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Russische und belarussische Panzer während gemeinsamer militärischer Übungen am 2. Februar 2022
© dpa/AP/Russian Defense Ministry Press Service
Update

Ukraine-Invasion während Olympia?: USA sehen „sehr beunruhigende Anzeichen für russische Eskalation“

Nach Einschätzung der USA steht ein russischer Einmarsch in der Ukraine bevor. Die USA verlegen weitere Truppen nach Polen. Putin und Biden wollen telefonieren.

Angesichts der erhöhten Spannungen in der Ukraine-Krise will US-Außenminister Antony Blinken am Samstag mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow sprechen. „Wir sehen weiterhin sehr beunruhigende Anzeichen für eine russische Eskalation, einschließlich der Ankunft neuer Truppen an den Grenzen der Ukraine“, sagte Blinken auf einer Pressekonferenz auf den Fidschi-Inseln.

Auch US-Präsident Joe Biden und Russlands Staatschef Wladimir Putin wollen am Samstag miteinander telefonieren.

Die USA seien bereit, die Krise durch „durch Diplomatie und Dialog zu lösen, wenn Russland wirklich daran interessiert ist“, sagte Blinken. „Bisher haben wir von Moskau nur Eskalation erlebt.“

Der Außenminister bekräftigte, dass die USA und ihre Verbündeten im Falle einer Invasion Russlands in der Ukraine, rasch Sanktionen gegen Moskau verhängen würden. Die USA seien auf alles vorbereitet.

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Die USA rechnen mit einem kurz bevorstehenden Angriff Russlands auf die Ukraine. Es gebe Hinweise auf eine groß-angelegte Invasion, die noch vor dem Ende der Olympischen Winterspiele in Peking (20. Februar) beginnen könnte, berichtet die „New York Times“ unter Verweis auf Regierungskreise. Die USA halten für den Fall einen Luftschlag zu Beginn für wahrscheinlich, sagte der Sicherheitsberater von US-Präsident Biden, Jake Sullivan. Zu den möglichen Szenarien gehöre ein rascher Vorstoß des russischen Militärs gegen die ukrainische Hauptstadt Kiew.

Russland habe genug Streitkräfte mobilisiert, um einen größeren Militärschlag auszuführen. Nicht bekannt sei den USA, ob der russische Präsident Wladimir Putin bereits eine Entscheidung getroffen habe.

Um einen folgenschweren Krieg zwischen Russland und der Ukraine zu verhindern, wird zwischen den westlichen Staats- und Regierungschefs auch ein mögliches Aufnahmemoratorium der Nato diskutiert.

Wie der Tagesspiegel erfuhr, wird als Option geprüft, dass das Verteidigungsbündnis deutlich machen könnte, bis zur Einigung über eine neue Sicherheitsarchitektur in Europa keine weiteren Mitglieder aufzunehmen.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte in der Vergangenheit wiederholt an das Vorbild des mehrjährigen Prozesses der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) im Kalten Krieg erinnert.

„Vergessen wir nicht: 2025 jährt sich der Abschluss der Schlussakte von Helsinki zum 50. Mal. Wir sollten uns darauf besinnen und das vielleicht zum Ziel nehmen, eine umfassende Lösung für die Zukunft vorzubereiten“, hatte er zum Beispiel nach einem Treffen mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg gesagt.  

Kanzler Olaf Scholz zu Besuch bei US-Präsident Joe Biden.
Kanzler Olaf Scholz zu Besuch bei US-Präsident Joe Biden.
© imago images/UPI Photo

Russlands Präsident Putin hat als eine Bedingung für eine Deeskalation genannt, dass die Ukraine kein Nato-Mitglied werden darf. Er behauptet zum Beispiel, die Ukraine könne als Nato-Mitglied versuchen, sich die von Russland 2014 einverleibte Schwarzmeer-Halbinsel Krim mit Gewalt zurückzuholen. Zudem gibt es seit Jahren Streit um den Status der Ostukraine und die Umsetzung des Minsker Abkommens.

