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Regierungschefin Theresa May hat einen schweren Stand im Parlament.
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Update

Brexit-Szenarien: Theresa May verschiebt den Showdown

Theresa May vertagt die Abstimmung im britischen Unterhaus über Großbritanniens EU-Austritt. Was wird jetzt aus dem Brexit? Die Szenarien.

Die britische Premierministerin Theresa May strebt Nachverhandlungen mit der EU über das Brexit-Abkommen an. Sie werde ihren EU-Kollegen die "klaren Bedenken" des britischen Unterhauses vortragen und "weitere Zusicherungen" aus Brüssel verlangen, sagte May am Montag vor den Abgeordneten. Die EU-Kommission hatte zuvor allerdings erklärt, dass sie das Abkommen nicht neu verhandeln wolle. EU-Präsident Donald Tusk berief allerdings einen Brexit-Gipfel für Donnerstag ein, der am Rande des regulären Gipfels der Staats- und Regierungschefs in Brüssel stattfinden soll. Es werde keine Nachverhandlungen zu dem Brexit-Abkommen geben, stellte Tusk klar. Allerdings sei die EU bereit zu Gesprächen darüber, "wie die britische Ratifizierung erleichtert werden kann".

Ablehnung

Etwa 100 der 315 Abgeordneten aus Mays Konservativer Partei hatten vor der für Dienstag geplanten Abstimmung im Londoner Unterhaus angekündigt, das vorliegende Brexit-Abkommen nicht zu unterstützen. Damit war es ausgeschlossen, dass die Regierungschefin eine Mehrheit für den von ihr ausgehandelten Vertrag erhalten könnte. So zog May die Notbremse und kündigte am Montag in ihrer Rede vor dem Parlament an, sie wolle in Brüssel nachverhandeln.

Viele ihrer eigenen Parteifreunde fürchten eine zu starke Bindung an die EU. Auch die nordirische DUP, auf deren zehn Stimmen Mays Regierung im Parlament angewiesen ist, hatte Widerstand angekündigt. Sie lehnt Sonderregelungen für Nordirland ab. Von der Opposition darf sich May keine Unterstützung erhoffen. Sie braucht aber mindestens 320 Ja-Stimmen, um den Deal sicher durch das Parlament zu bringen.

Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon bezeichnete die Verschiebung als „erbärmliche Feigheit“. Die konservative Regierungspartei stelle damit ihre eigene Interessen über die des Landes, so Sturgeon. Der Chef der oppositionellen Labour-Partei, Jeremy Corbyn, forderte May auf, entweder beim Abkommen nachzuverhandeln oder eine Neuwahl auszurufen. „Wir haben keine funktionierende Regierung“, sagte Corbyn. So ähnlich sehen das auch viele Tory-Abgeordnete.

Bei den Unterstützern von May gibt es offenbar noch eine letzte Hoffnung. Mit der kurzfristigen Verschiebung könnte May möglicherweise versuchen, Zeit zu gewinnen, hatte es schon vor der Parlamentssitzung geheißen. Die EU-Partner erteilten aber am Montag allen Neuverhandlungswünschen eine klare Absage. Dazu werde es nicht kommen, teilte eine Sprecherin von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vor der May-Rede mit. „Der Deal wird sich nicht verändern“, bekräftigte Irlands Vize-Regierungschef Simon Coveney im Dubliner TV-Sender RTE. Auch im deutschen Bundestag gibt es kaum eine Neigung für ein weiteres Entgegenkommen. „Dafür sehe ich keinen Spielraum“, sagte der Brexit-Obmann der CDU/CSU-Fraktion, Detlef Seif. „Die EU ist dem Vereinigten Königreich sehr weit entgegengekommen.“

Dieser Eindruck herrscht in London freilich parteiübergreifend nicht. Seitdem Mitte November erste Details der Vereinbarung durchgesickert waren, die vor zwei Wochen vom EU-Gipfel verabschiedet wurde, formierten sich die Nein-Sager auf allen Seiten. Mögen viele Briten die Ausdauer und das Durchhaltevermögen der 62-Jährigen Regierungschefin bewundern – im Parlament hat die Premierministerin zu wenig Freunde. Im vergangenen Monat war der Versuch der Brexit-Ultras noch gescheitert, eine fraktionsinterne Vertrauensabstimmung über die Parteichefin selbst herbeizuführen. Die dafür nötigen 48 schriftlichen Anträge beim Hinterbänkler-Koordinator Brady kamen nicht zusammen.

Durch die Ereignisse am Montag dürften nun aber die Rufe nach einer Vertrauensabstimmung wieder lauter werden, analysiert David Cheetham vom Währungshändler XTB und erklärt damit den rapiden Fall des Pfundes an den Börsen am Montag. Mays Krise bedeute „Rückenwind für Boris Johnson“, glaubt der Biograph des früheren Außenministers, Andrew Gimson. Als mögliche andere Bewerber gelten auch Innenminister Sajid Javid sowie die zurückgetretenen früheren Ressortchefs Esther McVey (Soziales) und Dominic Raab (Brexit).

