Kein Wort seit Wochen: Warum der Kanzler zu Nord Stream 2 eisern schweigt
Olaf Scholz sieht sich durch seine USA-Reise gestärkt. Einen Schönheitsfehler gibt es aber – und der hat mit einer gewissen Sturheit des Kanzlers zu tun.
Olaf Scholz wird von seinen Kritikern wie CDU-Chef Friedrich Merz fehlende Führung in der Außenpolitik vorgeworfen, aber wenn er nun verstärkt wie in Washington im Rampenlicht auftaucht, ist er für Überraschungen gut. Der Kanzler ist mit sich im Reinen, als er nach einem Abendessen mit den wichtigsten US-Senatoren den Regierungsflieger "Theodor Heuss" zurück nach Berlin besteigt.
Vor allem, weil er auch einen Härtetest für einen deutschen Kanzler souverän gemeistert hat. Ein 20-minütiges Live-Interview mit Jake Tapper bei CNN auf Englisch, etwas, das sich Angela Merkel nicht getraut hat.
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Mit Blick auf die parallel laufende Vermittlungsmission seiner Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in Kiew und deren Besuch im Kriegsgebiet der Ostukraine betont er bei CNN: „I sent her there, she will go to the Front Line.“
Scholz ist hier phasenweise weit lebendiger als bei Interviews daheim, gestikuliert, wirkt angriffslustig - und erklärt seine Herangehensweise an eine der gefährlichsten Krisen in Europa seit dem Ende des Kalten Kriegs. Es sei im Übrigen „totaler "Nonsens“, dass Deutschland mehr ein Alliierter Russlands sei als des Westens. „Wir werden absolut gemeinsam agieren, wenn Russland in die Ukraine einmarschiert.“
Er ist auch in die USA gereist, um einige Dinge geradezurücken, ihn verstimmt zum Beispiel, dass die ukrainische Seite nicht immer fair spielt. In Regierungskreisen wird betont, dass die 5000 Helme von der Ukraine angefordert seien.
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Und Scholz rückt bei CNN gerade, dass es absolut nicht stimme, dass Deutschland dem britischen Militär zum Waffentransport in die Ukraine Überflugrechte verweigert habe.
Auch beim Abendessen mit dem demokratischen Mehrheitsführer Chuck Schumer und dem republikanischen Fraktionschef Mitch McConnell betont er das und weist den Eindruck von Sonderbeziehungen mit Moskau zurück, mit Blick auf seinen SPD-Vorgänger Gerhard Schröder, der nun auch noch bei Gazprom in den Aufsichtsrat einziehen soll, macht er in Washington deutlich, dass er nun der Kanzler sei und den Kurs bestimme. In der SPD nehmen die Absetzbewegungen zu Schröder gerade in großem Tempo zu.
Enger Schulterschluss mit Biden
Mehr als er es erwarten konnte, hat US-Präsident Joe Biden zuvor alle Zweifel über Dissonanzen und an der Verlässlichkeit der deutschen Russland-Politik zerstreut, die Regierung als wichtigsten und führenden Partner in Europa gelobt.
Einen Schönheitsfehler gibt es aber trotzdem - und der hat mit einer gewissen Sturheit von Scholz zu tun. Er weigert sich seit Wochen, das Wort „Nord Stream 2“ auch nur in den Mund zu nehmen. Biden betont im Beisein von Scholz, wenn russische Panzer die Grenze zur Ukraine überqueren, „dann wird es nicht länger Nord Stream 2 geben“.
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Es gibt hier nicht ein Vorpreschen Bidens, sondern die beiden haben sich vorher in einem 65-minütigen Vier-Augen-Gespräch abgestimmt, was sie dazu sagen, Scholz betont, man sei sich völlig einig, dass man die gleichen Maßnahmen ergreifen werde. Er erwähnt Nord Stream 2 aber bewusst nicht - doch wenn Scholz von einem gemeinsamen Agieren spricht, dass alle dieselben Schritte ergreifen werden, impliziert das eben auch die Energiebeziehungen mit Russland.
Dass Biden es ist, der das konkret macht, hat auch damit zu tun, dass er innenpolitisch unter Druck steht, klare Konsequenzen aufzuzeigen; und Nord Stream 2 wird von Republikanern wie Demokraten abgelehnt.
Da passt das gut ins Konzept, die Amerikaner würden halt auch gerne mehr Flüssiggas nach Europa verkaufen. Auch Scholz ist für weniger Abhängigkeit von russischem Gas, schon als Erster Bürgermeister Hamburgs machte er sich für ein Flüssiggas-Terminal in Brunsbüttel stark.
