Debatte um Sterbehilfe: Tod auf der Tagesordnung
Die Sterbehilfe wird für den Bundestag nach der Sommerpause zum großen Thema. Die Abgeordneten sollen über eine Regelung nach ihrem Gewissen entscheiden dürfen. Eine hitzige Debatte ist vorprogrammiert.
Manche können’s kaum erwarten. Er plädiere dafür, die Sterbehilfe-Debatte „endlich ins Parlament zu holen und bald zu entscheiden“, drängt der CDU-Politiker Jens Spahn. Die Argumente lägen doch alle auf dem Tisch.
Nach der Sommerpause wird die Sterbehilfe für den Bundestag zum ganz großen Thema. Es soll eine gesetzliche Regelung geben. Die Abgeordneten sollen fraktionsunabhängig nach ihrem Gewissen entscheiden dürfen. Und als Erstes wird es wohl im Plenum medienwirksam eine große Anhörung geben. Doch mit dem angestrebten Gesetz wollen sich die Abgeordneten noch Zeit lassen.
Womöglich drei oder vier Gruppenanträge
Vor dem Herbst 2015 seien keine Beschlüsse zu erwarten, sagt der zuständige Koordinator der Unionsfraktion, Michael Brand (CDU). Man werde sich „die nötige Zeit nehmen, denn genauso wichtig wie die Entscheidungen ist der Weg dorthin“. Es sei nicht ausgeschlossen, dass es am Ende nicht nur zwei, sondern „vielleicht auch drei oder vier verschiedene Gruppenanträge“ geben werde.
Man wolle das schwierige Thema nicht mit vorgefertigten Meinungen angehen, lautet Brands Botschaft. Tatsächlich aber ist von den Unionsoberen schon einiges festgezurrt. Begonnen hatte damit Gesundheitsminister Hermann Gröhe, der trotz fehlender Zuständigkeit gleich nach der Wahl klargemacht hatte, wohin es gehen müsse. Künftig solle jede organisierte Hilfe zur Selbsttötung verboten sein, nicht nur die kommerziell betriebene, forderte er. Von Fraktionschef Volker Kauder war Ähnliches zu hören. Und die Parteivorsitzende und Kanzlerin Angela Merkel hatte dafür schon in der vergangenen Legislatur den Weg geebnet – indem sie ein Gesetz von FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger stoppte, das die Geschäftemacherei mit Sterbehilfe zwar unter Strafe gestellt, das Wirken von Sterbehilfe-Vereinen de facto aber legalisiert hätte.
Die Grenzen sind fließend
Bisher ist hierzulande nur aktive Sterbehilfe verboten. Mit Tötungsmaschinen à la Roger Kusch und Aktivisten, die Vereinsmitgliedern todbringende Arzneicocktails servieren, wollen die meisten Politiker jedoch auch Schluss machen. Bei den Ärzten ist man indessen unentschieden. Die einen wollen ihnen die Suizid-Beihilfe ausdrücklich erlauben, die anderen möchten sie ihnen ebenso pauschal untersagen – wohl wissend, dass die Grenzen zum Sterbenlassen ohne Apparate und zur Sterbeerleichterung mit womöglich lebensverkürzenden Mitteln fließend sind.
Natürlich sei nicht beabsichtigt, „neben jeden Arzt einen Polizisten stellen“, sagt der Verbotsbefürworter Brand – und dass es „auch unmenschlich wäre, jeden Einzelfall regeln zu wollen“. Leidenslinderung sei ein „einklagbares Patientenrecht“, sie solle bis hin zur palliativen Sedierung, also der indirekten Sterbehilfe durch Herbeiführung eines künstlichen Koma, unangetastet bleiben. Im individuellen Fall wolle man auch Suizidbeihilfe nicht verbieten. Doch alles, was in den organisierten Bereich gehe und auf Wiederholung ausgelegt sei, müsse unter Strafe gestellt werden - egal, ob von Ärzten oder anderen Personen offeriert.
Kritik an palliativmedizinischen Versorgung
Nicht nur bei SPD, Grünen und Linken geht das manchem zu weit. Auch der CDU-Politiker Peter Hintze, der schon bei der Debatte um embryonale Stammzellen und Präimplantationsdiagnostik gegen den Unionsstrom schwamm, argumentiert mit einer „Ethik des Helfens“. Ärztlich assistierter Suizid am Lebensende müsse „zweifelsfrei ohne Strafe möglich sein“, sagt er.
„Wir brauchen eine würdige Debatte, aber keine, die die Dinge vernebelt“, kontert Brand. „Wenn man töten meint, dann soll man das auch so benennen und es nicht mit schönen Worten umschreiben.“ Sterbehilfe auf Ärzte delegieren zu wollen, weil die das besser könnten, münde irgendwann, wie das Beispiel anderer Länder zeige, in einer Tötung auf Verlangen. Außerdem sei schon zu fragen, wie es denn wirke, „wenn die Politik den Ärzten einen Paradigmenwechsel aufzwingt, den diese selber ablehnen“.
Ärztekammer will Sterbehilfe nicht pauschal erlauben
Tatsächlich hält die Bundesärztekammer nichts davon, Medizinern pauschal Sterbehilfe zu erlauben. Allerdings ist sie auch gegen ein strafrechtliches Verbot. Die Union wolle sich bei dem Thema aber ohnehin nicht aufs Juristische beschränken, versichert Brand. Genauso wichtig sei der Ausbau von Hospizen und Palliativmedizin. Man könne den Leidenden ja „nicht sagen, dass es eine Alternative zu Giftspritze und Todescocktail gibt und sie dann unversorgt lassen“.
So weit wie das Zentralkomitee der deutschen Katholiken will der Unions-Koordinator jedoch nicht gehen. Deren Präsident Alois Glück hatte gefordert, mit den Sterbehilfe-Regelungen noch zu warten – und sich im Bundestag erst einmal der palliativmedizinischen Versorgung im Lande zu widmen. Mit der nämlich liege auch noch vieles im Argen.
Rainer Woratschka