Bundestag für Armenier-Resolution: Cem Özdemir: Heute nicht zu Komplizen der Leugner werden
Der Bundestag hat die Resolution zum Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich angenommen. Zuvor gab es eine Debatte im Parlament.
Mit einer großen Mehrheit ist die Resolution zum Völkermord an den Armeniern im Bundestag verabschiedet worden. Lesen Sie hier Auszüge aus der vorausgegangenen Debatte im Bundestag:
+++ Bundestag nimmt Armenien Resolution an: Ungeachtet der deutlichen Kritik der türkischen Regierung hat der Bundestag fast einstimmig die Resolution zur Einstufung der historischen Massaker an den Armeniern als Völkermord beschlossen. Ein gemeinsam von Union, SPD und Grünen eingebrachter Antrag wurde mit einer Gegenstimme und einer Enthaltung angenommen, wie Bundestagspräsident Norbert Lammert nach einer rund einstündigen Debatte am Donnerstag feststellte. Die Türkei lehnt eine Bezeichnung der Massentötung und Deportationen von Armeniern im Osmanischen Reich 1915 als Völkermord strikt ab. Die Regierung in Ankara hatte für den Fall einer Verabschiedung der Resolution bereits mit einer Beeinträchtigung der Beziehungen zu Deutschland gedroht. Zuvor gab es eine Debatte. Hier eine Auswahl der Beiträge:
+++ Martin Pätzold für die CDU: In Zeiten, in denen in Europa Mauern wieder hochgezogen werden, wäre es ein starkes Zeichen, wenn nach dieser Debatte die Grenzen zwischen Armeniern und Türken geöffnet würden.
+++ Albert Weiler für die CDU: An der historischen Tatsache gibt es für uns keinen Zweifel. (...) Es fehlt bis heute ein eindeutiges Bekenntnis der Türkei für das Unrecht, dass den Armeniern widererfahren ist. (...) Das Leid kennt keine Zeitgrenzen.
+++ Hans-Peter Uhl für die CSU: Wir sind zuversichtlich, dass auch die türkische Regierung zunehmend verstehen wird, (...) dass man Opfern gedenkt, ohne andere in eine Schuldrolle drängen zu wollen.
+++ Dietmar Nietan für die SPD: Wir sitzen hier nicht zu Gericht. Niemand sitzt auf der Anklagebank. (...) Schon gar nicht das türkische Volk. Es wird auch keinen donnernden Urteilsspruch geben. Aber warum das ganze? Heuten wollen wir als Parlement (...) vor den Opfern verneigen. In aller Demut und ohne Selbstgerechtigkeit. (...) Ein Völkermord bleibt ein Völkermord bleibt ein Völkermord. (...) Wir sollten unseren Beschluss nicht überhöhen. Aussöhnung kann man nicht beschließen.
++ Christoph Bergner für die CDU/CSU-Fraktion: Auch um unsere deutsche Mitverantwortung nicht zu bagatellisieren, ist es wichtig, den Begriff Völkermord zu verwenden.
+++ Grünen-Parteichef Cem Özdemir: Der Zeitpunkt über etwas so grausames wie einen Völkermord zu sprechen, ist nie günstig. (...) Unseren türkischen Freunden möchte ich sagen: Es geht nicht um Finger zeigen. Wir beanspruchen keine moralische Hoheit. Wir stehen zu unseren deutschen Mitverantwortlichkeit. (...) Wir haben eine historische Verpflichtung, Armenier und Türken zur Aussöhnung aus Freundschaft zu ermutigen. (...) Dass wir in der Vergangenheit Komplizen dieses furchtbaren Verbrechens geworden sind, darf nicht heißen, dass wir heute zu Komplizen der Leugner werden. Wenn man heute in die Region blickt, sieht man, dass Christen wieder verfolgt werden - im Irak, in Syrien, auch in der Türkei. Christliche Gemeinschaften sind ausgerechnet an der Geburtsstätte des Christentums von der Ausrottung bedroht. (...) Wir wollen niemanden stigmatisieren. Wir wollen die ermutigen, die Fragen stellen.
