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Die Dänin Margrethe Vestager könnte als von der Leyens Stellvertreterin den Bereich Digitales oder Klimaschutz übernehmen.
© dpa

Von der Leyen verteilt EU-Posten: Wichtige Wirtschaftsressorts könnten mit Frauen besetzt werden

Die neue EU-Kommissionschefin von der Leyen hat die Geschlechterparität an der Spitze der Brüsseler Behörde fast erreicht. Welche Ressorts erhalten die Frauen?

Man muss sich Ursula von der Leyen in diesen Tagen wie eine Puzzlespielerin vorstellen. Etwa so: Passt das rote Teil zum schwarzen? Wie weit ins Zentrum gehört die Farbe Gelb? Und wo gehört das grüne Teil hin?

Es geht um die neue EU-Kommission, an deren Spitze von der Leyen ab dem 1. November stehen wird. Jedes EU-Mitgliedsland – außer Großbritannien – wird einen Vertreter oder eine Vertreterin nach Brüssel in die Kommission schicken. Und dort sollen dann demnächst Schwarze, Rote und Liberale mehr oder weniger einträchtig beisammensitzen. Auch ein Grüner ist dabei, denn Litauen hat den bisherigen Wirtschaftsminister Virginijus Sinkevicius vom Bund der Bauern und Grünen nominiert. Wie viel Macht die Nominierten jeweils ausüben werden, war am Montag allerdings bis zuletzt weitgehend offen. Denn den Zuschnitt ihrer Portfolios will von der Leyen erst an diesem Dienstag bekannt geben.

Neben der Parteizugehörigkeit gibt es noch ein anderes Kriterium, das beim Personalpuzzle eine ganz entscheidende Rolle spielt: die Geschlechterparität. Am Tag ihrer Wahl im Europaparlament in Straßburg hatte von der Leyen im Juli angekündigt, dass die Kommission zur Hälfte mit Frauen besetzt sein soll. Das wäre schon ein ziemlicher Fortschritt: Gegenwärtig sind sind neun der 28 Kommissionsmitglieder Frauen.

Zwölf weibliche Kommissare aus den Hauptstädten benannt

Wenn man sich die Liste mit den Nominierungen aus den Hauptstädten der EU anschaut, dann wird von der Leyen in der neuen Kommission die gewünschte Geschlechterparität annähernd erreichen. Demnach könnte es künftig 13 Kommissarinnen geben. Weibliche Kandidaten wurden aus Dänemark, Bulgarien, Estland, Finnland, Frankreich, Kroatien, Malta, Portugal, Schweden, Tschechien, Zypern und Rumänien benannt. Zählt man noch die Kommissionschefin aus Deutschland hinzu, kommt man damit auf 13 Kommissarinnen.

Zum Lager der Liberalen gehört dabei die Französin Sylvie Goulard. Die Politikerin gehört der Regierungspartei „La République en Marche“ an, die im Europaparlament zusammen mit den traditionellen Liberalen die neue Fraktion „Renew Europe“ gegründet hat. Ihre Nominierung hat in Frankreich allerdings einige Diskussionen ausgelöst. Nicht ohne Grund: In ihrer Zeit als Europaabgeordneter zwischen 2009 und 2017 gab es eine Scheinbeschäftigungsaffäre, die sie vor über zwei Jahren zum Rücktritt vom Amt als Verteidigungsministerin zwang.

„Es ist unklar, ob die Vorwürfe gegen Sylvie Goulard begründet sind“, sagt Margarida Silva von der Nichtregierungsorganisation Corporate Europe Observatory (CEO) mit Blick auf die Scheinbeschäftigungsaffäre. „Wir benötigen dazu mehr Informationen aus dem Europaparlament“, fügt sie hinzu.

Goulards Fall dreht sich um ihren früheren Assistenten Stéphane Thérou. Der erhielt zwischen Ende 2013 und Anfang 2014 ein Salär vom Europaparlament, obwohl er damals gar nicht mehr in Diensten der Straßburger Kammer stand. Goulard hat inzwischen das ihre getan, um künftig keine Angriffsfläche mehr in Brüssel und Straßburg zu bieten – denn schließlich werden sämtliche Kommissare zwischen Ende September und Anfang Oktober von den Ausschüssen des Europaparlaments auf Herz und Nieren geprüft. Um lästigen Fragen zuvorzukommen, hat die 54-Jährige im vergangenen Sommer 45.000 Euro an das Europaparlament zurückgezahlt. Die Summe entspricht sieben Monatsgehältern von Goulards früherem Assistenten im fraglichen Zeitraum.

Die Verwaltung des EU-Parlaments hält den Fall Goulard für abgeschlossen

Falls sich auch die Europaabgeordneten der Einschätzung einer Parlamentssprecherin anschließen sollten, der zufolge der Fall Goulard damit abgeschlossen ist, dann kann die Französin mit einem gewichtigen Ressort in Brüssel rechnen. Die Spekulationen reichen dabei vom Bereich des Binnenmarkts über ein Finanzressort bis zu einem neuen Verteidigungs-Portfolio.