„Die Russen sitzen am längeren Hebel“

Eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine steht zwar ohnehin nicht zur Debatte, aber die russische Seite fordert eine verbindliche Zusage, dass es keine weitere Aufnahme osteuropäischer Länder gibt. Das Misstrauen ist groß, viele Gesprächskanäle funktionieren nicht mehr.

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Eine Option könne daher eine Zusage sein,  für mehrere Jahre am Status Quo festzuhalten – und parallel einen Dialogprozess über eine neue Sicherheitsarchitektur und Abrüstung zu starten. „Man wird Konzessionen an die Russen machen müssen. Die sitzen einfach am längeren Hebel“, sagt ein Russlandkenner.

Eine ungewöhnliche Schalte: „Sehr, sehr ernste Lage“

Allerdings wirken die Bemühungen wie ein Wettlauf gegen die Zeit. In US-Kreisen machen Spekulationen die Runde, dass sich Putin womöglich schon zur Invasion entschieden habe, nach den USA fordern immer mehr Länder ihre Bürger zum Verlassen der Ukraine auf. In deutschen Regierungskreisen sowie vonseiten der Nato-Partner wird die Situation an den Grenzen der Ukraine, „als sehr, sehr ernst“ eingeschätzt.

Auf Initiative von US-Präsident Biden kam es am Freitag zu einer Schalte, an der auch Scholz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Großbritanniens Premier Boris Johnson, Polens Präsident Andrzej Duda, Italiens Ministerpräsident Mario Draghi, Kanadas Premier Justin Trudeau und der rumänische Präsident Klaus Johannis - sowie Nato-Chef Stoltenberg, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel teilnahmen.

Es hieß, dass es um die Entschlossenheit gegangen sei, gemeinsame schnelle und tiefgreifende Sanktionen zu ergreifen gegen Russland, sollte es zu weiteren Verletzungen der Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine kommen.

EU-Kommissionschefin von der Leyen betonte nach der Schalte: Im Fall eines russischen Angriffs auf die Ukraine würde die EU Sanktionen gegen Russlands Finanz- und Energiesektor verhängen. Betroffen wäre außerdem „die Ausfuhr von High-Tech-Produkten“. Die Strafmaßnahmen würden „massiv“ ausfallen. Doch beeindruckt das Putin?

Putin wird mit Biden und Macron telefonieren

Zumindest will der russische Staatschef nach Kremlangaben noch an diesem Samstag mit Biden telefonieren. „Tatsächlich hat die amerikanische Seite um ein Gespräch mit Präsident Putin gebeten und morgen Abend Moskauer Zeit ist ein Gespräch der beiden Präsidenten geplant“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Freitagabend laut der Agentur Interfax. Moskau bestätigte zudem ein für Samstag geplantes Telefonat des Kremlchefs mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron.

Getrennt durch einen sehr langen Tisch: Wladimir Putin und Emmanuel Macron.
Getrennt durch einen sehr langen Tisch: Wladimir Putin und Emmanuel Macron.
© via REUTERS

Derweil verurteilte die russische Seite die Berichte über vermeintliche Invasionspläne. „Die Hysterie des Weißen Hauses ist aufschlussreicher denn je“, schrieb die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, auf Telegram. „Die Angelsachsen brauchen einen Krieg. Um jeden Preis.“

USA verlegen Kampfjets und 3000 Soldaten nach Polen

Angesichts der Zuspitzung verlegen die US-Streitkräfte Kampfjets vom Typ F-16 von Deutschland nach Rumänien. Die Kampfjets würden die „kollektive Verteidigungsstellung der Nato“ stärken und sich gemeinsam mit bereits in Rumänien eingesetzten italienischen Flugzeugen an der Nato-Luftraumüberwachung beteiligen, hieß es von US-Seite.

