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Anton Hofreiter will bei der Bundestagswahl 2017 Spitzenkandidat der Grünen werden.
© Thilo Rückeis

Grünen-Fraktionschef Hofreiter im Interview: "Ich kann nicht immer ethisch 100 Prozent korrekt handeln"

Der Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter spricht im Interview über Machtoptionen, rote Linien, Neurosen, Querulanten - und die Frage, ob er Sigmar Gabriel eigentlich noch versteht.

Herr Hofreiter, sind die Grünen machtversessen?

Wir sind verbesserungsversessen. Wir wollen Veränderung durchsetzen. Das ist das Entscheidende. Denken Sie nur an die Energiewende, die Agrarpolitik oder die Frage der Gerechtigkeit in unserem Land – da bin ich der Meinung: Ja, es braucht die Grünen an der Macht, um die Dinge zum Besseren zu verändern. Die große Koalition muss weg, weil sie bei den großen Herausforderungen schlicht versagt.

Ist es nicht von Vorteil, dass Deutschland in so turbulenten Zeiten, in denen der Brexit die Europäische Union erschüttert, eine stabile Regierung hat?
Wenn sie es denn wäre … Deutschland und die EU wären besser dran mit einer Regierung, die weiß, was sie will. Nach dem Brexit haben wir doch völlig widersprüchliche Signale. SPD-Chef Gabriel legt fünf Minuten nach dem Ergebnis einen Aktionsplan vor und gibt den harten Hund, die Bundeskanzlerin wartet ab wie immer, CSU-Chef Seehofer möchte auch in Deutschland Referenden. Wo ist da die Linie? Ich wünsche, dass eine Bundesregierung in der Situation gemeinsam entschlossen sagt: Wir verteidigen Europa gegen die Rückkehr des Nationalismus, nicht mit einem blinden Weiter so, sondern mit besserer europäischer Politik. Mit einem Investitionspakt gegen Jugendarbeitslosigkeit, mit einer sozialen Abfederung der Globalisierung, statt mit TTIP die Probleme weiter zu verschärfen, mit einer humanen Flüchtlingspolitik.

Zurück zu den grünen Machtoptionen: Ist Ihnen egal, mit wem Sie regieren?
Natürlich nicht. Wir wollen unsere grünen Inhalte durchsetzen. Für Veränderung braucht man Mehrheiten. Um die kämpfen wir, und zwar um der Sache willen. Und natürlich müssen wir uns darauf einstellen, dass das Parteiensystem in Deutschland gewaltig in Bewegung geraten ist. Da muss man bereit sein …

… mal mit der CDU, mal mit der SPD, mal mit den Linken zu regieren?
… auszuloten, ob man auch in unbequemen Konstellationen etwas bewegen kann. Das ist schlicht notwendig, damit das Land vorankommt. Wir ducken uns nicht weg wie die FDP in Baden-Württemberg, die sich nur aus parteitaktischen Gründen Gesprächen verweigert hatte.

Im Bund wollen Sie auch regieren, sagen aber nicht mit wem. Haben die Wähler kein Anrecht auf eine klare Ansage?
Die Ansage ist klar genug: Grüne so stark wie irgend möglich. Dann: Am liebsten mit der SPD. Wenn das nicht reicht, reden wir mit den anderen. Ich will unsere Forderungen voranbringen: die Energiewende wieder flott machen, keine unfairen Handelsabkommen wie TTIP oder Ceta, in die Agrarwende einsteigen, eine liberale und tolerante Gesellschaft erhalten, endlich genug Geld für Kommunen und Investitionen.

