Grünen-Politiker Robert Habeck: "Wir dürfen uns der Union nicht unterwerfen"
Robert Habeck will Spitzenkandidat der Grünen werden. Er spricht über Koalitionen, Heimweh - und die eigentlichen Aufgaben dieser Zeit.
Herr Habeck, was macht mehr Spaß: ein Buch zu schreiben oder einen Parteitagsantrag?
Mehr Spaß macht es, ein Buch zu schreiben. Mehr Wirklichkeit verändert man durch Parteitagsanträge – und noch mehr durchs Regieren.
Sie waren Schriftsteller, bevor Sie Umweltminister und Vize-Ministerpräsident in Schleswig-Holstein wurden. Was bringen Sie aus dieser Zeit für die Politik mit?
Den Blick auf das Ganze zu wahren und vom Horizont die einzelnen Schritte abzuleiten: Das ist meine Aufgabe als Politiker – und das habe ich auch als Autor gelernt. In einem Roman will ein Held von A nach B, es gibt Umwege und Herausforderer. Aber eine Geschichte braucht ein Ziel. Und ein Schriftsteller braucht einen Plan, den er für 500 Seiten und zwei Jahre durchhält. Das lässt sich auf die Politik übertragen. Die Energiewende zum Beispiel verhakt sich in lauter kleinen Fisseleien. Dabei braucht sie die politische Erzählung, die Skizze, was wir schon erreicht haben, wo wir jetzt stehen und wo wir in 30 Jahren hinwollen. Das leistet im Moment keiner.
Jetzt wollen auch Sie von A nach B. Sie wollen Spitzenkandidat der Grünen bei der Bundestagswahl 2017 werden. Warum?
Die Gegenwart fordert doch jeden Politiker heraus. Sie lässt kein Zaudern zu. In den letzten Jahren hieß es immer, die Politik der Kanzlerin sei alternativlos. Viele schienen froh, keine politischen Debatten führen zu müssen. Der Aufreger bei der letzten Bundestagswahl war der Veggie Day. Dabei war schon alles am Gären: die Flüchtlingskrise, der Verdruss über Europa, erstarkender Rechtspopulismus. Aber erst jetzt, wo es droht zu eskalieren, wachen wir auf. Unsere Gesellschaft steht vor der Frage: Gehen wir zurück zum Nationalstaat, zu kleinem Denken und einer Angstpolitik – oder stellen wir uns den Problemen, wissend, dass es schwierig wird? Wenn man als Politiker jetzt sagt, das interessiert mich nicht, verfehlt man die eigentliche Aufgabe der Zeit. Darum.
Und wofür stehen Sie inhaltlich?
Ich bin Grüner. Mein zentrales Thema wird immer sein, dass wir unseren Wohlstand vom Ressourcen-Verbrauch trennen. Und das ist eine fortschrittsfreundliche Position. Wenn wir davon ausgehen, dass wir in 15 Jahren nicht mehr dieselben Autos wie heute fahren – ja verdammte Hacke – warum ändern wir es denn nicht? Das zweite große Thema ist, wie man den Zusammenhalt der Gesellschaft organisiert, wie Menschen sich einbringen und mitentscheiden können. Wenn wir den Leuten wieder einen Grund geben wollen, in staatliche Institutionen zu vertrauen, müssen wir Politik anders erklären. Das ist eine staatstragende Position – im besten Sinne des Wortes: Es geht darum, diesen Staat zu tragen. Ich will, dass die Grünen den Menschen Mut machen. Die AfD braucht die Angst. Wir müssen das Gegengewicht dazu sein.
Wenn Robert Habeck eine Romanfigur wäre, wie würden Sie ihn beschreiben?
Als jemand, der lieber einen Fehler bereut, den er gemacht hat, als zu bereuen, dass er etwas nicht gemacht hat.
Ihre Konkurrenten bei der Urwahl sind Parteichef Cem Özdemir und Fraktionschef Anton Hofreiter. Sie haben dieses Aufeinandertreffen mal mit Wolfsburg gegen Real Madrid verglichen. Ist das für Sie wirklich ein David-gegen-Goliath-Gefühl?
Cem ist seit vielen Jahren in der ersten Reihe der Politik und einer der bekanntesten Grünen-Politiker. Toni ist Fraktionschef im Bundestag, hat das deutsche Parlament als Bühne. Ich komme aus der Provinz.
Sie sind immerhin der Einzige, der Regierungserfahrung hat ...
Die hat mich und mein Politikverständnis auch geprägt und verändert. Genau wie die Partei, denke ich. Ich weiß, wie sich Entscheidungen der Bundespolitik auswirken. Nehmen Sie die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Bei den Verhandlungen in Berlin rede ich über Paragrafen und Zahlen. Und zu Hause treffe ich lauter Leute, die dadurch einen Strommast oder eine Windkraftanlage bekommen – oder nicht, und das ist eben nicht egal. Regierungsverantwortung erdet Politik.
Können Sie verstehen, dass manche Grüne im Bund sich provoziert fühlen von Ihrer Kandidatur? Nach dem Motto: Da kommt jetzt einer, der weiß, wie es besser geht …
Dass meine Kandidatur Lebensplanungen herausfordert, ist mir klar. Und es tut mir persönlich leid. Aber was wären wir für eine Partei, wenn wir uns nicht mehr trauen, uns um ein Amt zu bewerben?
Derzeit, so hört man, tingeln Sie durch die Kreisverbände. Erzählen Sie uns doch mal ein bisschen vom Wahlkampf an der Basis.