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Die USA verlegen zudem 3000 weitere Soldaten zeitweise nach Polen. Die derzeit auf dem Stützpunkt Ford Bragg im US-Bundesstaat North Carolina stationierten Soldaten sollten „in den kommenden Tagen“ in das osteuropäische Land verlegt werden, kündigte am Freitag ein Vertreter des US-Verteidigungsministeriums an. Die Entscheidung habe Verteidigungsminister Lloyd Austin auf Geheiß von Präsident Joe Biden angeordnet.

Insgesamt 5000 zusätzliche US-Streitkräfte

Die Soldaten einer Luftlandedivision aus dem Bundesstaat North Carolina würden in „den nächsten Tagen“ aufbrechen und sollen Anfang nächster Woche vor Ort sein, hieß es weiter. Die US-Regierung hatte erst Anfang Februar die Verlegung von rund 2000 Soldaten nach Europa angekündigt. Rund 1700 davon sollten ebenfalls nach Polen verlegt werden, ein Nachbarland der Ukraine.

„Alles in allem umfassen diese 5000 zusätzlichen Soldaten eine hoch mobile und flexible Truppe, die zu mehreren Einsätzen fähig ist“, erklärte das Ministerium. Es gehe darum, die östlichen Nato-Partner zu beruhigen und mögliche Aggressionen abzuwenden, hieß es weiter.

Auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hält die Situation für „wahnsinnig angespannt“. Zuvor waren in Belarus Militärübungen mit mehreren zehntausend russischen Soldaten begonnen worden. Im Schwarzen Meer fand nach Angaben des Verteidigungsministeriums ein Marinemanöver statt. In der Region Rostow, die an die Ukraine angrenzt, hätten zudem 400 Soldaten an einer „taktischen Übung“ für einen „Kampfeinsatz“ teilgenommen.

Putin, der Undurchschaubare

Das Problem: Die wahren Absichten von Wladimir Putin sind unklar. Während der Olympischen Spiele gilt traditionell ein Friedensgebot, sie enden am 20. Februar. Daher setzen die westlichen Staats- und Regierungschefs neben einer klaren Drohkulisse auf Verhandlungen.

Doch weder direkte Gespräche im Normandie-Format zwischen Russland, der Ukraine, Deutschland und Frankreich noch direkte Gespräche Macrons mit Putin konnten bisher eine sichtbare Entspannung bringen.

Daher wächst der Druck auf die Nato-Staaten, vielleicht doch etwas einzulenken. In der Bundesregierung ist man sich einig, dass das Milliardenprojekt der noch nicht in Betrieb genommenen Ostseepipeline Nord Stream 2 bei einem russischen Angriff tot wäre.

Allerdings wird selten beachtet, dass die USA, die massiven Druck für ein Nord-Stream-2-Aus machen, selbst viel Rohöl aus Russland beziehen. Russland ist nach Kanada und Mexiko der drittgrößte Lieferant. Biden wich Fragen danach beim jüngsten Scholz-Besuch aus.

Scholz reist nach Moskau: Muss er an den langen Tisch?

Scholz reist am Montag erst nach Kiew, dann nach Moskau. In deutschen Regierungskreisen konnte auf Anfrage noch nicht gesagt werden, wie man mit der russischen PCR-Testpflicht umgehen will – Frankreichs Präsident Emmanuel Macron musste nach einem Reuters-Bericht deshalb bei seinem Putin-Besuch am Ende eines sehr langen Tisches Platz nehmen, weil er den Corona-Test in Moskau verweigert hatte.

Sein Umfeld habe berichtet, man habe verhindern wollen, dass die Russen Zugriff auf Macrons DNA haben. Zwei Quellen hätten berichtet, Macron sei vor die Wahl gestellt worden: entweder einen von den russischen Behörden durchgeführten PCR-Test zu akzeptieren und sich dem russischen Präsidenten nähern zu dürfen oder auf weite Distanz zu Putin platziert zu werden. (mit Agenturen)

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