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Die Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter, zählen zu den vier Anwärtern auf den Posten als Spitzenkandidat für die Bundestagswahl 2017.
© dpa

Vor der Bundestagswahl: Vierkampf bei den Grünen

Der Öko-Partei steht ein heißer Herbst bevor: Vier Kandidaten kämpfen um eine Nominierung als Spitzenkandidat für die anstehende Bundestagswahl.

Die Grünen eröffnen an diesem Wochenende offiziell das Rennen um die Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl. In den nächsten Monaten sollen die rund 60 000 Mitglieder in einer Urwahl entscheiden, welches Duo die Partei 2017 in die Wahl führen wird. Bisher haben vier prominente Grüne ihre Kandidatur erklärt: Parteichef Cem Özdemir, die beiden Vorsitzenden der Bundestagsfraktion, Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter, sowie Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck. Ein erstes Schaulaufen findet an diesem Samstag auf einem kleinen Parteitag in Berlin statt.

Die grünen Regularien sehen vor, dass ein Platz im Spitzenteam für eine Frau vorgesehen ist. Wer bei den Männern das Rennen macht, gilt als offen. Auch erfahrene Parteistrategen trauen sich keine Prognose zu, seit die Basis bei der letzten Spitzenkandidaten-Urwahl für eine Überraschung sorgte: Auf dem Frauenplatz setzte sich damals mit deutlichem Vorsprung Göring-Eckardt gegen ihre Konkurrentinnen durch. Weder die langjährige Parteichefin Claudia Roth noch die damalige Fraktionsvorsitzende Renate Künast hatten eine Chance.

Die Bewerbungsfrist für die Urwahl endet am 17. Oktober, Überraschungskandidaturen sind also noch möglich. Das Verfahren läuft bis Mitte Januar 2017, dann wird ausgezählt, wer sich durchgesetzt hat. In den nächsten Monaten haben die Kandidaten die Gelegenheit, auf Regionalkonferenzen bei der Grünen-Basis um Stimmen zu werben.

Cem Özdemir.
Cem Özdemir.
© imago/IPON

Der Seriöse

Cem Özdemir präsentiert sich als seriöser Staatsmann. Mal nimmt er Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für ihre Flüchtlingspolitik in Schutz, mal fordert er SPD und Union auf, anständige Umgangsformen in der Politik zu pflegen. Der 50-Jährige, der seit 2008 Parteivorsitzender der Grünen ist, gehört zum Realoflügel. Mit seinen Positionen provoziert er gelegentlich auch die eigene Parteifreunde.

Als einer von wenigen Grünen- Abgeordneten unterstützte er im Bundestag Waffenlieferungen an IS-Gegner im Nordirak. Man könne die Terrormiliz nicht „mit der Yogamatte unterm Arm“ besiegen, argumentierte Özdemir. In den letzten Monaten rückte der Parteichef das Thema Integration stärker in den Mittelpunkt. Dabei fordert Özdemir, der sich selbst als „kulturellen Muslim“ bezeichnet, auch eine kritische Auseinandersetzung mit der Rolle des Islam.

Für Özdemir spricht, dass er momentan neben Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann der bekannteste Grünen-Politiker ist. Zuletzt war er Dauergast in den Talkshows, wenn es um die Türkei ging. Auch mit seinem Einsatz für eine Armenien-Resolution des Bundestags verschaffte er sich Anerkennung. Und die persönliche Geschichte, die er als Kind türkischer Gastarbeiter erzählen kann, passt in die Zeit: In seinem Bewerbungsvideo berichtet Özdemir davon, wie es war, sich als eines von zwei Ausländerkindern in seiner Schulklasse im schwäbischen Bad Urach durchbeißen zu müssen.

Özdemir gilt als Anhänger von Schwarz-Grün, schon als junger Abgeordneter nahm er in den 90er Jahren in Bonn an der Pizza-Connection teil – einer Runde von Grünen- und CDU-Politikern, die das Verhältnis beider Parteien zueinander entkrampfen wollten.

Anton Hofreiter.
Anton Hofreiter.
© imago

Der Öko

Der Bayer Anton Hofreiter ist der einzige Kandidat vom linken Parteiflügel. Inhaltlich setzt der promovierte Biologe auf die Öko-Karte. Seine Themen sind der Klimaschutz, die Agrarwende und der Protest gegen die Freihandelsabkommen Ceta und TTIP. Das könnte auch Hofreiters Chance sein: Nach dem verpatzten Steuerwahlkampf bei der letzten Bundestagswahl würden viele Parteimitglieder die Ökofrage gerne wieder stärker in den Mittelpunkt rücken.

Der 46-Jährige kann außerdem damit werben, dass er der einzige Kandidat des linken Flügels ist. Als solcher tritt er auch für die Wiedereinführung der Vermögensteuer ein. Sollten die beiden Realos Özdemir und Habeck sich in der Urwahl gegenseitig Stimmen wegnehmen, könnte Hofreiter profitieren. Dagegen spricht allerdings, dass die Grünen-Basis nicht so auf den Flügelproporz achtet, wie es bei den grünen Funktionären üblich ist.

