Die Linke-Spitzenkandidatin und die AfD: Wagenknecht sieht sich als Opfer einer Kampagne
Linken-Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht will frustrierte AfD-Sympathisanten erreichen - und eckt damit an. Es gibt Parteiaustritte. Ihre Kritik an Kanzlerin Merkel verteidigt sie.
Der Bundestagswahlkampf fängt gerade erst an – aber die ersten in der Linkspartei verlieren wegen ihrer Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht schon die Nerven. Ein Déjà-vu-Erlebnis verspürt beispielsweise die neue Berliner Landesvorsitzende. Verärgert sagte Katina Schubert dem Tagesspiegel: „Und täglich grüßt das Murmeltier. Sie wird sich nicht ändern. Sie wird immer wieder die gleiche Scheiße erzählen.“ So deutlich wie die Berliner Linken-Vorsitzende hatten zuvor wenige Wagenknecht kritisiert. Doch in deren Landesverband soll es bereits, wie aus Parteikreisen verlautet, wegen der Spitzenkandidatin der Linken die ersten Parteiaustritte geben.
Der Streit hatte sich entzündet an einem Interview von Wagenknecht mit dem „Stern“. Die Politikerin warf Merkel vor, „die AfD groß gemacht“ zu haben. Und sprach von einer Mitverantwortung der Kanzlerin für den Terroranschlag vor Weihnachten am Berliner Breitscheidplatz. Diese Mitverantwortung sei „vielschichtiger“, erläuterte die Linken-Fraktionschefin im Bundestag – und erwähnte „neben der unkontrollierten Grenzöffnung“ eine „kaputtgesparte Polizei“ sowie eine „fatale“ Außenpolitik. Sie verteidigte diese Position später im ZDF und auf ihrem Facebook-Account. Am Sonntag schließlich erklärte sie im Deutschlandfunk, wie sie sich den Kampf um die Wutbürger vorstellt.
Sie hoffe, „dass wir auch viele von denen erreichen, die zurzeit aus Frust, aus Verärgerung über die bisherige Politik darüber nachdenken, AfD zu wählen – aber nicht, weil sie deren Parolen unbedingt gut finden, sondern wirklich nur, weil sie sagen: ,Ich will deutlich machen, dass sich was ändern muss’“, sagte sie dem Sender. Populismus, das könne auch bedeuten, dass man die Menschen ernst nehme „in ihren Bedürfnissen, auch in ihren Ängsten“.
„Union, SPD und Grüne mit der AfD in einem Boot“
Am Sonntagabend schließlich verteidigte Wagenknecht ihre Äußerungen erneut - und nannte Kritik daran „eine Kampagne“. Im Newsletter an ihre Anhängerinnen und Anhänger schrieb sie: „Der Vorwurf ist inzwischen leider sehr bekannt: Sahra Wagenknecht übernimmt Positionen der AfD! Ich möchte Euch herzlich darum bitten, diesen Kampagnen nicht auf den Leim zu gehen.“
Wagenknecht schrieb weiter, im Kern laufe die Argumentation mit der AfD-Nähe „auf ein simples Schema hinaus: Die Linke kritisiert Merkels Politik. Die AfD kritisiert Merkels Politik. Also ist die Linke AfD-nah. Und wer nicht will, dass er öffentlich mit dieser Keule erschlagen wird, der sollte sich - so der Ratschlag unserer Gegner - eben bemühen, seine Merkel-Kritik so zahm, so zurückhaltend, so unscheinbar zu formulieren, dass sie kaum noch als solche erkennbar ist“. Das Ziel einer solchen Kampagne sei klar, behauptet sie: „Eine Linke, die nach diesem ,Ratschlag' handeln würde, würde in die politische Bedeutungslosigkeit verschwinden.“
Wagenknecht warf in dem Newsletter des „Teams Sahra“ CDU/CSU, SPD und Grünen vor, mit der AfD programmatisch „in einem Boot“ zu sitzen. Sie versicherte, sie werde sich „auch von solchen Attacken nicht davon abhalten lassen, Probleme anzusprechen und Kritik an Merkel und ihrer Politik zu üben“.
