AfD-Erfolg in Sachsen und Brandenburg: Warum die Wahlergebnisse dem radikalen „Flügel“ nützen
Während die AfD noch feiert, bahnt sich innerparteilich der nächste Konflikt an. Der Kampf um Kurs und Personal könnte wieder aufbrechen.
Andreas Kalbitz und Björn Höcke liegen sich um kurz nach 18 Uhr in den Armen, Höcke schließt sogar die Augen. Der brandenburgische Spitzenkandidat und sein Parteifreund aus Thüringen feiern das Wahlergebnis der AfD.
Doch diese Geste, hier bei der Wahlparty im brandenburgischen Werder an der Havel, soll noch ein weiteres Signal senden: Der Wahlerfolg der AfD in Brandenburg und Sachsen ist ein Erfolg auch für den radikalen „Flügel“ in der AfD, der die Ost-Landesverbände dominiert und den Höcke gemeinsam mit Kalbitz führt.
Wenn Kalbitz enttäuscht ist, dass die AfD nicht stärkste Kraft geworden ist, lässt er es sich nicht anmerken.
Das Ergebnis, ruft er in den prunkvollen Ballsaal in Werder hinein, zeige doch deutlich: „Die AfD ist gekommen, um zu bleiben.“ Die Funktionäre auf der Bühne fangen an laut „AfD, AfD“ zu skandieren, begleitet von einem harten, rhythmischen Klatschen. Ebenfalls dabei: der sachsen-anhaltinische Landeschef Martin Reichardt, auch er ein „Flügel“-Mann. Er gibt später zu Protokoll, das Wahlergebnis stärke die ostdeutschen Landesverbände.
In den vergangenen Wochen herrschte Waffenruhe
Dass sich die Frontmänner des „Flügels“ – zu denen sich auch Sachsens AfD-Chef Jörg Urban zählen lässt – nun so selbstbewusst geben, spielt eine Rolle für die internen Konflikte in der AfD. Diese könnten nach den Wahlen wieder aufbrechen. In den vergangenen Wochen herrschte weitgehend Waffenruhe.
Niemand wollte den Wahlkämpfern in die Parade fahren und am Ende für fehlende Prozentpunkte verantwortlich sein. Nach Sachsen und Brandenburg wählt schließlich am 27. Oktober mit Thüringen noch ein weiteres Bundesland im Osten. Doch das ändert nichts daran, dass sich der „Flügel“ im Machtkampf mit denen befindet, die sich in der AfD als Gemäßigte verstehen.
AfD-Chef Gauland versucht es am Sonntagabend mit einem Appell: „Es gibt nur eine AfD und die hält zusammen.“ Er bitte alle, sich im „Siegestaumel“ vernünftig zu benehmen.
Der Aufruf zum Zusammenhalt kommt nicht von ungefähr. Beim jährlichen Treffen des „Flügels“ im Juli, dem Kyffhäuser-Treffen, hatte Höcke eine Kampfansage gemacht. „Ich werde mich mit großer Leidenschaft der Neuwahl des Bundesvorstands hingeben“, kündigte er drohend an.
In der aktuellen Zusammensetzung werde die Parteispitze Ende des Jahres sicher nicht wiedergewählt. Der Applaus war groß, genauso wie der Personenkult um Höcke. Wenig später folgte der „Appell der 100“, bei dem mehr als 100 AfD-Funktionäre kritisierten, Höcke habe die innerparteiliche Solidarität verletzt.
Osten will stärker an der Parteispitze vertreten sein
Auch in mehreren West-Landesverbänden der AfD brodelt es. Nachdem Machtkämpfe zwischen „Flügel“-Anhängern und weniger radikalen Funktionären eskalierten, müssen in Nordrhein-Westfalen und Bayern die Landesvorstände neu gewählt werden. Und als moderat geltende Landeschefs wie der Berliner AfD-Vorsitzende Georg Pazderski stehen innerparteilich unter Druck. Pazderski gab sich am Sonntagabend dennoch gelassen. Er sei überzeugt, dass der Erfolg der Ost-Verbände keine Auswirkungen auf den Kurs der AfD haben werde.
Der Machtkampf zwischen den Lagern läuft Ende des Jahres zu auf den Höhepunkt zu, wenn der Bundesvorstand neu gewählt wird. Die vom „Flügel“ dominierten Ost-Verbände hegen die Hoffnung, dass sich auf Grund guter Wahlergebnisse die Machtverhältnisse zu ihren Gunsten verschieben.
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Das sah man schon nach der Europawahl, bei der die AfD im Osten deutlich stärker abschnitt als im Westen. Der sächsische AfD-Vize Siegbert Droese erklärte damals, sein Landesverband beanspruche einen Platz an der Spitze der AfD – „idealerweise als Vorsitzender oder als Stellvertreter“.
Im Gespräch ist zum Beispiel der sächsische Bundestagsabgeordnete Tino Chrupalla. Er wird dem „Flügel“ zwar nicht zugerechnet, versteht sich aber gut mit dessen Vertretern. Wenn Gauland aus Altersgründen nicht mehr als Parteichef zur Verfügung stehen sollte und Chrupalla als sein Nachfolger gewählt würde, dann hätte der „Flügel“ von ihm wenig Widerstand zu befürchten.
Welche Konsequenzen haben Enthüllungen über Kalbitz?
Trotzdem ist es nicht ausgemacht, wie es in der innerparteilichen Auseinandersetzung weitergeht. Denn auch der „Flügel“ muss Rückschläge verzeichnen: Die schleswig-holsteinische Landesvorsitzende Doris von Sayn-Wittgenstein, die vor zwei Jahren noch als „Flügel“-Vertreterin für den Parteivorsitz antrat, ist aus der Partei ausgeschlossen worden.
Interessant dürfte zudem werden, ob es für den brandenburgischen Spitzenkandidaten Kalbitz noch innerparteiliche Konsequenzen haben wird, dass in den vergangenen Wochen weitere rechtsextreme Details seiner Vita enthüllt wurden. So war er laut „Spiegel“ 2007 mit NPD-Funktionären bei einem Neonazi-Aufmarsch in Athen, was er auch zugab. Seine Gegner in der Partei werden sich genau überlegen, wie sie das gegen ihn verwenden können.