Palliativmediziner im Interview: „Viele wollen nur nicht leiden müssen“
Wollen viele am Ende wirklich sterben, um nicht mehr leiden zu müssen? Welche Möglichkeiten haben sie? Ein Gespräch mit einem Arzt, der Menschen am Lebensende behandelt.
Herr Beck, Sie behandeln Patienten, die unheilbar erkrankt und am Ende ihrer Lebenszeit angekommen sind. Wie oft passiert es, dass diese mit dem Wunsch an Sie herantreten, sterben zu wollen?
Beim Erstkontakt mit den Patienten passiert das ganz selten. Vielleicht in einem von 200 Fällen. Manchmal kommt es im Laufe einer Palliativbehandlung dazu, dass ein Sterbewunsch geäußert wird.
Wie reagieren Sie dann?
Zunächst erkläre ich den Patienten meine Anteilnahme an dieser Situation – was jeder Arzt machen sollte. Danach überlegen wir zusammen, ob es Möglichkeiten zur Linderung gibt. Mit Schmerzmitteln oder Antidepressiva beispielsweise. Doch es gibt auch Fälle, bei denen das körperliche und seelische Leiden so groß wird, dass es jemand gar nicht mehr aushält, den ganzen Tag unter Schmerzen leidet und Luftnot hat. Dann gibt es bei uns in Deutschland als letzte Möglichkeit das künstliche Koma. Dieses Sicherheitsversprechen ist ganz wichtig. Es genügt vielen Patienten.
Und dieser letzte Schritt ist dann keine Art, das Leben eines Menschen zu verkürzen?
Das größte Leiden am Lebensende wird dadurch vom Patienten nicht mehr wahrgenommen. Er verschläft sein Leiden, ohne dass es zu einer Lebensabkürzung kommt. Würden wir das künstliche Koma nicht anbieten für Patienten, die unerträglich leiden, wäre das eine medizinische Unterbehandlung, ein Kunstfehler, wenn man so will. Wir benötigen diese Medizin, damit es nicht unmenschlich wird. Was wir tun, ist nicht Sterbehilfe, sondern Hilfe im Sterben.
Bestehen viele Angehörige nicht darauf, dass das Leben der Patienten um jeden Preis verlängert wird?
Der Schwerleidende erweckt meist sehr viel Empathie für seinen Zustand. Seine Lage wird dann hoch nachvollziehbar. Diejenigen, die täglich mit ihm zu tun haben, verstehen ihn. Meist decken sich die Wünsche von Patienten und Angehörigen daher. Ist das nicht der Fall, versuchen wir, Verständnis für den Wunsch des Patienten zu erwecken. Er hat letztlich die Entscheidungshoheit.
Wie groß ist die Versuchung als Arzt selbst einzugreifen, wenn das Leiden am Lebensende einfach zu groß ist?
Wir müssten ein vielfaches der zur Symptomlinderung benötigten Medikation anwenden, um den Tod herbeizuführen. Auf diese Idee kämen wir nicht. Wenn so etwas vorkommt, dann sind es Unfälle oder nicht erlaubte, kriminelle Handlungen.
Dietmar Beck (60) arbeitet seit 20 Jahren in der Palliativmedizin und ist Leitender Arzt des Palliativ Care-Teams am Diakonie-Klinikum Stuttgart.