"Aufstehen" vor dem Aus: "Sahra wirkte im ganzen Irrsinn völlig verloren"
Die Sammlungsbewegung der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht zerlegt sich. Bisherige Unterstützer rechnen mit der Initiatorin ab.
„Aufstehen? Ich bin raus“, schreibt Florian Kirner auf Facebook. Der Liedermacher und Kabarettist, auch bekannt als „Prinz Chaos II.“, gehörte zu denen, die die von Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht initiierte Sammlungsbewegung von der ersten Stunde an unterstützten. Doch sein Name ist seit dem Wochenende von der Homepage der Organisation verschwunden. Kirner bilanziert: „Aufstehen war eine ärgerliche und in weiten Teilen abstoßende politische Erfahrung.“
Und Kirner ist längst nicht der einzige, der am Lafontaine-Wagenknecht-Projekt verzweifelt ist. Weitere namhafte Unterstützer der Initiative geben auf, nachdem Wagenknecht selbst am vergangenen Wochenende überraschend ihren Rückzug aus der Führung der Sammlungsbewegung verkündet hatte, noch vor der Ankündigung, im Herbst auch nicht erneut als Linken-Fraktionsvorsitzende kandidieren zu wollen.
Gründer legen Arbeit im Vorstand nieder
In sich hat es auch eine gemeinsame Erklärung von elf Aktivisten, die sich bisher im Vorstand und im Arbeitsausschuss von „Aufstehen“ engagierten. Sie schreiben: „Wer Spaltungen überwinden und viele unterschiedliche Kräfte sammeln will, muss aber auch sammeln können. Diesem Anspruch ist Aufstehen nicht gerecht geworden.“ In Anspielung auch auf Wagenknecht und ihren Ehemann, den Ex-Linken-Vorsitzenden Lafontaine, heißt es, die Gründer und Initiatoren hätten sich sträflich unvorbereitet gezeigt auf die organisatorischen, politischen, finanziellen und personalpolitischen Probleme, die eine so sprunghaft anwachsende Bewegung gerade am Anfang zu bewältigen habe.
Zusammengefasst: „Damit ist die Bundesebene von Aufstehen im ersten Anlauf gescheitert.“ Zwar gebe es eine Reihe engagiert arbeitender Basisgruppen, doch auf Vorgaben der Bundesebene dürften die nicht mehr hoffen. Der erst im Januar eingesetzte vorläufige Vorstand der Organisation legte seine Arbeit nieder.
Unterzeichnet haben die Erklärung unter anderem die Alt-Grünen Antje Vollmer und Ludger Volmer, der Historiker Peter Brandt, André Brie von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der aus der SPD ausgetretene Bundestagsabgeordnete Marco Bülow und der Schriftsteller Ingo Schulze.
Die Abschiedsworte von Kirner sind noch deutlich klarer. „Niederschmetternd schlimm“ sei seine Erfahrung mit dem Projekt. Es habe eine kurze Phase gegeben, in der „Aufstehen“ das Potenzial gehabt habe, zu einer echten Massenorganisation zu werden. Verkümmert aber sei die Initiative zu einem „erweiterten Team-Sahra-Newsletter“, effektiv „auf den Sand des politischen Betruges gebaut“. Eine „alles erstickende Bürokratie“ sei aus der Linken in die Bewegung importiert worden.
"Hilfstruppen für den parteiinternen Fraktionskampf"
Weiter schreibt Kirner in Anspielung auf die innerparteilichen Konflikte in der Linken: „Es ging nie um eine Bewegung als Bewegung, sondern immer nur darum, was hilft ,uns‘ in der Linken, was nicht.“ Wagenknecht und auch die stellvertretende Fraktionschefin Sevim Dagdelen hätten sich demnach via „Aufstehen“ „Hilfstruppen für den parteiinternen Fraktionskampf“ organisiert, analysiert Kirner.
Genutzt worden sind dafür offenbar doch auch Ressourcen der Fraktion - auch wenn das Wagenknechts Ko-Chef Dietmar Bartsch bestritten hatte. Kirner schreibt, die Kontrolle über „die entscheidenden Machtmittel“, vor allem über die mehr als 160.000 E-Mail-Adressen, sei bei einer kleinen Zahl von Leuten zentralisiert worden, „die in der Regel nahe an die Büros von Sevim Dagdelen und Sahra Wagenknecht angebunden oder dort beschäftigt waren oder sind“.
Über Wagenknecht urteilt Kirner: „Was Sahra angeht, ist mir unklar, inwieweit sie all diese Machenschaften in ihrem direkten Umfeld klar hat, ob sie das unterstützt, einfach laufen lässt, nicht wahrhaben will oder ausblendet. Mir kam sie weitgehend überfordert vor.“ Persönlich sei sie „extrem nett, aber in diesem ganzen Irrsinn wirkte sie völlig verloren“.
Wagenknecht: "Aufstehen" ganz sicher nicht tot
Wagenknecht selbst will ihr Projekt noch nicht abschreiben. Für sie gilt es immer noch als Versuch, aus der politischen Sackgasse auszubrechen, in der sich das linke Lager in Deutschland aus ihrer Sicht befindet.
Während sich Wagenknechts bisherige Mitstreiter in der „Aufstehen“-Bewegung am Donnerstagabend in Berlin zur Krisensitzung trafen, warb sie bei einem öffentlichen Auftritt in der Hamburger Fabrik vor mehreren hundert Anhängern für die Idee. Sowohl SPD als auch Linke würden von einem „starken linken Lager“ profitieren, erklärte sie. Und dass „Aufstehen“ auch jene Wähler erreichen solle, die „aus lauter Wut“ die AfD wählen.
Dass auch ihr lange verbundene Genossen wie der Ex-Vorsitzende Klaus Ernst die Sammlungsbewegung als gescheitert ansehen, nimmt die linke Spitzen-Frau ungerührt zur Kenntnis. „Aufstehen“ sei „ganz sicher nicht“ tot, versichert Wagenknecht im „Spiegel“-Interview, die Bewegung werde jetzt von „vielen tausend Basisaktivisten gestaltet“. Sie bestreitet allerdings nicht, dass der große Erfolg ausgeblieben ist: „Weil die Parteien sich eingemauert haben. Mein Fehler war, dass ich es für einfacher gehalten hatte, die Unzufriedenen auch auf die Straße zu bringen.“