Coronahilfen und Impfen in der EU: Selbst die Brexit-Briten sind besser
Die EU versprach: Gemeinsame Aufbauhilfe, Green Deal und Impfen schneller. Doch Brüssel liefert nicht. Ein Kommentar.
Kann die EU es besser als die Nationalstaaten je einzeln? Das war das Versprechen, von der Rettung der Wirtschaft aus der Corona-Rezession bis zum Impfen: Gemeinsam gehe es schneller und effizienter.
Ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie ist die Bilanz bitter. Die EU kriegt weder das eine noch das andere hin – und dennoch übertrug der Bundestag am Donnerstag mehr Macht an Brüssel und stimmte dem 750 Milliarden Euro schweren Aufbauhilfepaket der EU verdruckst zu.
Welch ein Kontrast zu der Euphorie, mit der deutsche Pro-Europäer den Merkel-Marcon-Vorschlag im vergangenen Mai begrüßt hatten. Europa nutze die Krise als Chance, hieß es damals. Es beginne eine neue Epoche, in der die Europäer solidarisch füreinander eintreten und erstmals gemeinsame Schulden aufnehmen.
Gemeinsame Schulden als Turbo für die neue Zeit
Jetzt hat Europa den Blues. Ob die Wiederaufbauhilfe je kommt und wann, ist ungewiss. Nicht einmal in der Hälfte der EU-Länder haben die Parlamente bisher zugestimmt. In manchen drohen, wie in Polen, Regierungskoalitionen an der Frage zu zerbrechen, ob sie die gemeinsame Haftung für gemeinsame Schulden zulassen.
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In Deutschland muss das Bundesverfassungsgericht noch klären, ob die Konstruktion rechtlich zulässig ist. Denn im Notfall müssten deutsche Steuerzahler einspringen, wenn andere Staaten ihren Teil der Kredite nicht zurückzahlen: ein Verstoß gegen das „Bail-out-Verbot“.
Der Widerstand gegen die Vergemeinschaftung der Schulden hatte die AfD einst groß gemacht. Kann sie bei der Wahl 2021 erneut profitieren?
Die Briten impfen nach dem Brexit schneller als die EU
Merkels Plan, als Europakanzlerin abzutreten, die zuvor im Tandem mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die EU einen Riesenschritt vorangebracht hat, ist Makulatur. Die beiden deutschen Alphafrauen tragen Mitverantwortung dafür, dass die EU Aufgaben an sich zog, aber nicht liefert.
Auch beim Impfen kann die EU ihr Versprechen nicht halten, dass sie Impfdosen preiswerter und zügiger beschafft als jedes Land allein. Die Realität wirkt wie ein Treppenwitz. In Großbritannien sind 40 Prozent geimpft, dreimal so viele wie in Deutschland. Wer kann noch behaupten, nach dem Brexit werde es den Briten rundum schlechter gehen?
Über die USA spotteten Europäer, als Donald Trump die Pandemie nicht in den Griff bekam. Joe Biden hat das Impfen zum nationalen Kraftakt erklärt und sein Versprechen von 100 Millionen Impfungen in den ersten 100 Tagen bereits nach 58 Tagen erreicht. Inzwischen sind rund ein Drittel geimpft, mehr als doppelt so viel wie in der EU.
Im Wettbewerb mit China und USA liegt Europa zurück
Im Wettbewerb der drei globalen Wirtschaftsmächte um den schnellsten Neustart - wer geht gestärkt, wer geschwächt aus der Coronakrise hervor? - gerät Europa ins Hintertreffen. China ist bei der ökonomischen Erholung erfolgreich, weniger beim Impfen. Die USA übertrumpfen Europa in beiden Bereichen. Mitte März beschloss der Kongress 1,9 Billionen Dollar Coronahilfe; nun peilt Biden drei Billionen für die Infrastruktur an.
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Das zwingt besonders die Deutschen zum Innehalten und Nachdenken. Der Anteil derer, die den Nationalstaat für überholt halten und in der Übertragung von immer mehr Zuständigkeiten an die EU die Zukunft sehen, ist hier höher als bei den Nachbarn.
Wenig Beachtung schenken die Deutschen dem EU-Bereich, der sich bewährt hat: der Binnenmarkt. Ihm hat es Deutschland zu verdanken, dass es ökonomisch glimpflich durch die Krise kam, voran der engen Verflechtung mit Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn. Die vier haben mehr Anteil am deutschen Erfolg als China. Das Krisenmanagement „Made in Brussels“ ist hingegen ein Trauerspiel.