Auch als linker Flügelmann betont Hofreiter, dass die Grünen 2017 mitregieren wollten. Vor seiner Zeit als Fraktionschef ging er regelmäßig zu „R2G“-Treffen, bei denen Sozialdemokraten, Linke und Grüne nach Gemeinsamkeiten suchten. Doch das heißt nicht, dass er sich vor der Bundestagswahl auf eine Koalition festlegen will – auch wenn sein Vorgänger Jürgen Trittin eine Präferenz für ein Linksbündnis einfordert. Es gebe sowohl mit Teilen der CDU als auch mit Teilen der Linkspartei Übereinstimmungen, argumentiert Hofreiter. Und umgekehrt sei die CSU in der Flüchtlingspolitik ein ebenso schwieriger Partner wie Teile der Linken in der Europapolitik. Die Grünen müsste daher auf ihre Eigenständigkeit setzen, mahnt Hofreiter.

Robert Habeck.
Robert Habeck.
© imago/IPON

Der Rebell

Der Dritte in der Männerriege ist Robert Habeck. Er selbst sieht sich als „Underdog“, der zumindest eine Außenseiterchance hat. In Schleswig-Holstein hat der charismatische Grünen-Politiker gezeigt, dass er Wahlkampf kann. Mit seiner Bereitschaft, auch mal abseits des grünen Mainstreams zu denken, könnte es ihm gelingen, Wähler über die Kernklientel hinaus anzusprechen. Als Umweltminister steht er ebenfalls für das grüne Kernthema: die Entkopplung des Wohlstands vom Ressourcenverbrauch.

Habeck ist der einzige unter den männlichen Bewerbern, der Regierungserfahrung vorweisen kann. Als Minister in Schleswig-Holstein hat er in den letzten Jahren gelernt, was es bedeutet, wenn man ein Projekt wie die Energiewende vor Ort umsetzt. Bei allem Pragmatismus hat der Philosoph und Schriftsteller sich einen „Schuss Rebellentum“ bewahrt und die Fähigkeit, Visionen über den Tag hinaus zu entwerfen.

Der 47-Jährige präsentiert sich als unabhängiger Kandidat der Mitte, der mit den Eifersüchteleien in der Partei und den Streitigkeiten zwischen den Flügeln nichts anfangen kann. Bei der Urwahl setzt er auf die Stimmen derjenigen, die mit den Berliner Doppelspitzen in der Partei (Simone Peter/Cem Özdemir) und im Bundestag (Katrin Göring-Eckardt/Anton Hofreiter) nicht wirklich glücklich sind. Um seiner Kandidatur den nötigen Nachdruck zu verleihen, verzichtete Habeck auf einen Rückfahrtschein: Auch wenn er bei der Urwahl unterliegen sollte, will er nicht erneut in den Landtag in Schleswig-Holstein einziehen, der 2017 gewählt wird.

Katrin Göring-Eckhardt
Katrin Göring-Eckhardt
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Die Gesetzte

Katrin Göring-Eckardt war auch bei der Bundestagswahl 2013 Spitzenkandidatin der Grünen. Damals musste sie sich in der Urwahl gegen zwei starke Konkurrentinnen durchsetzen. Dieses Mal ist keine aussichtsreiche Gegenkandidatin in Sicht. Da ein Platz im Spitzenteam für eine Frau reserviert ist, gilt sie als gesetzt. Die 50-Jährige, die schon zu rot- grünen Regierungszeiten Fraktionsvorsitzende war, hat sich in den letzten Jahren als Sozialpolitikerin profiliert, die sich für die Schwachen in der Gesellschaft einsetzt.

Gerechtigkeit wird auch im kommenden Wahlkampf eines ihrer Anliegen sein, sei es bei der Bildung oder der Frage nach bezahlbaren Wohnungen. Die Protestantin steht für den wertkonservativen Teil ihrer Partei. In der Sozialpolitik gibt es aber auch Anknüpfungspunkte zum linken Flügel, mit dessen Hilfe sie 2013 zur Fraktionschefin gewählt wurde.

Die Zögerliche

Lange hat Grünen-Chefin Simone Peter offengehalten, ob sie sich als Spitzenkandidatin bewerben wolle. Einen Tag vor dem Länderrat sagte sie nun dem „Spiegel“, dass sie nicht antreten wird. Der Saarländerin waren gegen Göring-Eckardt ohnehin keine Chancen eingeräumt worden, auch weil ihr der Rückhalt in Teilen des linken Flügels fehlt. Einige hätten sich dennoch gewünscht, dass Peter antritt: damit es mehr Konkurrenz um den Frauenplatz gibt, aber auch, damit der linke Flügel stärker vertreten ist.

Nach Peters Absage ist fraglich, ob Göring-Eckardt in den kommenden Wochen noch eine Herausforderin bekommen wird. Auch deshalb, weil die Hürden für eine Kandidatur bei dieser Urwahl höher liegen als beim letzten Mal. Wer antreten will, muss als Direktkandidat oder Listenkandidat für die Bundestagswahl aufgestellt worden sein – oder sich ein Votum von einem Kreisverband oder einem Landesverband holen.

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