Europäischer Gerichtshof: Großbritannien darf Brexit ohne EU-Zustimmung stoppen
Der Europäische Gerichtshof legt die Schwelle für einen Rückzieher der Briten vom Brexit niedrig an. Das dürfte den Austrittsgegnern Auftrieb geben.
Großbritannien könnte den für 2019 angekündigten Brexit noch einseitig und ohne Zustimmung der übrigen EU-Länder stoppen. Dies entschied der Europäische Gerichtshof am Montag in Luxemburg. Die Schwelle für einen Rückzieher von dem in Großbritannien sehr umstrittenen EU-Austritt ist somit niedriger als gedacht. (Rechtssache C-621/18)
Das oberste schottische Zivilgericht hatte den EuGH um eine Bewertung gebeten, ob ein einseitiger Rückzieher noch möglich sei. Das Urteil fiel einen Tag vor der Abstimmung des britischen Parlaments über das von Regierungschefin Theresa May mit der Europäischen Union ausgehandelte Austrittsabkommen. Dafür zeichnet sich keine Mehrheit ab.
Die britische Regierung hatte am 29. März 2017 die übrigen EU-Staaten offiziell darüber informiert, dass das Land die EU verlassen will. Damit begann ein zweijähriges Austrittsverfahren nach Artikel 50 der EU-Verträge, das planmäßig mit dem Brexit am 29. März 2019 endet. Die EU-Kommission und der Rat der Mitgliedsländer hatten vor dem EuGH argumentiert, das Verfahren lasse sich nur mit einem einstimmigen Beschluss des Rats stoppen.
Der EuGH sieht das eindeutig anders. Ein Rückzieher der Austrittsankündigung sei „in Übereinstimmung mit den verfassungsrechtlichen Notwendigkeiten“ in Großbritannien möglich. Dann bliebe das Vereinigte Königreich unter unveränderten Bedingungen Mitglied der EU, entschieden die Luxemburger Richter.
Urteil gibt Brexit-Gegner Auftrieb
„Ich glaube, das ist irrelevant“, sagte Außenminister Jeremy Hunt bei einem EU-Treffen in Brüssel. Er verwies auf die 52 Prozent der Briten, die 2016 für den EU-Austritt gestimmt hätten und eine Verzögerung nicht verstehen würden. „Ich glaube, die Leute wären geschockt und sehr böse und das ist bestimmt nicht die Absicht der Regierung“, sagte Hunt. Der britische Umweltminister Michael Gove äußerte sich in der BBC ähnlich.
Der irische Außenminister Simon Coveney sagte: „Die Zukunft Großbritanniens ist Angelegenheit Großbritanniens.“ Doch beobachte Irland die Entwicklung in London sehr genau, da der Brexit große Folgen für sein Land habe. Coveney bekräftigte, dass die EU Nachverhandlungen ablehne: „Der Deal ist der Deal.“
Die EU-Seite reagierte verhalten, zumal nun Großbritannien das Heft des Handelns in der Hand hat. EU-Ratschef Donald Tusk nahm das Urteil zur Kenntnis, wollte aber offiziell nicht Stellung beziehen, wie es aus EU-Kreisen hieß. Tusk hat Großbritannien immer wieder angeboten, in der EU zu bleiben.
Das Urteil dürfte den Brexit-Gegnern in Großbritannien Auftrieb geben. May hatte noch am Wochenende abermals für ihr Brexit-Paket geworben. Es besteht aus einem knapp 600 Seiten starken Austrittsvertrag, der die Bedingungen der Trennung regelt. Darunter sind die Rechte der EU-Bürger in Großbritannien, aber auch finanzielle Pflichten Londons gegenüber der EU. Ergänzt wird der Vertrag durch eine rechtlich nicht bindende politische Erklärung über die künftigen Beziehungen.
Scheitert Mays Plan im Parlament, muss sie entweder noch einmal abstimmen lassen - oder es braucht einen Plan B. Aus der britischen Regierung und der Opposition mehren sich Signale, dass dann eine engere Anbindung an die EU erwogen werden könnte, zum Beispiel der Verbleib in Binnenmarkt und Zollunion. Nicht mehr undenkbar ist ein zweites Referendum - oder eben sogar ein Rückzieher vom Brexit. (dpa)