Die Stunden in den Landes- oder Kreisverbänden waren oft sehr besonders: Ich erlebe die Grünen wie eine Glut. Manchmal ist da etwas Staub drauf. Aber wenn diese Glut Luft bekommt, dann fliegt die Asche weg und – boom – die Flamme leuchtet lichterloh.
Und wenn es mit der Kandidatur nicht klappt, ist Ihre politische Karriere vorbei?
Ich habe eine Außenseiterchance. Die kann ich nur nutzen, wenn ich nicht laviere. Und ich will auch niemanden bitten, mir einen warmen Platz am Ofen vorzuhalten, das wäre unfair gegenüber meiner Partei. Ich will keinen Plan B. Das finde ich aber nicht schlimm: Ich habe so eine innere Freiheit wiedergefunden.
Wenn Sie scheitern, hätten Sie wieder mehr Zeit für die Familie. Sie haben in einem Interview mal gesagt, dass Sie sich als Rabenvater fühlen, wenn Sie weg sind. Würde die Pendelei nach Berlin dieses Gefühl nicht noch verschärfen?
Natürlich würde mich das belasten. Aber meine vier Söhne sind jetzt junge Erwachsene, die muss ich weder wickeln noch ins Bett bringen. Die machen ihr Ding. Das Heimweh ist mein Robert-Problem. Immer in Landesvertretungszimmern oder Hotelbetten zu schlafen, ist eben nicht zu Hause.
Sie sagen, Sie wollen die Grünen wieder zu einer coolen Partei machen. Was halten Ihre Söhne denn von den Grünen?
Meine Söhne interessierten sich eher für Basketball als für Politik. Aber wir wohnen in Flensburg und Dänemark ist nah. Da wurde jetzt eine neue grüne Partei gegründet, klein, mit viel Enthusiasmus. Meine Söhne sind dadurch politisiert worden. Ich fände es super, wenn es uns gelingt, die Jugend für Politik zu interessieren. Dafür müssen wir ausstrahlen, dass bei uns Begeisterung, Ernsthaftigkeit, der Wille anzupacken und ein Schuss Rebellentum zu Hause sind. Wenn junge Leute uns wählen, ist das das größte Kompliment.
Die Grünen wollen Gerechtigkeit zum Wahlkampfthema machen. Ist das Feld nicht durch SPD und Linke besetzt?
Wir dürfen nicht den Fehler aus dem Wahlkampf 2013 wiederholen und die ökologische Frage vernachlässigen. Das ist unser Alleinstellungsmerkmal. Aber die ökologische Frage ist nicht ohne die soziale Frage aufzuwerfen. Unsere Gesellschaft hält es nicht auf Dauer aus, wenn es eine Parallelgesellschaft gibt, die sich nicht wirklich am Gemeinwesen beteiligt. Die Superreichen müssen einen Mindestbeitrag leisten.
Über eine Vermögensteuer?
Ich hab nichts gegen eine Vermögensteuer, im Gegenteil. Ich sehe aber, dass es dafür kaum Alliierte gibt. Die haben wir bei der Erbschaftsteuer, nämlich die Verfassungsrichter, die die geltenden Regelungen gekippt haben, weil Firmenerben sich nicht fair am Gemeinwohl beteiligen. Deshalb spricht strategisch viel dafür, da anzusetzen. Entscheidend ist aber das Ziel, nicht der Weg. Der Vorstandschef sollte keinen geringeren Steuerbeitrag zahlen als sein Chauffeur.
Die Grünen wollen sich im Wahlkampf alle Koalitionsoptionen offenhalten. Aber lässt es sich wirklich durchhalten, keine Präferenz zu äußern?
Ich bin stellvertretender Ministerpräsident einer rot-grünen Regierung. Ich habe keine anderen Wünsche. Aber rechnen kann ich noch und weiß, dass es im Moment nicht dafür reichen würde. Was folgt daraus? Dass die Grünen sich selbst definieren müssen und nicht durch unsichere Bündnisse definiert werden. Sonst können wir einpacken.
Können Sie sich vorstellen, mit Angela Merkel zu regieren?
Die CDU hat sich den Grünen stark angenähert. Bei der CSU ist das anders: Die Partei lässt sich kaum irgendwo in die staatsbürgerliche Verantwortung nehmen, ob es die Endlager-Suche ist, die Energiewende oder die Erbschaftsteuer. Wenn die CSU sich in einer Regierung mit den Grünen so benommen hätte, wie sie es jetzt in der großen Koalition tat, gäbe es diese Regierung längst nicht mehr.
Sie raten Ihrer Partei von Schwarz-Grün im Bund ab?
Ich rate meiner Partei ab, sich auf ein solches Bündnis einzuschwören. Wir sollten nicht mit der Schere im Kopf Politik machen. Kann sein, dass wir mit der Union verhandeln müssen. Dann aber nicht im Gestus der Unterwerfung.
Und zu Rot-Rot-Grün: Wäre Sahra Wagenknecht eine gute Ministerin?
Sahra Wagenknecht ist in der Flüchtlingspolitik weiter von den Grünen entfernt als Angela Merkel. Sie beweist nahezu täglich, dass die Linke nicht regieren will. Wenn eine Partei nicht bereit ist, Kompromisse zu schließen, ist sie nicht regierungsfähig.
Unabhängig davon mit wem Sie regieren: Was wird aus Ihrer Romanfigur Robert am Ende des Buches?
Wissen Sie, hier endet die Parallelität: Mein politisches Leben – das Ministeramt, die Urwahl – sind ja keine Fiktion, sondern es geht um die Wirklichkeit.