Eskalation zwischen Brüssel und Peking: Jetzt steht das EU-China-Abkommen in Frage
Die Europaabgeordneten Bütikofer und Gahler warnen Peking: Chinas Vorgehen treibt Europa in eine Allianz mit den Demokratien in Asien und Nordamerika.
Nach Pekings harter Reaktion auf Sanktionen, die die EU gegen Verantwortliche für die Unterdrückung der muslimischen Uiguren in China verhängt haben, steht das Investitionsschutzabkommen der EU mit China in Frage. Das so genannte CAI war ein besonderes Anliegen der Bundeskanzlerin Angela Merkel, die beim Vertragsschluss im Dezember die EU-Ratspräsidentschaft innehatte.
Die Aussichten, dass das Europäische Parlament (EP) das CAI ratifiziert, sind nach der Eskalation gering, sagt Reinhard Bütikofer, Europaabgeordneter der Grünen und Vorsitzender der China-Delegation des EP, dem Tagesspiegel. „Es ist schwer vorstellbar, dass das EP jetzt Business as usual macht, als sei nichts geschehen.“
Bütikofer und sein EP-Kollege Michael Gahler (CDU) warnen China zudem, dass es die EU mit seinem Vorgehen „in ein Bündnis mit den USA treibt“, wie Bütikofer sagt. Und in eine „Allianz der Demokratien“ von Europa über Nordamerika bis Asien, wie Gahler es formuliert. Ein Netz von Wirtschaftsabkommen der EU mit den USA, Kanada, Japan, Australien und weiteren Demokratien sei der Weg, um China zur Einhaltung der internationalen Regeln zu bringen. „Gemeinsam können wir die globalen Standards setzen. Dann kommt auch China daran nicht vorbei“, argumentiert Gahler.
Die EU sanktioniert Verletzungen der Menschenrechte
Die EU-Außenminister hatten am Montag personenbezogene Strafen gegen vier chinesische Funktionäre verhängt, denen sie schwere und systematische Menschenrechtsverletzungen gegen die muslimische Minderheit der Uiguren in der Provinz Xinjiang im Westen Chinas vorwerfen. Die vier Personen – der frühere Vizeparteichef in Xinjiang Zhu Hailun, der Parteisekretär der Provinz für Bauwesen Wang Junzheng, der regionale Funktionär Wang Mingshan sowie der Sicherheitschef der Provinz - seien verantwortlich für die Organisation von Internierungslagern für hunderttausende Uiguren.
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Sie dürfen nicht mehr in die EU einreisen. Und soweit sie Bankkonten in der EU haben, werden diese eingefroren. Es waren die ersten Sanktionen der EU gegen China seit der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking vor 32 Jahren.
Peking schlägt doppelt hart zurück
Peking antwortete mit Sanktionen gegen eine größere Zahl europäischer Abgeordneter, Diplomaten und Amtsträger, darunter die deutschen EP-Abgeordneten Bütikofer und Gahler. Gahler ist Vorsitzender der Taiwan-Freundschaftsgruppe im EP.
Betroffen sind auch die Europaabgeordneten Raphaël Glucksmann, ein französischer Sozialist, Ilhan Kyuchyuk, ein bulgarischer Liberaler, und Miriam Lexmann, eine slowakische Christdemokratin. Sie allesamt treten für die Menschenrechte ein und dürfen nun nicht mehr nach China einreisen.
Parlamentspräsident David Sassoli nannte Chinas Vorgehen „unakzeptabel“ und kündigte spürbare Konsequenzen an. „Die europäischen Institutionen lassen sich nicht einschüchtern.“
„China macht mit Europa, was Donald Trump mit China gemacht hat: doppelt so hart zurückschlagen, um die Eskalationsdominanz zu haben“, analysiert Bütikofer die Entwicklung. „Die senden zwei Signale: Jeder, der es wagt, China zu kritisieren, muss damit rechnen, bestraft zu werden. Und: Wir haben keinen Respekt vor euren demokratischen Institutionen.“ Auch er betont: „Wir lassen uns nicht einschüchtern.“
Europa kann reagieren, ohne zu eskalieren
Er ergänzt: „Wir müssen uns nicht auf diese Dynamik einlassen.“ Die EU und das EP haben viele Möglichkeiten zu reagieren, ohne zu eskalieren. „Niemand aus dem EP muss nach China reisen. Wenn Peking es Einzelnen verbietet, fährt aus Solidarität niemand.“ Wenn Peking dem Vorsitzenden der China-Delegation, also dem offiziellen Ansprechpartner des EP, das Gespräch verweigere, könne umgekehrt die EU auch chinesischen Vertretern Termine verweigern.
„Wir sollten einfach bei unserer Kritik am Bruch der Menschenrechte bleiben und sie wiederholen“, rät Bütikofer. „Das ist der beste Beweis, dass China mit seinem Druck und seinen Drohungen scheitert.“ Peking „versucht die Unterdrückung der freien Meinungsäußerung von China nach Europa zu exportieren. Das lassen wir uns nicht bieten.“
Gahler: nicht China boykottieren, sondern Übergriffe bestrafen
Michael Gahler, der andere deutsche Betroffene der chinesischen Gegensanktionen, sieht in der harten Reaktion Pekings einen Beleg, dass personenbezogene Sanktionen besser und flexibler wirken als Sanktionen gegen ganze Staaten. Er spricht von einem „europäischen Magnitsky Act“ nach dem Vorbild amerikanischer Sanktionen gegen einzelne Russen, die schwere Menschenrechtsverletzungen begehen. „Wir wollen nicht China boykottieren, und auch China möchte den Handel mit uns weiterführen. Aber wir müssen die Scheinwerfer auf das Unrecht dort richten.“
Die Internierungslager für Uiguren und die Umerziehungsprogramme verstoßen gegen die allgemeinen Menschenrechte und gegen internationale Abkommen, die China unterschrieben hat, sagt Gahler. „Sie verstoßen auch gegen chinesisches Recht.“
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Ebenso müsse die EU auf die Unterdrückung der Demokratie und Autonomie von Hongkong reagieren. Die sei „keine innere Angelegenheit Chinas“, sondern durch ein internationales Abkommen garantiert. Peking breche internationales Recht.
Auch Chinas neues Sicherheitsgesetz sei „übergriffig“. Es drohe Menschen im In- wie im Ausland mit Strafen, die sich kritisch über China äußern. „Wer in einer deutschen Uni über die Menschenrechte in China spricht, kann sanktioniert werden.“
Im Unterschied zu Bütikofer hält Gahler die Blockade des Investitionsschutzabkommens der EU mit China (CAI) im Parlament nicht für den besten Weg. „Ich tendiere zur Ratifizierung. Das CAI erleichtert europäischen Unternehmen den Zugang zum chinesischen Markt, den chinesische Unternehmen hier bereits haben. Es nützt uns also mehr als Peking.“
Auch Gahler ist freilich nicht sicher, dass das EP das Abkommen in dieser Lage noch ratifizieren wird. So oder so rät er dazu, „die System-Rivalität mit China ernst zu nehmen“ und die Arbeit der Welthandelsorganisation WTO, die US-Präsident Trump blockiert hatte, in Gang zu bringen.