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Regiert gern im Norden und kocht gerne Nudeln: Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD).
© Thilo Rückeis

Ministerpräsident Torsten Albig: "Es interessiert die Leute nur, wenn du fällst"

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Albig spricht über den Wahlkampf, schmutzige Tricks in der Politik und über seine Scheidung.

Herr Albig, Sie Sind nicht nur ein Fan der US-Politserie "House of Cards", Sie regieren auch in Kiel, der deutschen Hauptstadt der Intrigen. Macht das Spaß?

Moment mal! Kiel ist vielleicht manchmal etwas speziell - aber bis Washington ist doch noch ein langer Weg. Und meine Gemeinsamkeiten mit Frank Underwood, dem Serien-Präsidenten, halten sich auch in Grenzen (lacht).

Aber Kiel ist auch nicht ohne, denken wir an die Barschel-Affäre, den Heidemörder, der Ministerpräsidentin Heide Simonis stürzte, den Rücktritt der Kieler Oberbürgermeisterin Susanne Gaschke oder die Affäre eines Kieler Landespolitikers mit einer Minderjährigen...

Die Barschel-Affäre hatte eine besondere Qualität, das ist wahr. In den anderen Fällen, die Sie genannt haben, ging es dann doch eher nur um politische Fehlsteuerung, Feigheit oder Dummheit. Das alles ist bei uns auch nicht ausgeprägter als anderswo in der Republik. Wir haben in Kiel nicht mehr Affären als andere Landeshauptstädte, man schaut nur etwas sensibler nach Norden.

Mal ganz ehrlich: Geht der Wahlkampf in Schleswig-Holstein ganz ohne die schmutzigen Tricks eines Frank Underwood ab?

Auch wenn ich Sie enttäuschen muss: Hier arbeitet gar niemand mit wirklich fiesen Tricks, weder die Regierung noch die Opposition. Jeder erzählt den Journalisten und den Wählern, dass er ein toller Typ und der politische Gegner nicht ganz so toll sei. Das gehört zum Geschäft. Aber underwoodsche Tricks haben doch eine andere Qualität. Ich möchte Sie nur mal daran erinnern, dass Frank Underwood zu neugierige Journalisten auch mal gern vor die U-Bahn schubste…

Es gibt in Kiel nun mal keine U-Bahn…

Aber sehr tiefes Wasser. Keine Sorge, bei mir sind Sie trotzdem sicher (lacht). Wir sollten eher gemeinsam daran arbeiten, das Bürgerinnen und Bürger auch nicht im entferntesten auf die Idee kommen, dass Politik in Deutschland nicht so wie in House of Cards funktioniert.

Jetzt droht aber auf den letzten Metern durch den Vorwurf einer SPD-Kommunalpolitikern, der CDU-Spitzenkandidat habe sie „Verdi-Schlampe“ genannt, doch noch ein Stück mehr „Amerika“ in den Wahlkampf einzuziehen…

Nein. Das ist eine Sache zwischen zwei erwachsenen Menschen, die dies unter sich bereinigen müssen, das hat nichts mit dem Wahlkampf der beiden Parteien zu tun. Beide großen Parteien haben gestern noch einmal klar gemacht, dass sie sich eine Auseinandersetzung in der Sache und nicht über persönliche Vorwürfe wünschen.

Kann man aus einer Serie wie "House of Cards" etwas über Politik lernen?

Die dänische Serie "Borgen" ist da schon näher an unserer politischen Realität als "House of Cards", und zwar weil in Dänemark ähnlich wie bei uns Parteien bei allen Entscheidungen eine zentrale Rolle spielen. Das ist in den USA anders. Die deutsche Politik ist im Vergleich zur amerikanischen deutlich weniger glamourös, deutlich weniger affektgeladen, sondern arbeitsam, solide und wirkt deshalb auch manchmal fast etwas langweilig.

Stichwort "affektgeladen" - das passt doch auf den Politikstil von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz....

Der Stil von Martin Schulz ist doch nicht affektgeladen!

Aber er löst doch Emotionen aus…

Ja, das ist aber etwas ganz anderes. Martin Schulz ist empathisch - und Einfühlungsvermögen gehört zu guter Politik dazu. Wenn Politik nicht die Gefühle von Menschen wahrnimmt und auf sie eingeht, läuft etwas schief.

In der SPD ist viel vom Schulz-Effekt die Rede. Kommt der auch Ihrem Wahlkampf zugute?