Wo ziehen Sie die Grenze zum Opportunismus?
Wir regieren nicht um jeden Preis. Ausstieg aus der Massentierhaltung, Klimaschutz, menschenrechtliche Flüchtlingspolitik, mehr sozialer Zusammenhalt – mit Grün an der Regierung muss sich bei diesen Themen richtig was bewegen. Das ist wichtiger als Posten. Wir dürfen die eigenen Inhalte nicht abschleifen, um zu irgendeiner Koalition zu kommen. Dafür stehe ich. Kein vorauseilender Gehorsam an Schwarz oder Rot! Beliebigkeit wäre brandgefährlich für uns Grüne. Davor kann ich nur warnen.

Womöglich können die Grünen nach der Bundestagswahl 2017 zwischen einer schwarz-grünen und einer rot-rot-grünen Koalition entscheiden. Fühlen Sie sich wohl in der Rolle des Kanzlermachers?
Ich fände es gut, wenn beide Alternativen möglich wären. Dazu müssen SPD und Linkspartei ihre Neurosen überwinden und miteinander ins Gespräch kommen.

SPD-Chef Sigmar Gabriel hat gerade gefordert, die linken Parteien müssten miteinander regierungsfähig werden. Ein gutes Zeichen für Rot-Rot-Grün?
Ich habe mich darüber gefreut. Und bin gespannt, ob mehr daraus wird.

Allerdings hat Gabriel seinen Vorstoß auch schnell wieder eingesammelt. Verstehen Sie den SPD-Chef eigentlich noch?
Sigmar Gabriel ist berüchtigt dafür, dass er seine Meinung plötzlich ändert. Es wäre schön, wenn seine Worte einmal 48 Stunden Bestand haben würden. Ich hoffe, er bleibt bei seiner Ermutigung für Rot-Rot-Grün. Die SPD muss in der Lage sein, mit allen demokratischen Parteien zu regieren, wenn sie sich als selbstbewusste Volkspartei behaupten will.

Ist die Linkspartei regierungsfähig?
Vielleicht, sie ist aber nicht regierungswillig! Sie fürchtet sich davor, durch Kompromisse das eigene Profil zu verwässern. Beim Regieren treffen verschiedene Koalitionspartner aufeinander. Die Kraft zum Kompromiss müsste die Linkspartei aufbringen. Tut sie das nicht, verrät sie die Interessen ihrer Wähler zugunsten des Partei-Interesses. Denn dann erreicht sie weiter gar nichts für sozial Schwache, Rentnerinnen oder Arbeitnehmer.

Ist Rot-Rot-Grün denkbar, solange die Linke jeden Auslandseinsatz der Bundeswehr ablehnt?
Nein. Es gibt Krisen, die können nur durch einen Bundeswehreinsatz eingedämmt werden. Denken Sie etwa an Mali: Das Land drohte überrannt zu werden von kriminellen und terroristischen Milizen. Das hätte ganz Westafrika ins Chaos gestürzt. Da muss sich dann auch Deutschland militärisch an einem UN- Einsatz beteiligen.

Die Grünen haben nach ihrer Gründung 20 Jahre gebraucht, um humanitäre Einsätze zu befürworten. Wie soll die Linke das in den 15 Monaten bis zur Wahl schaffen?
In der Linken ist der Konflikt ja nicht ganz neu. Und auch bei den Grünen hat sich am Ende die Debatte in einem kurzen Zeitraum in den 90er Jahren geklärt.

Was sind denn die größten Hürden für Schwarz-Grün im Bund? Könnten Sie mit Horst Seehofer regieren?
Die CSU unter Seehofer ist gegenwärtig im Bund genauso wenig regierungswillig wie die Linkspartei. Sie benimmt sich, als sei sie in der Opposition, sitzt aber mit am Kabinettstisch. Dort ist aber kein Platz für Querulanten. Solange die CSU nicht lernt, Verantwortung fürs ganze Land zu übernehmen, ist sie kein berechenbarer Partner für die Grünen. Ganz abgesehen davon, dass Seehofer mit seiner maßlosen Kritik an der Öffnung der Grenzen für Flüchtlinge das Erstarken der AfD befördert hat.

