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Die designierte EU-Kommissionspräsidentin stellt ihr Personaltableau und die Ressortverteilung in Brüssel vor.
© Reuters/Yves Herman

Ressortverteilung in der EU-Kommission: Vorläufige Lösung einer unmöglichen Aufgabe

Die EU-Kommission, die von der Leyen vorgestellt hat, wird so nicht bleiben. Das Parlament kann fragwürdige Kandidaten zum Rückzug zwingen. Ein Kommentar.

Ursula von der Leyen hatte keine Chance, eine EU-Kommission vorzuschlagen, die Gnade in den Augen des Europäischen Parlaments finden kann. Sie hatte auch keine Chance, die Aufgaben unter den 27 Kandidatinnen und Kandidaten so zu verteilen, dass die Abgeordneten ihren Vorschlag mit breiter Mehrheit unterstützen. Diese unlösbare Aufgabe hat die designierte Kommissionspräsidentin nach Lage ihrer Möglichkeiten gut gemeistert.

Abhängig von den Vorschlägen der EU-Staaten

Sie wird wissen, dass die Kommission, die sie am Dienstagmittag in Brüssel vorstellte, noch nicht das letzte Wort ist. Das Parlament wird den Einen oder die Andere zum Rückzug zwingen, ehe es ein verbessertes Personaltableau akzeptiert. Beim Druck zur Korrektur darf das Parlament jedoch nicht überziehen und muss eine gewisse weltanschauliche Toleranz walten lassen. Auch die Regierungen in Polen und Ungarn, über die die Parlamentsmehrheit die Nase rümpft, sind durch demokratische Wahlen legitimiert und haben einen Anspruch auf Repräsentation in der Kommission. Brüssel kann schwierige EU-Partner nicht auf Dauer ausgrenzen.

Auf die Personalauswahl, mit der sie zurechtkommen muss, hatte von der Leyen wenig Einfluss. Die Mitgliedsländer schlagen die Kandidatinnen und Kandidaten vor. Es ist schon ein Erfolg, dass annähernd die Hälfte, 13 von 27, Frauen sind, vier mehr als in der noch amtierenden Kommission unter Jean-Claude Juncker. Die Zuweisung der Ressorts liegt zwar in von der Leyens Verantwortung, aber auch da hatte sie keine freie Hand. Größere, einflussreiche Länder erheben traditionell Anspruch auf wichtige Ressorts wie Finanzen, Wettbewerb, Handel, Digitales oder (wegen der Verteilungsmasse) Landwirtschaft.

Nicht Böcke zu Gärtnern machen

Bei der Verteilung sollen freilich auch Fachkompetenz und Erfahrung eine Rolle spielen. Personen, die sich bereits in der Kommission bewährt haben wie die Dänin Marghrete Vestager, der Niederländer Frans Timmermans, der Lette Valdis Dombrovskis, der Ire Phil Hogan oder der Grieche Margaritis Schinas haben einen Vorteil. Neulinge, die ihre Nominierung eher ideologischer Loyalität als fachlicher Qualifikation verdanken, werden härter geprüft.

Die größte Herausforderung für von der Leyen bestand darin, den EU-skeptischen Ländern, die sie nicht ignorieren darf, Ressorts anzubieten, bei denen sie keinen Schaden anrichten, sich aber gleichwohl nicht gedemütigt fühlen. Hätte sie, zum Beispiel, Polen die Verantwortung für Justiz angeboten oder Ungarn die Zuständigkeit für Migrationspolitik, hätte sie den Bock zum Gärtner gemacht.

Aber müsste das gleiche Argument nicht auch gelten, wenn man einem Griechen oder einem Italiener die Zuständigkeit für Finanzen, Währung oder Wirtschaft anvertraut, weil doch beide Länder hoch verschuldet sind? Es kommt schon auch auf die individuelle Persönlichkeit an. Der frühere italienische Premier Paolo Gentiloni ist solch eine Respektsfigur; er erhält das Wirtschaftsressort, und niemand protestiert. Polen wird mit der Zuständigkeit für Landwirtschaft besänftigt, Ungarn mit der für die Nachbarschaftspolitik, und die östlichen Mitglieder werden insgesamt aufgewertet, weil der Lette Dombrovskis Vizepräsident der Kommission wird.