Hoffnungen auf eine herausgehobene Rolle in Brüssel kann sich auch die Estin Kadri Simson machen. Die frühere Wirtschaftsministerin, die ebenfalls zum Lager der Liberalen gehört, wird für ein Wirtschaftsressort gehandelt. Der Bereich der Justiz und der Rechtsstaatlichkeit könnte derweil auf die Liberale Vera Jourova aus Tschechien zukommen, die auch jetzt schon Justizkommissarin ist.

Herausgehobene Rolle für Vestager

Die Vierte im Bunde der Frauen aus dem Lager der Liberalen ist eine Altbekannte – die bisherige EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager aus Dänemark. Die 51-Jährige war zwischenzeitlich selber für die Nachfolge des scheidenden Kommissionschefs Jean-Claude Juncker im Gespräch. An ihrer Stelle kam in dem Postengerangel im vergangenen Sommer von der Leyen zum Zuge, die in dem 27-köpfigen Kommissarskollegium eine von vier Frauen aus den Reihen der Konservativen sein wird. Im Sinne des Proporzes wird von der Leyen künftig von zwei Vize-Chefs mit herausgehobenem Rang unterstützt, die jeweils eine andere Parteifarbe aufweisen: dem Sozialdemokraten Frans Timmermans aus den Niederlanden und der Liberalen Vestager. Wie Vestager und Timmermans die Arbeit untereinander aufteilen, war bis zuletzt Gegenstand von Spekulationen. Dem Vernehmen nach gibt es für die künftigen Vizes zwei voneinander getrennte Aufgabenbereiche: das Feld des „European green deal“, mit dem von der Leyen die Klimaneutralität der EU bis 2050 erreichen will, sowie den digitalen Wandel.

Vier Frauen haben auch die Sozialdemokraten in der EU nominiert. Aufgrund ihrer Vita kommen dabei gleich zwei Politikerinnen für ein Wirtschafts- und Finanzressort infrage: die Finnin Jutta Urpilainen und die Portugiesin Elisa Ferreira. Urpilainen war die Erste aus dem Kreis der nominierten Kandidatinnen und Kandidaten gewesen, mit denen von der Leyen Anfang August ihre Kennenlerngespräche begonnen hatte. Mit Verhandlungen auf EU-Ebene kennt sich Urpilainen bestens aus, denn sie vertrat Helsinki während der Griechenland-Krise zwischen 2011 und 2014 als Finanzministerin.

Finnische Kandidatin fiel durch harten Kurs in der Euro-Krise auf

Die Finnin fiel damals durch ihren harten Kurs gegenüber den Griechen auf. Unter anderem hatte sie mit Athen ein millionenschweres „Finnen-Pfand“ ausgehandelt, mit dem Helsinki sicherstellen wollte, dass der Beitrag bei den Griechenland-Hilfen nicht flöten geht. 2012 erklärte Urpilainen auf ihrer Webseite sogar: „Finnland würde eher darüber nachdenken, die Euro-Zone zu verlassen, als die Schulden anderer Länder im Währungsraum zu begleichen.“

Urpilainens harte Haltung während der Euro-Krise ist allerdings in den südlichen Ländern des Währungsraums in schlechter Erinnerung. Von daher wäre es eher eine Überraschung, wenn von der Leyen die Finnin mit der Nachfolge des gegenwärtigen Währungskommissars Pierre Moscovici betrauen würde. In diesem Ressort müssen die Verantwortlichen abwägen, wie strikt sie den Euro-Stabilitätspakt auslegen. Dass sie selbst nicht zu den Falken gehört, hatte von der Leyen Mitte Juli in Straßburg deutlich gemacht. Seinerzeit kündigte sie in Briefen an die Sozialdemokraten und die Liberalen im Europaparlament an, die „volle Flexibilität“ des Stabilitätspaktes zu nutzen, um mehr Wachstum zu erzeugen.

Als mögliche Kandidatin für die Nachfolge des Franzosen Moscovici gilt daher auch die Portugiesin Ferreira, die bislang Vize-Präsidentin der Zentralbank in Lissabon ist. Dass sie für einen großzügigeren Umgang mit den Euro-Ländern im Süden plädiert, lässt sich daran ablesen, dass sie 2012 von der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament nach Hellas geschickt wurde. Ihr Auftrag bestand damals darin, Griechenland wieder auf den Wachstumspfad zurückzuführen.

Verdacht des Amtsmissbrauchs gegen rumänische Kandidatin

Ein großes Fragezeichen hängt derweil über der Nominierung der rumänischen Regierung. Bukarest will die Europaabgeordnete Rovana Plumb in die neue Kommission schicken. So lautet zumindest der Plan der sozialdemokratischen Regierungschefin Viorica Dancila. Allerdings dürfte die Anhörung der Kandidatin vor dem Europaparlament nicht zum Selbstläufer werden. Nach der Meinung des rumänischen Präsidenten Klaus Johannis, der mit der Premierministerin Dancila eine politische Dauerfehde austrägt, dürfte Plumb in Brüssel kaum zu vermitteln sei. Der Grund: Die ehemalige Ministerin stand 2017 im Fokus der rumänischen Antikorruptionsbehörde DNA.

Albrecht Meier

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