Griechisch-türkische Konfrontation: Warum der Machtkampf ums Gas so gefährlich ist
Rohstoff und Einfluss: Warum sich die Spannungen zwischen der Türkei und Griechenland verschärfen - und welche Risiken daraus erwachsen.
Zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage knöpfte sich der französische Präsident Emmanuel Macron am Donnerstag die Türkei vor.
Anfang der Woche hatte er zusammen mit Kanzlerin Angela Merkel und dem italienischen Premier Giuseppe Conte die türkische Regierung wegen ihrer Libyen-Politik verwarnt. Nun nutzte Macron einen Besuch auf Zypern, um Sanktionen der EU gegen die Türkei wegen des Gasstreits im östlichen Mittelmeer zu fordern.
Dass der Nato-Partner die maritimen Rechte der EU-Mitglieder Griechenland und Zypern verletze, sei nicht hinnehmbar. Macrons Breitseite gegen die Führung in Ankara macht deutlich, wie kompromisslos sich im östlichen Mittelmeer die verschiedenen Seiten gegenüberstehen – und wie brisant die Situation ist.
Athens Ansprüche, Ankaras Ansprüche
Griechenland hat seine Marineverbände in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt, weil die Türkei in den Gewässern um die griechische Insel Kastellorizo nach Erdgas suchen will. Ein türkisches Forschungsschiff in der Gegend wird von Kriegsschiffen, Kampfflugzeugen und Drohnen begleitet.
Griechenland betrachtet die türkische Aktion als illegal. Auch vor Zypern lässt Ankara – trotz aller Proteste aus der EU – nach Gas suchen.
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Sogar französische und türkische Kriegsschiffe waren sich in den vergangenen Wochen im Mittelmeer gefährlich nahe gekommen. Nach Angaben aus Paris richteten türkische Fregatten ihr Zielradar auf ein französisches Kriegsschiff und verhinderten damit die Durchsuchung eines Frachters, der möglicherweise Waffen für Libyen an Bord hatte. Solche Zusammenstöße auf hoher See können leicht in eine militärische Konfrontation umschlagen.
Die Türkei und Griechenland standen zuletzt 1996 wegen ungeklärter Gebietsansprüche in der Ägäis am Rande eines Krieges. Seit Jahrzehnten streiten sich beide Länder über die Grenzziehung in der Ägäis. Die Türkei hat die internationale Seerechtskonvention nicht unterzeichnet und lehnt die griechischen Hoheitsansprüche um die Inseln in der Ägäis ab.
Ankara argumentiert, der Nachbar habe keinen Anspruch auf große Meeresgebiete um Inseln in der Nähe des eigenen Festlands. So betonte das Außenministerium diese Woche, die Insel Kastellorizo liege nur zwei Kilometer von der türkischen Küste, aber 580 Kilometer vom griechischen Festland entfernt. Athens Ansprüche seien deshalb „weder rational noch vom Völkerrecht gedeckt“.
Die Doktrin vom „Mavi Vatan“ – dem Blauen Vaterland – definiert große Seegebiete vor den Küsten des Landes als türkische Einflusszonen. Das betrifft nicht nur Gewässer um die griechischen Inseln bis zur Küste von Kreta, rund 200 Kilometer vom türkischen Festland entfernt, sondern auch das östliche Mittelmeer um Zypern.
Im Falle Zyperns betrachtet sich die Türkei zudem als Beschützerin der türkischen Minderheit auf der geteilten Insel.
Die Entdeckung großer Gasvorräte unter dem Mittelmeer wirkt in dieser Situation wie ein politischer Brandbeschleuniger. Nach US-Schätzungen lagert unter dem Meeresgrund genug Erdgas, um einen Staat wie Deutschland fast 40 Jahre lang zu versorgen. Griechenland, Zypern, Ägypten und Israel haben vereinbart, bei der Ausbeutung der Bodenschätze zusammenzuarbeiten – unter Umgehung der Türkei. Ankara will das nicht hinnehmen.
„Im östlichen Mittelmeer sind Gas und Geopolitik eng miteinander verwoben“, sagt Nahost-Experte Joe Macaron vom Arab Center in Washington. Die vier Mitglieder der Gas-Allianz hätten nicht nur gemeinsame Interessen bei der Nutzung der Bodenschätze, betont Macaron im Gespräch mit dem Tagesspiegel.
Geeint würden Griechenland, Zypern, Ägypten und Israel darüber hinaus durch ihre „Feindseligkeit gegenüber der Türkei“. Ankara versuche, sich ein Stück vom Kuchen zu sichern und halte deshalb dagegen.
Machtkampf in Libyen
Politischen Sprengstoff birgt darüber hinaus der Libyen-Konflikt. Auch dort mischt Recep Tayyip Erdogan kräftig mit. Der türkische Staatschef hat das nordafrikanische Land zu seiner Einflusszone erkürt – und sich auf die Seite der international anerkannten, aber schwachen Regierung in Tripolis geschlagen.
Die kämpft gegen den abtrünnigen General Chalifa Haftar, der im Osten das Sagen hat, aber erklärtermaßen die Herrschaft über das ganze Land anstrebt. Die Türkei will das verhindern und hat moderne Waffen, Soldaten und Söldner nach Libyen gebracht.
So gelang es den Einheiten der Regierung um Premier Fajis al Sarradsch, Haftar zurückzudrängen und selbst in die Offensive zu gehen. Ankara will sich vor allem militärischen, politischen und wirtschaftlichen Einfluss in Libyen sichern. Dazu gehört ein hochumstrittenes Abkommen mit der Regierung in Tripolis, das die Seegrenzen mit der Türkei neu regelt. Auch hierbei spielt der Zugriff aufs Gas eine große Rolle.
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Ein Vermittler ist nicht in Sicht. Zwar schaltete sich Angela Merkel mit Telefongesprächen in den türkisch-griechischen Streit ein, doch grundsätzlich steht Deutschland – wie der Rest der EU – auf der Seite von Griechenland und Zypern. Die Türkei wirft den Europäern vor, sich zu „Geiseln“ von Athen und Nikosia machen zu lassen.
Auch die USA fallen als Vermittler wohl aus, glaubt Nahost-Experte Macaron. Denn Washington sendet widersprüchliche Signale. In Libyen unterstützt Washington die Türkei, um eine Erweiterung russischen Einflusses zu verhindern.
Beim Gasstreit im Mittelmeer steht Amerika dagegen hinter Griechenland, Zypern, Ägypten und Israel. Die Unberechenbarkeit von Präsident Donald Trump mache die USA zu einem unsicheren Kantonisten, sagt Experte Macaron.