Das spüren wir ganz massiv. Wir haben Hunderte von Neueintritten, übrigens relativ gesehen mehr als der Bundesdurchschnitt. Fast bei jeder Abendveranstaltung übergebe ich jetzt Parteibücher - die Hälfte davon an Neu-Mitglieder, die andere an ehemalige Genossen. Es kommen viele Mitglieder zurück, die wegen der Agenda-Politik ausgetreten waren.

Was passiert gerade mit der SPD?

Es kam einem irgendwie so vor, dass wir irgendwie die falschen Klamotten anhätten und uns die Leute deshalb nicht mehr zum Tanzen auffordern wollten. Jetzt zieht die alte Tante SPD sich wieder ihr flottes Frühlingskleid an und tritt auch wieder etwas forscher auf die Tanzfläche. Das zeigt Wirkung.

Martin Schulz schreiben Sie Empathie zu. Was macht seine Überzeugungskraft sonst noch aus?

Er wirkt wie ein Befreier. Er nimmt eine Last von der Partei, die seit dem Jahr 2002 gewachsen war. Die SPD machte Politik für Deutschland, erst mit Rot-Grün, dann in der großen Koalition, die für Deutschland sehr erfolgreich war. Aber unsere Wähler waren damit nicht wirklich zufrieden. Konservative Wähler vertragen schmerzhafte Kompromisse besser als unsere. Unsere Wähler wollen sehen, dass unser Hauptprojekt nicht die modernste Arbeitsmarkt- oder Wirtschaftspolitik, sondern die Gerechtigkeit ist. Wir haben das verstanden und gegengesteuert. Aber mit den Köpfen unserer Partei vor Schulz gelang es uns nicht, Gesicht und Aussage wieder so zu verbinden, dass man uns wieder vertraut hätte. Mit Martin Schulz kommt dieses Vertrauen der Menschen in ihre SPD zurück. Auch wir selbst lächeln wieder viel stärker, wenn wir von uns erzählen.

Das müssen Sie uns erläutern...

Viele von denen, die zurückkommen, sagen: Das ist jetzt wieder wie früher, das ist wieder meine SPD. Ein Beispiel: Neulich kam ein fast hundertjähriger Mann hier in Kiel in unsere Parteizentrale, weil er wieder eintreten wollte. Zu dem Juso, der ihn da empfing, sagte er: Das ist jetzt wieder wie bei Willy.

Nach fünf Jahren als Ministerpräsident führen Sie einen Landtagswahlkampf mit dem Slogan "Zeit für Gerechtigkeit". Wie wollen Sie das Land gerechter machen?

Wir Sozialdemokraten sind diejenigen, die seit mehr als 150 Jahren für Gerechtigkeit stehen. In Schleswig-Holstein sind wir die letzten fünf Jahre sehr viel weiter gekommen, etwa bei der frühkindlichen Erziehung, der nachhaltigen Energieversorgung, dem Infrastrukturausbau und vielem mehr. Das sind große Fortschritte. Der Umstand, dass wir noch keine allumfassende gerechte Welt geschaffen haben, bedeutet ja nicht, dass unser sozialdemokratisches Projekt gescheitert wäre. Es erinnert nur daran, dass die Aufgabe sehr groß ist.

Es gibt nun erstmals Umfragen, in denen die CDU knapp vor der SPD liegt, steigt die Nervosität?

Nein, überhaupt nicht, Wahlausgänge in Schleswig-Holstein sind immer knapp, darauf sind wir eingestellt. Und die große Mehrheit der Menschen will, dass der neue Ministerpräsident wieder Torsten Albig heißt. Das wird am Ende die Wahl für uns entscheiden.

Welche Rolle spielt die Flüchtlingspolitik in Ihrem Wahlkampf?

Bei den Besuchern meiner Wahlveranstaltungen eine sehr positive. Auch tief in wertkonservativen Kreisen gilt unsere human abgeleitete Flüchtlingspolitik als richtig. Unsere 1200 Gemeinden haben es sich zur Aufgabe gemacht, die insgesamt etwa 50.000 Flüchtlinge zu integrieren - in vielen Gemeinden leben ja nur fünf oder sechs Flüchtlinge. Die kennen die alle, die kümmern sich um die, die wissen, das sind ganz normale Menschen mit einem Gesicht, einer Geschichte, mit guten und schlechten Seiten.

Und warum beeindruckt das auch Konservative?

Auch im christdemokratischen Milieu sagen inzwischen viele: Um Gottes Willen, der Abdul, der darf nicht abgeschoben werden. Ich will nicht, dass der morgen in einem Airbus sitzt, denn der ist bei mir in Marne Geselle in der Bäckerstube. Das hat mir der Bäckermeister selbst erzählt und zeigte auf den jungen Mann, der nach Auffassung des Bundes abgeschoben werden würde. Und die Zweifel, dass es keine sicheren Regionen in Afghanistan gibt, haben ja auch andere Länder und schieben dorthin trotz anderer Einschätzungen des Bundes nicht ab.