Johnson nutzte den vergangenen letzten Sonntag vor der Abstimmung, um seine Ablehnung des Abkommens zu bekräftigen. Die Vereinbarung mache Großbritannien zu einem „Vasallenstaat“. Man müsse Neuverhandlungen mit der EU aufnehmen und gleich einmal mit der Einbehaltung von „mindestens der Hälfte“ der vereinbarten Abschlagszahlung von 39 Milliarden Pfund drohen. Auf die BBC-Frage, ob er nicht der Mann sei, der Großbritannien „in das jetzige Chaos gestürzt“ habe, erwiderte Johnson sichtlich verärgert: „Es bricht mir das Herz, dass wir uns auf eine Zukunft beschränken lassen sollen, in der uns Brüssel weiter regiert und wir keine Mitsprache haben.“

Zustimmung

Diese Möglichkeit ist wohl nur noch eine theoretische. Seit einiger Zeit kursieren Planspiele der Unterstützer von May, die renitenten Fraktionsmitglieder doch noch „umzudrehen“. Justiz- Staatssekretär Rory Stewart hatte kürzlich erklärt, der Regierung stünden „nur wenige Tage zur Verfügung“, die renitenten Fraktionskollegen zu überzeugen, „dass dies ein guter Deal ist – und vor allem ist es der einzige, der auf dem Tisch liegt“.

Der in die Enge getriebenen Premierministerin waren nur noch zwei Argumente geblieben, um eine Mehrheit für ihren Deal zu organisieren: Sie warnte zum Einen vor einem Einzug von Labour-Chef Jeremy Corbyn in die Downing Street. „Wenn diese Vereinbarung nicht angenommen wird, betreten wir völliges Neuland“, prophezeihte sie. „Wir dürfen das Risiko nicht eingehen, dass Corbyn an die Hebel der Macht kommt.“ Für Labour erwiderte Schattenminister Jon Trickett flugs: „Wir sind bereit, ab Mittwochmorgen eine Minderheitsregierung zu stellen.“

Zum anderen betonte das May-Lager, dass ein Scheitern ihres Abkommens „das sehr reale Risiko mit sich bringen könnte, dass wir überhaupt keinen Brexit haben werden“. Genau darauf arbeiten die Befürworter einer zweiten Volksabstimmung hin. „Die Jugend wird uns niemals vergeben, wenn wir ihr nicht die Chance gaben, den Brexit rückgängig zu machen“, warnte der ehemalige Tory-Minister Michael Heseltine, mit 85 Jahren heute ein geachteter „Elder statesman“. Selbst in der Regierung findet die Idee Zustimmung: Kabinettsminister David Lidington, de facto Mays Stellvertreter, und Justizminister David Gauke sollen an solchen Plänen arbeiten. Arbeitsministerin Amber Rudd sagte: „Ich würde erneut für den Verbleib stimmen.“ Nach Umfragen würde eine knappe Mehrheit von 52 Prozent für die EU stimmen.

Widerruf

Die Möglichkeit eines Rücktritts vom Brexit gilt auf der Insel als gänzlich abwegig, auch wenn die Schwelle dafür niedriger ist als gedacht. „Ich glaube, das ist irrelevant“, sagte Außenminister Jeremy Hunt bei einem EU-Treffen in Brüssel nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes. Der hatte erklärt, aus juristischer Sicht könne Großbritannien einseitig den Rückzug vom Brexit vollziehen (siehe nebenstehenden Beitrag). Hunt verwies auf die 52 Prozent der Briten, die 2016 für den EU-Austritt gestimmt hätten und eine Verzögerung nicht verstehen würden. „Ich glaube, die Leute wären geschockt und sehr böse und das ist bestimmt nicht die Absicht der Regierung“, sagte Hunt. Der britische Umweltminister Michael Gove äußerte sich in der BBC ähnlich.

Aus Schottland, wo eine Mehrheit 2016 gegen den Austritt gestimmt hatte, kamen dagegen sofort positive Reaktionen. Regierungschefin Nicola Sturgeon sprach von einem „wichtigen Urteil“. Es ermögliche – neben Deal und einem ungeregelten Austritt – eine weitere Option.

Der schottische Europaabgeordnete Alyn Smith aus der Grünen-Fraktion erklärte, die EuGH-Entscheidung sende eine klare Botschaft an das britische Parlament, „dass es einen Ausweg aus diesem Schlamassel gibt“: Wenn Großbritannien sich umentscheide, sollte die EU das Land wieder mit offenen Armen empfangen, meinte Smith.

Der sozialdemokratische Europawahl-Spitzenkandidat Frans Timmermans lud die Briten ausdrücklich ein, den Brexit zu stoppen. Die Welt und die EU hätten sich seit dem Brexit-Votum 2016 geändert, sagte der Vizepräsident der EU-Kommission in Lissabon.

Einen teilweisen Rückzug könnte aber auch die EU antreten: Sie könnte mit der Zustimmung aller Mitgliedsstaaten eine Verschiebung des Austrittstermins ermöglichen. Jedoch erscheint auch das kaum noch realistisch.

Sebastian Borger

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