„Wagenknecht bedient rassistische Ressentiments“
Kritische Worte hat es zuvor nicht nur von der Berliner Landesvorsitzenden Schubert, anderen Landespolitikern sowie mehreren Bundestagsabgeordneten wie Martina Renner, Thomas Nord, Stefan Liebich und Jan van Aken gegeben. Sondern auch im Umfeld der Partei. In einem Debattenbeitrag für die Zeitung „Neues Deutschland" schrieb Jan-Ole Arps, Politikwissenschaftler und Redakteur der linken Monatszeitung „ak - analyse & kritik“: „Sahra Wagenknecht bedient systematisch rassistische Ressentiments in der Bevölkerung, und das nicht erst seit gestern.“ Kritik pralle an ihr ab. Bedrohungsgefühle zu schüren und mit der Anwesenheit von Menschen zu verknüpfen, die vor Krieg geflohen sind oder einfach ein besseres Leben suchen, „das ist das Programm der Rechten - und offensichtlich auch das von Sahra Wagenknecht“.
Der Politikwissenschaftler Matthias Quent sagte dem Portal tagesschau.de, Wagenknechts Äußerungen zum Anschlag von Berlin entsprächen dem „politischen Stil von Populisten“. Die Behauptung, Merkel habe 2015 unkontrolliert die Grenzen geöffnet, sei „sachlich schlicht falsch, auch wenn diese Phrase längt zum politischen Mainstream gehört“. Merkel habe vielmehr „die Grenzen nicht geschlossen und dadurch eine noch schlimmere humanitäre Katastrophe verhindert“.
Sauer ist auch die sächsische Linken-Abgeordnete Kerstin Köditz. Sie warnte auf tagesschau.de, dass „auch ein links gemeinter Populismus der extremen Rechten in die Hände spielt“. Sahra Wagenknecht bediene „rechte Rufe nach einem starken Staat und einem weiteren Ausbau des Sicherheitsapparats“. Rico Gebhardt, Landes- und Fraktionschef der Linken in Sachsen, pfeift Köditz zurück. Auch er kritisiere die Äußerung von Wagenknecht, wonach Merkel die „Grenzen unkontrolliert geöffnet“ habe, betont Gebhardt. Nur alle anderen Aussagen von Wagenknecht zur politischen Agenda der Kanzlerin „stimmen doch wohl“, meint er. Der sächsische Linken-Chef stellt der fest: „Wagenknecht politische Nähe zur AfD vorzuwerfen ist zynisch und politischer Unsinn.“ Dies zeige nur „die eigene Hilflosigkeit im Umgang mit der AfD“.
Die Linken-Parteichefs Katja Kipping und Bernd Riexinger äußerten sich auch am Wochenende nicht zur Debatte um ihre Spitzenfrau - angeblich will Riexinger das Thema am Montag auf seiner Pressekonferenz in Berlin ansprechen. Auch Ko-Fraktionschef Dietmar Bartsch reagierte nicht auf Anfragen.
Die politische Konkurrenz indes ging Wagenknecht hart an. Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner sagte dem Tagesspiegel: „Wagenknecht war mal wieder ganz rechts außen unterwegs. In der Linken ist es bis auf wenig Aufrechte erstaunlich ruhig geblieben.“ In der „Bild am Sonntag“ stichelte CDU-Generalsekretär Peter Tauber, Wagenknechts Äußerungen machten „deutlich, dass die Linkspartei eine rote AfD ist“. Und seine SPD-Kollegin Katarina Barley erklärte der Nachrichtenagentur dpa, Wagenknecht bediene „die gleichen Vorurteile wie die Demagogen vom rechten Rand“.
Wagenknechts Ehemann, der ehemalige Linken-Vorsitzende Oskar Lafontaine, hatte übrigens kurz nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz kommentiert: „Wer wie die AfD den Anschlag in Berlin in erster Linie auf die Asylpolitik zurückführt, hat nichts verstanden.“
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