Sie reden gerade von Empfehlungen des Auswärtigen Amtes in Berlin, das von der SPD geführt wird….

Richtig. Aber das macht es ja nicht besser…

Schleswig-Holstein schiebt keine Afghanen mehr ab. Wie kommen Sie zu dem Schluss, dass Sie eine bessere Expertise der Lage in Afghanistan haben als das Auswärtige Amt?

Weil wir uns die Berichte des UN-Flüchtlingskommissars und des Internationalen Roten Kreuzes sehr genau angeschaut haben. Ich höre zudem darauf, was die beiden großen christlichen Kirchen und Nicht-Regierungsorganisationen mir sagen. Keiner teilt die Position des Auswärtigen Amtes, wonach es in Afghanistan sichere Gebiete gäbe.

Muss sich eine Landesregierung nicht an die Expertise einer obersten Bundesbehörde halten?

Diese Fachexpertise wird am Schreibtisch in Berlin geschrieben. Aber die Realität ist, dass Afghanistan ein Land im Krieg ist.

Sie gelten in der SPD als eigensinniger Ministerpräsident. Warum treten Sie ihren eigenen Leuten immer wieder auf die Füße?

Wir haben im politischen Betrieb eher einen Mangel daran, dass Menschen zu ihren Überzeugungen stehen und sie auch gegen Widerstand durchhalten. Natürlich kann man sich mal irren, dann muss man sich korrigieren. Ich glaube aber, dass ich mich bei der Flüchtlingspolitik nicht irre.

Mitten in der heißen Wahlkampfphase haben Sie jetzt in einer Illustrierten darüber geredet, dass Sie sich scheiden lassen und wieder heiraten. Haben Wähler ein Recht darauf, über das Privatleben von Kandidaten Bescheid zu wissen?

Nein, natürlich nicht. Aber nachdem ich intern mitgeteilt hatte, dass meine Frau und ich uns getrennt haben, bin ich von Journalisten darauf angesprochen worden. Ich habe beschlossen: Bevor andere die Geschichte dumm oder falsch erzählen, erzähle ich sie in Abstimmung mit meiner Frau lieber selbst. Das geschah schon vor einem Jahr. Jetzt habe ich denselben Satz nur noch einmal gesagt. Auf der anderen Seite ist es aber auch nicht ehrenrührig, zu sagen, dass einem auch als Politiker dasselbe passieren kann wie anderen Menschen auch. Dass die Beziehung scheitert und man eine neue Beziehung beginnt.

Wird das Privatleben von Politikern erst dann interessant, wenn sie scheitern?

Für die Medien ist das wohl so, ja. Es interessiert die Leute nur, wenn du fällst. Wie toll ich Nudeln machen kann, interessiert doch kein Schwein.

Sie können gut Nudeln machen?

Na ja, mehr meine Nudelmaschine als ich. Aber sie sind essbar. Aber im Ernst: Tatsächlich glaube ich, dass wir in Deutschland mehr darüber wissen sollten, was das für Menschen sind, die Politik machen. In den letzten Jahren ist bei den Bürgern leider das Gefühl "wir da unten und die da oben" stärker geworden. Die Leute müssen wieder merken, dass Politiker Menschen wie sie bleiben und nicht Teil eines fast monarchisch-elitären Systems werden. Wir sind eine Gesellschaft, in der all diese politischen Ämter allen offen stehen und nicht nur einer kleinen Kaste. Und man wird auch nicht automatisch zu einem anderen Menschen, wenn man auf Zeit politische Verantwortung überantwortet bekommt. Das alles schließt übrigens nicht aus, dass die Medien mehr Respekt haben dürften vor den privaten Momenten des Scheiterns.

Um noch einmal auf "House of Cards" zurückzukommen: Ist Ihre künftige Frau so ehrgeizig wie Claire Underwood und erwartet, dass Sie höchste Ämter wie Bundeskanzler oder Bundespräsident anstreben?

Nein. Ich glaube, sie mag, dass ich ein zuverlässiger Partner bin. Sie isst außerdem meine Nudeln gern (lacht) und findet es gut, dass ich mit ihren Söhnen auf der Playstation sehr fair "Fifa" spielen kann. Sie ist übrigens selbst als Unternehmerin erfolgreich und braucht meinen Erfolg nicht für ihr Selbstbewusstsein.

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