Ihre Partei will die beiden Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl in einer Urwahl bestimmen. Sie treten gegen Parteichef Cem Özdemir und den Kieler Umweltminister Robert Habeck an. Als was werden Sie sich den grünen Mitgliedern anpreisen?
Ich bin der Öko, klar. Mich treiben aber auch die Fragen der Gerechtigkeit um, schauen Sie sich mal an, wie Reich und Arm in Deutschland mittlerweile auseinanderfallen, das ist ein Riesenthema! Und ja, für manche bin ich sicher ein unbequemer Typ. Hartnäckig, nicht angepasst. Jeder kann sich bei mir darauf verlassen, dass ich mich nicht mit dem Status quo abfinde, sondern auf Veränderungen dränge. Und das mit aller Kraft.

Sie wollen in den nächsten 20 Jahren aus der Massentierhaltung aussteigen. Machen die Verbraucher da mit?
Die Bereitschaft ist höher, als Sie glauben. Die Verbraucher sind gerne bereit, Dinge zum Besseren zu verändern. Zwischen 80 und 90 Prozent der Menschen wollen eine ökologischere und tiergerechtere Tierhaltung, wie Umfragen zeigen. Die Nachfrage nach Öko-Lebensmitteln zieht stark an. Und denken Sie an die klare Kennzeichnung der Eier, die unsere Ernährungsministerin Renate Künast durchgesetzt hat. Weil die Kennzeichnungspflicht eingeführt wurde und die Verbraucher bewusst wählen konnten, gibt es am Eierstand inzwischen keine Eier aus Käfighaltung mehr zu kaufen.

Wie wollen Sie den Ausstieg aus dieser Agrarpolitik hinbekommen?
Wir haben mehr als fünf Milliarden Euro, mit denen Landwirtschaft in Deutschland vom Steuerzahler subventioniert wird. Die können und müssen wir umlenken. 25 Prozent dieses Geldes landet heute bei den drei oder vier größten Betrieben. Das wollen wir ändern. Unsere Position heißt: Öffentliches Geld für öffentliche Güter, also für Tier-, Natur- und Landschaftsschutz. Zweitens müssen wir Gesetze ändern: Ich will die millionenfache Tötung von Eintagsküken verbieten. Und drittens braucht es eine glasklare Kennzeichnung, aus der die Herkunft und Art der Tierhaltung hervorgehen. Dann hat der Verbraucher die Wahl und die bäuerlichen Betriebe haben wieder zukunftsfähige Perspektiven.

Essen Sie selbst noch Fleisch und Wurst?
Ich esse gern ab und zu Fleisch und Wurst und gern auch vegetarisch. Die Vielfalt macht’s. Wenn ich selber einkaufe, kaufe ich es im Biomarkt.

Fragen Sie nach der Herkunft des Fleisches, wenn man Sie zum Abendessen einlädt?
Man muss auch mal Mensch sein, ich kann nicht immer ethisch 100 Prozent korrekt handeln. Viele meiner Bekannten und Freunde ernähren sich wie ich bewusst und erzählen mir von selbst, wo ihr Fleisch herkommt. Und oft sagen sie auch: Toni, wir haben gemerkt, das Bio-Fleisch schmeckt uns auch viel besser als das Pressschnitzel aus der Mega-Fleischfabrik.

Zur Person:

Im Herbst 2005 zog Anton Hofreiter erstmals für die Grünen in den Bundestag ein. Seit Oktober 2013 ist der 46-Jährige Fraktionsvorsitzender.

Vor seinem Wechsel in die Politik war Hofreiter in der Forschung tätig. In seiner Doktorarbeit beschäftigte der Biologe sich mit der Artenvielfalt in den südamerikanischen Anden.

Der gebürtige Münchner will bei der Bundestagswahl 2017 Spitzenkandidat der Grünen werden. In der Urwahl tritt der Parteilinke gegen den Grünen-Vorsitzenden Cem Özdemir und Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck an.

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