor, der geschäftsführende Botschafter in Kiew, und der für Osteuropa zuständige Staatssekretär George Kent hat auch sie bereits hinter verschlossenen Türen ausgesagt.
Das für Trump und sein Umfeld belastende Statement, das sie vorliest, gleicht dem, was von ihrer ersten Aussage berichtet wurde. Aber ihr Live-Auftritt, der von Millionen Amerikanern verfolgt wird, soll eine ganz andere Wirkung entfalten. Das gelingt, vor allem dann, als sie in der anschließenden Befragung erzählt, wie "schockiert" und "enttäuscht" sie über den Umgang mit ihr gewesen sei. Sie habe sich bedroht gefühlt, sagt sie, als sie erfuhr, dass Trump über sie in einem Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sagte, sie bedeute "schlechte Nachrichten".
Wie zum Beweis schickt der Präsident in Echtzeit während der Anhörung Beleidigungen in ihre Richtung. Alles, was Yovanovitch "angefasst" habe, sei "schlecht" geworden, twittert er. Und, dass Präsidenten das "absolute Recht" hätten, Botschafter zu feuern. Adam Schiff, der demokratische Vorsitzende des Geheimdienstausschusses, sorgt dafür, dass die Botschafterin davon erfährt. "Präsident Trump attackiert Sie auf Twitter", sagt er und fragt sie, was sie dabei empfinde.
Sie bestätigt, dass sie sich bedroht fühle, dass so etwas einschüchtere. Das ist die Antwort, die Schiff erwartet hat, und er sagt auch gleich, warum. "Manche von uns hier nehmen die Einschüchterung von Zeugen sehr, sehr ernst." Kurz darauf wird Schiff, der federführend für das Impeachment-Verfahren ist, ankündigen, dass Trump mit seinen Tweets einen weiteren Grund für ein Amtsenthebungsverfahren geliefert habe.
Aus Sicht der Demokraten läuft diese erste Woche der öffentlichen Anhörungen gut. 13 Millionen Amerikaner schauten allein am Mittwoch, dem ersten Tag, zu. In der kommenden Woche geht es mit den Anhörungen weiter. Die Schwierigkeit ist nur, wie sich die Aufmerksamkeit der Zuschauer bewahren lässt bei Befragungen, die sich stundenlang hinziehen. Muss es eine Show mit Knalleffekten sein, oder reichen die nüchternen Aussagen der Zeugen?
Die Atmosphäre einer Theateraufführung
Ein bisschen erzeugt schon der Sitzungssaal die Atmosphäre einer Theateraufführung, oder besser eines Vorsprechens für ein Stück. Die Zeugin sitzt fast alleine an einem Tisch und schaut hinauf zu dem etwas erhöhten Halbrund der demokratischen und republikanischen Abgeordneten, die sie befragen. Hinter den Abgeordneten des Geheimdienstausschusses hängen dunkelblaue Vorhänge, eingerahmt von weißen Säulen. Davor sind drei große Schilder aufgebaut, offensichtlich von der republikanischen Seite.
Darauf steht etwa, dass Adam Schiff seit 95 Tagen wisse, wer der anonyme Geheimdienstmitarbeiter ist, mit dessen Beschwerde über das Telefonat zwischen Trump und Selenskyj die Ukraine-Affäre begonnen hat. Trump fordert immer wieder, dass die Identität des Whistleblowers öffentlich gemacht wird, ein Schritt, den die Demokraten mit Verweis auf den Zeugenschutz ablehnen.
Die Republikaner haben an diesem Tag eine Gratwanderung vor sich. Einerseits folgen sie der – von ganz oben vorgegebenen – Linie, die Glaubwürdigkeit der Belastungszeugen zu erschüttern. Andererseits müssen sie aufpassen, gerade diese Zeugin nicht so hart anzufassen, das könnte unsympathisch wirken. Eine weitere Strategie ist der Versuch, vom Wesentlichen abzulenken, vom Vorwurf, dass Trump sein Amt für persönliche Vorteile missbraucht habe. Wie das geht, zeigt das Weiße Haus parallel zum Beginn der Anhörung. Es veröffentlicht ein Protokoll des ersten Telefonats zwischen Trump und Selenskyj – ein Gespräch, das im Impeachment-Prozess gar keine Rolle spielt.
Devin Nunes, das ranghöchste republikanische Mitglied im Geheimdienstausschuss, liest es dennoch stoisch vor. Darin gratulierte Trump am 21. April Selenskyj zur Wahl und lädt ihn zu einem Besuch nach Washington ein. Anders als in dem brisanten Telefonat der beiden drei Monate später waren die Bidens kein Thema. Das hatte aber auch niemand behauptet.
Immer wieder versucht Nunes auch, den von Schiff vorgegebenen Ablauf zu stören, der außer ihnen beiden zunächst nur den Rechtsberatern, Daniel Goldman auf der demokratischen und Steven Castor auf der republikanischen Seite, jeweils 45 Zeit gibt, die Zeugin zu befragen. So versucht er etwa, der einzigen Frau unter den Republikanern, Elise Stefanik, Redezeit zu geben. Schiff lehnt unter Verweis auf die Ausschussregeln ab, in den sozialen Medien wird das vom Trump-Lager dennoch als unfreundlicher Akt gebrandmarkt. Wie überhaupt jede Seite mit allen Mitteln und auf allen Kanälen versucht, ihre Version davon zu verbreiten, wie die Anhörungen auf dem Capitol Hill verlaufen. Mindestens die eigenen Reihen müssen überzeugt werden.
Dass Ermittlungen durch den Kongress durchaus Konsequenzen haben können, zeigte sich ebenfalls am Freitag. Der langjährige Trump-Vertraute Roger Stone wurde in mehreren Anklagepunkten in Zusammenhang mit der Russland-Affäre für schuldig befunden. Eine Jury an einem Gericht in Washington sah es als erwiesen an, dass der 67-Jährige vor dem Kongress unter anderem Falschaussagen gemacht und Justiz-Ermittlungen behindert hat. Hintergrund sind die Ermittlungen von Sonderermittler Robert Mueller dazu, ob es im Präsidentschaftswahlkampf 2016 Absprachen des Trump-Lagers mit Vertretern Russlands gab. Stone hatte 2015 bei den Vorbereitungen für den Präsidentschaftswahlkampf für Trump gearbeitet, und auch danach noch als informeller Berater.