+++ Stellvertretender CDU-Vorsitzender Franz Josef Jung: Wir Deutsche wissen sehr genau, wie schwierig die Aussöhnung mit den Nachbarn oder Völkern ist, denen man unfassbares Leid zugetan hat. (...) Zur Aussöhnung ist die Aufarbeitung der gemeinsamen Vergangenheit unabdingbar (....) Uns verbindet mit der heutigen Türkei sehr viel. (...) Nur wer sich zur Vergangenheit bekenne, kann Zukunft gestalten. Gerade angesichts der vielen Türken in Deutschland ist es besonders wichtig, Aussöhnung zu erreichen (...) Der Versöhnungsprozess ist gestoppt werden. Wir wollen einen neuen Impuls für Versöhnung setzen. (...) Ich bitte Sie, unseren Antrag zu unterstützen.
+++ Ex-Fraktionschef der Linkspartei Gregor Gysi: Endlich benennen auch wir es als das, was es war: ein Völkermord an bis zu 1,5 Millionen Armeniern sowie Aramäern und Angehörigen weiterer christlicher Minderheiten. Es gibt eine deutsche Mitschuld. Deshalb müssen wir an der Aufarbeitung intensiv mitarbeiten. (....)
+++ Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich: Der Bundestag stellt sich auch der Verantwortung, die deutsche Mitschuld zu betonen. Krieg relativiert nichts. Das hat auch einen aktuellen Bezug zu Syrien. (..) Gegenstand der Debatte ist der Völkermord an den Armeniern, nicht die Beurteilung des Präsidenten Erdogan. (...) Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass er die Mehrheit der Wählerstimmen erreicht hat. Erdogan und seine AKP repräsentieren den politischen Islam. (...) Die Türkei hat Juden vor dem von Deutschland entfachten Holocaust gerettet (...) Heute wünschen wir uns eine Türkei, die in vergleichbarer Offenheit und Größe einem dunklen Kapitel ihrer Geschichte gerecht wird.
+++ Bundestagspräsident Nobert Lammert (CDU) führt in die Debatte ein: Ein Parlament ist keine Historikerkommission und ganz gewiss kein Gericht. Inakzeptabel sind Drohungen mit dem Ziel, die freie Meinungsbildung des Bundestages zu verhindern. Wir werden sie nicht hinnehmen und uns ganz gewiss von ihnen nicht einschüchtern lassen. Wir nehmen unsere Verantwortung wahr. (...) Wir würdigen ausdrücklich die türkische Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen. Die heutige türkische Regierung ist nicht verantwortlich für das, was vor 100 Jahren geschah. Aber sie ist verantwortlich für das, was daraus wird.
+++ Um dieses Dokument geht es: "Der Bundestag verneigt sich vor den Opfern der Massaker" steht in dem gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, SPD und Grünen. Zweimal ist darin von "Völkermord" die Rede. Lesen Sie hier die Resolution im Wortlaut.
+++ Türkische Gemeinde nennt Resolution "Politshow": Die Türkische Gemeinde in Deutschland sieht die für heute geplante Armenien-Resolution des Bundestages als "Politshow" mit negativen Folgen für das ohnehin schwierige deutsch-türkische Verhältnis. "Durch die Resolution wird eine historische Frage mit der Tagespolitik vermischt, die zunächst wissenschaftlich aufgearbeitet werden müsste", sagte der Bundesvorsitzende des Verbandes, Gökay Sofuoglu, der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. Juristisch und historisch sei das Thema zu wenig beleuchtet. Die Spezialisten armenischer und türkischer Herkunft versuchten jeweils der anderen Seite nachzuweisen, dass sie im Unrecht sei. Überdies sei die Erklärung für Türken wie Armenier unverbindlich und nutzlos.
Sie werde auch die Beziehungen zwischen Deutschen und Deutsch-Türken negativ beeinflussen. Außerdem werde die Resolution die Verhandlungen über einen EU-Beitritt der Türkei und die Flüchtlingspolitik nicht gerade erleichtern. Eine Antwort auf die Frage, ob die Massaker an den christlichen Armeniern vor 100 Jahren einem Völkermord gleichkommen, maße er sich nicht an, sagte Sofuoglu, der auch die Türkische Gemeinde in Baden-Württemberg leitet.
Bei den Massakern an den Armeniern 1915 kamen Schätzungen zufolge zwischen 800.000 und 1,5 Millionen Angehörige der christlichen Minderheit im Osmanischen Reich ums Leben. Die Türkei als Rechtsnachfolger des Osmanischen Reichs hat das bedauert, bestreitet aber, dass es sich um Völkermord gehandelt habe. Die türkische Regierung hat den Bundestag mehrfach vor der Resolution gewarnt. (mit dpa/AFP)