Der Kanzler will sich nicht treiben lassen - und irritiert
Auch bei CNN kommt ihm "Nord Stream 2" und das mögliche Aus nicht über die Lippen. Scholz hat mitunter spezielle politische Taktiken, die ins Dickköpfige gehen können. Seinen Ansatz will er nicht preisgeben - alle Optionen auf dem Tisch, maximale ökonomische Abschreckung, aber keine der mit den Amerikanern und EU-Partnern abgestimmten möglichen Sanktionsmaßnahmen öffentlich zu nennen, um Wladimir Putin über den zu zahlenden Preis im Unklaren zu lassen. Das ist auch die Linie der SPD; auch deshalb weigert sich Scholz das aus seiner Sicht etwas komische Spielchen "Jetzt muss er aber was zu Nord Stream 2 sagen" mitzuspielen.
Er mag es nicht, über jedes Stöckchen springen zu müssen, auch wenn das immer wiederkehrende Fragen - und Zweifel bei den Partnern mit sich bringen kann. CNN interpretiert Scholz' Aussagen dann prompt als einen Gegensatz zu Biden und macht die Eilmeldung: „Deutschlands Kanzler weigert sich, Bidens Ankündigung zu unterstützen, eine der wichtigsten russischen Gaspipelines stillzulegen, wenn Putin in die Ukraine einmarschiert - aber verspricht eine gemeinsame Antwort."
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So bleibt ein zwiespältiges Bild beim Publikum zurück. Das Pipeline-Aus als Teil von Sanktionen bei einer russischen Invasion scheint nach dem Besuch bei Biden zwar beschlossene Sache zu sein, aber die Bundesregierung will es nicht allzu offensiv öffentlich sagen. Denn die Sache ist juristisch vertrackt, ein öffentlich von deutscher Seite angedrohtes Aus kann Milliardenklagen bei Nicht-Inbetriebnahme nach sich ziehen.
Zudem reist Scholz kommenden Dienstag zu Wladimir Putin, ausgerechnet in den USA das Aus der neuen Ostseepipeline anzudrohen, könnte da kontraproduktiv sein. Da es bisher keine klare Trennung von Betrieb der Leitung und Vertrieb des Gases gibt, ist das Projekt bisher ohnehin nicht genehmigungsfähig.
Kann Scholz Putin von der Invasion abhalten?
Spät startet Scholz nach langer Vorbereitung seine Vermittlungsmission, am Dienstagabend tagte das Weimarer Dreieck - Scholz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Polens Präsident Andrzej Duda. Dann empfängt Scholz die Regierungschefs der drei baltischen Staaten, bevor er nach Kiew und Moskau reist.
Spätestens dann wird sich zeigen, ob sein Plan der stillen Diplomatie und der Drohkulisse zu friedenswahrenden Ergebnissen führen kann; Macron hat mit seiner Interpretation des Moskau-Besuchs, dass Russland bereit sei, auf eine Eskalation in der Ukraine zu verzichten, Ärger bei Putin ausgelöst; er pocht als Grundbedingung weiter auf einen Aufnahmestopp weiterer Länder in die Nato.
Interview-Offensive nach dem Umfrageabsturz
Im Scholz-Lager haben sie nach dem Umfrageabsturz erkannt, dass er seine Politik auch kommunikativ besser und mehr erklären muss, in einer Woche war er im heute-Journal, in der ARD, bei RTL und bei CNN im Interview, dazu noch ein Interview in der „Washington Post“. Und in Washington war ein emotionaler Scholz als zuletzt zu erleben, er selbst sieht seine Reise als Erfolg an.
Aber sogar die Opposition zollt Respekt. Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jürgen Hardt (CDU), betont, es sei wichtig, wie geschlossen US-Präsident Biden und Bundeskanzler Scholz aufgetreten seien. „Beide Seiten waren sichtlich bemüht, zu zeigen, dass die USA und Deutschland Schulter an Schulter stehen. Das war auch gut so und deshalb war die Reise von Bundeskanzler Scholz in die USA eine gute Entscheidung.“ Sie sei überfällig gewesen, um zu zeigen, dass Deutschland an der Seite seiner Verbündeten stehe.
Der USA-Experte Josef Braml betont: „Olaf Scholz meistert die komplizierte Lage, die er als neuer Kanzler vorfand, insgesamt souverän." Und auch die kommunikative Unklarheit in Sachen Nord Stream 2 sieht Braml nicht als Belastung an, da wo die Botschaft verstanden werden muss, im Kreml, komme sie schon an. „Der Kanzler hat sich nicht festgelegt. Er spricht ja von der Notwendigkeit der Ambiguität, wonach der Gegner eben nicht genau wissen soll, was ihm im Ernstfall droht. Wenn die Russen die Ukraine angreifen, wird Nord Stream 2 nicht zu halten sein."
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