Stärken und Schwachstellen der Kommission

Die Kommission hat einige Stärken. Frans Timmermans soll sich um Klimapolitik als herausragendes Zukunftsthema kümmern. Er bleibt zwar nicht zuständig für die Einhaltung der Grundwerte und die Rechtsstaatsverfahren; das kann man als Zugeständnis an Polen und Ungarn werten. Bei der Tschechin Vera Jourova sind die Grundwerte aber in guten Händen. Die streitbare Marghrete Vestager behält die Wettbewerbskontrolle. Der Ire Phil Hogan ist verantwortlich für Handelsabkommen; diese werden großen Einfluss auf Europas Rolle in der Welt haben.

Schwachstellen sind die Personalvorschläge aus Polen, Rumänien und Ungarn, aber auch aus Frankreich. Gegen den PiS-Mann Janusz Wojciechowski ermittelt die europäische Anti-Betrugs-Behörde Olaf wegen womöglich falscher Reiseabrechnungen als Europaabgeordneter. Der rumänischen Sozialistin Rovana Plumb wird Amtsmissbrauch in Korruptionsfällen vorgeworfen. Der Ungar Laszlo Trocsanyi ist parteilos, hat aber als Justizminister unter Viktor Orban die umstrittene Justizreform mitgetragen, gegen die die EU wegen Verletzung der Prinzipien der Rechtstaatlichkeit Einspruch erhob.

Ein Glaubwürdigkeitstest für alle Beteiligten

Nur: Wer in solchen Vorgeschichten einen Hinderungsgrund für die Berufung in die EU-Kommission sieht, muss dann auch Einspruch gegen die französische Liberale Sylvie Goulard einlegen und nicht nur gegen unliebsame Personen aus östlichen EU-Staaten. Goulard kämpft gegen Vorwürfe der Scheinbeschäftigung im Europaparlament. 2017 musste sie deshalb als französische Verteidigungsministerin zurücktreten.

Das Europäische Parlament wird alle Anwärter in Anhörungen auf Herz und Nieren prüfen. Es kann Bedenken gegen Einzelne äußern, die Kommission am Ende aber nur insgesamt bestätigen oder ablehnen. Dieser Mechanismus hat in früheren Jahren dazu geführt, dass einzelne Kandidatinnen und Kandidaten ausgewechselt wurden.

Im politischen Kampf um die endgültige Zusammensetzung der EU-Kommission müssen alle Beteiligten auf ihre Glaubwürdigkeit achten: Ursula von der Leyen, die nationalen Regierungen, die umstrittene Kandidatinnen und Kandidaten nominiert haben, und das Europäische Parlament. Es ist, zum Beispiel, offenkundig, dass Sozialdemokraten, Liberale, Grüne und Linke die nationalpopulistischen Regierungen Polens und Ungarns ablehnen. Sie haben zum Teil auch noch eine Rechnung mit von der Leyen offen, die gegen den Willen der Kräfte links der Mitte und mit Unterstützung mancher Rechtspopulisten Kommissionspräsidentin wurde.

Weltanschauung genügt aber nicht als Motiv, um Kommissionsanwärter scheitern zu lassen. Die persönlichen Qualitäten und Verfehlungen müssen Richtschnur sein. Wer strenge Maßstäbe bei Polen, Ungarn und auch bei Rumänien, das sozialistisch regiert wird und korruptionsanfällig ist, anlegen möchte, sollte ebenso strikt bei Frankreich verfahren.

Am Ende geht es nicht um nationale Eitelkeiten oder Machtkämpfe um Ideologie und Moral. Die EU braucht eine Kommission, die in Europa und rund um die Erde Respekt genießt. Und die Europas Interessen in einer Welt verteidigen kann, die vermehrt unter den nationalen Egoismen der Großmächte leidet, ganz voran Xis China und Trumps USA.

Christoph von Marschall

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