SPD-Kanzlerkandidat: Überbordende Erwartungen werden für Martin Schulz zum Problem
Der Merkel-Herausforderer macht sich auf der bundespolitischen Bühne rar. Wer auf Magie gehofft hat, muss feststellen, dass der SPD-Kandidat doch nicht über Wasser gehen kann. Ein Kommentar.
Braucht der Messias gerade nur eine schöpferische Pause? Oder gibt es den Messias schon gar nicht mehr? So in etwa lauteten seit der Osterpause die wenig freundlichen Fragen an Martin Schulz, dem seine Fans vor wenigen Wochen noch übersinnliche Fähigkeiten zugeschrieben hatten. Jetzt hat sich der SPD-Kanzlerkandidat wenigstens zurückgemeldet.
Rund drei Monate nach Sigmar Gabriels Verzicht machte sich der Merkel-Herausforderer rar auf der bundespolitischen Bühne. Wer immer auf Magie gehofft hatte, muss feststellen, dass Schulz doch nicht über Wasser gehen kann: In den Umfragen fallen er und seine Partei zurück, die Union zieht vorbei. Wo bleibt da der kämpferische Auftritt des Kandidaten? Wo das Feuerwerk an Ideen, an dem sich die Gegner abarbeiten müssen?
Nun erweist es sich als Nachteil, dass Schulz die Distanz zur großen Koalition sucht und sich nicht einbinden lässt: Die Medien sind in diesen Tagen voll mit Meldungen und Bildern von Angela Merkel beim Termin mit Ivanka Trump, beim europäischen Brexit-Treffen, beim Besuch in Saudi-Arabien oder in Russland. Der SPD-Kandidat kommt dagegen kaum vor.
Es sind die überschießenden Erwartungen, die für die SPD nun zum Problem werden: Wer Merkel vor Kurzem schon für politisch erledigt erklärt hatte, lässt seine Enttäuschung nun an dem Mann aus, der vielleicht doch nicht liefert, was sich viele von ihm erhofft hatten.
Der Schulz-Effekt muss noch nicht am Ende sein
Das heißt noch nicht, dass der Schulz-Effekt schon am Ende ist. Es stimmt, in etlichen Umfragen ist die SPD sogar schon wieder unter die psychologisch wichtige 30-Prozent-Marke gefallen. Doch immer noch bringen die Sozialdemokraten rund zehn Prozent mehr auf die Waage als zu Zeiten von Sigmar Gabriel. Und 16.000 Neu-Mitglieder werden wohl dazu beitragen, dass sich Schulz’ Botschaften verbreiten.
Aber auch in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen geben die Umfragewerte der SPD nach, eine Ablösung beider sozialdemokatisch geführten Regierungen scheint nicht mehr ausgeschlossen. Eine Abwahl in Kiel könnte die SPD wohl noch verkraften, der Verlust ihrer Herzkammer NRW aber wäre ein Menetekel für die Bundestagswahl.
Selbst für den Fall, dass Torsten Albig und Hannelore Kraft ihre Ämter verteidigen: An seinen größten Defiziten müsste Schulz auch dann arbeiten. Wenn der Hype und die mediale Inszenierung nicht mehr tragen, fragt der Wähler: Was bringt mir Schulz? Bislang zielt sein Versprechen sozialer Gerechtigkeit vor allem auf Kernwähler und auf ehemalige Wähler, die zurückkehren, weil er ihre alte Wunschpartei wiederbelebt hat.
Gerhard Schröder war seinerzeit besser aufgestellt
Aber reicht das? Schulz hat bislang wenig dazu gesagt, was seine ökonomische Kompetenz ausmacht und was er dazu beitragen will, damit das Land seinen Wohlstand sichern kann. Als Gerhard Schröder mehr als 40 Prozent holte, war er mit dem Slogan „Innovation und Gerechtigkeit“ deutlich breiter aufgestellt.
Schröder, dem Ministerpräsidenten von Niedersachsen, trauten die Deutschen damals Führung zu. Auch da lauert für Schulz eine Gefahr: Sein sorgsam gepflegtes Außenseiter-Image allein ist keine Antwort, wenn Wähler fragen, welche Konflikte er durchgestanden hat und warum er den Ton angeben soll. Und seine erste Wortmeldung nach der Osterpause ist wieder ein soziales Versprechen: 200 Euro Entlastung für Kassenpatienten – damit bleibt er im viel zu engen Rahmen seiner bisherigen Erzählung.
Weil Demokratie vom Wettbewerb lebt, hatte die Republik aufgeatmet, als der Ausgang der Bundestagswahl mit der Nominierung von Schulz plötzlich wieder offen schien. Einen Messias braucht Deutschland nicht, wohl aber einen Herausforderer von Merkel, der ihr dauerhaft gefährlich wird. Diesen Status darf der SPD-Kandidat keinesfalls verlieren.
Es bleibt nicht viel Zeit bis zur Entscheidung im September. Es wäre schon viel, wenn es dabei um das Schicksal der SPD ginge. Es geht aber um noch mehr.