Verhandlungen zur Ukraine-Krise: Putin muss sich auf ein streitbareres Deutschland einstellen
Nach der Scholz-Visite in den USA und Macrons Besuch in Moskau setzt Berlin wieder auf Polen als Vertreter der Ost-Länder der EU. Eine Analyse.
Die Bundesregierung steht im Fokus der internationalen Kritik im Umgang europäischer Staaten mit der Ukrainekrise. Und sie reagiert. Immer mehr prominente SPD-Mitglieder wenden sich von Ex-Kanzler Gerhard Schröder ab wegen dessen Nähe zu Wladimir Putin und zu Gazprom.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat bei seinem Besuch in den USA zwar immer noch nicht explizit gesagt, dass ein russischer Angriff auf die Ukraine das Aus für die deutsch-russische Pipeline Nord Stream 2 bedeute. Aber indirekt hat er es konzidiert.
Gastgeber Joe Biden sprach es aus: „Dann wird es kein Nord Stream 2 mehr geben.“ Scholz betonte die Einigkeit und Geschlossenheit: „Es wird keine Maßnahmen geben, bei denen wir unterschiedlich agieren.“
Doch: Warum steht Deutschland überhaupt am Pranger? Es hat sich nicht so viel anders positioniert als andere Staaten der Europäischen Union, etwa Frankreich, Italien oder die Niederlande.
Umfrage zeigt breite Mehrheit für Härte gegen Putin
Auch die öffentliche Meinung in Deutschland unterscheidet sich nicht signifikant von der im übrigen Europa. Klare Mehrheiten in sieben EU-Staaten befürchten nach einer Umfrage des European Council on Foreign Relations (ECFR), dass Russland die Ukraine angreift.
Klare Mehrheiten wünschen, dass Nato und EU die Ukraine bei der Verteidigung ihrer Souveränität unterstützen, und sind bereit, dafür höhere Energiekosten, höhere Flüchtlingszahlen und andere Risiken zu akzeptieren. Klare Mehrheiten betrachten zudem die Abhängigkeit von russischer Energie als eine Bedrohung.
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Alle drei Aussagen wirken freilich druckverstärkend auf die Ampel. Sie kann sich nicht darauf berufen, dass die öffentliche Meinung in Deutschland eine härtere Haltung gegen Russland ablehne.
Krisenzeiten geben Anlass zu einer Vergewisserung. Welche Lösungsansätze funktionieren besser, welche schlechter? Die Wiederbelebung des Weimarer Dreiecks (Frankreich, Deutschland, Polen) deutet darauf hin, dass die deutsche Außenpolitik Anlass sieht, die Formate des Dialogs mit Russland zu korrigieren.
Berlin möchte Polen im Dialog mit Moskau wieder an der Seite haben
Es gilt jetzt als Fehler, dass keiner der EU-Staaten in Ostmitteleuropa in den vergangenen Jahren an den Ukraine-Gesprächen beteiligt war. Sie verfügen über beträchtliche Kompetenz, voran Polen als das mit Abstand größte Land der Region.
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In der orangen Revolution nach dem Versuch der moskautreuen Regierung, die Wahl 2004 zu fälschen, hatte Polens damaliger Präsident Aleksander Kwasniewski eine zentrale Vermittlerrolle gespielt. In den blutigen Unruhen am Maidan 2014, dem zentralen Platz in der Hauptstadt Kiew, erreichten die Außenminister des Weimarer Dreiecks, Frank-Walter Steinmeier, Laurent Fabius und Radoslaw Sikorski, die friedliche Wende.
Doch im Sommer 2014 wurde das Verhandlungstrio Deutschland, Frankreich Polen zu einem Duo geschrumpft. Im so genannten Normandie-Format sprechen seither nur noch Deutschland und Frankreich mit Russland und der Ukraine. Dies geschah einerseits auf Druck Moskaus. Es wollte die Polen nicht dabei haben, weil sie oft härter auftreten. Andererseits verringerten innenpolitische Krisen damals Warschaus Handlungsfähigkeit.
Das Format wechselte jedenfalls lange bevor die PiS die Wahl gewann und Polen zu einem unbequemen Partner in der EU machte. Die PiS ist auch heute kein Hinderungsgrund, den Formatwechsel in Steinmeiers Amtszeit als Außenminister zu korrigieren.
Zum Austausch über die Ukrainekrise am Dienstagabend in Berlin hatte Kanzler Olaf Scholz neben dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron auch den Polen Andrzej Duda geladen. Das Weimarer Dreieck ist zurück.
Warum steht Deutschland am Pranger, Frankreich nicht?
Die Ampelkoalition reagiert also auf die Druckverhältnisse. Aus der Regierung ist nun zu hören, Scholz wolle Putin beim Besuch in Moskau persönlich sagen, dass Nord Stream 2 bei einem Angriff nicht in Betrieb geht.
Warum konzentriert sich die internationale Kritik auf Deutschland, obwohl die meisten EU-Staaten einen ähnlichen Kurs verfolgen? Diese Frage stellen ausländische Politiker, Diplomaten und Journalisten in diesen Tagen gerne.
Waffen für die Ukraine liefern in nennenswerter Größenordnung nur die USA und Großbritannien. Polen und die baltischen Staaten in kleiner Menge. Was Deutschland tun könnte, macht keinen strategischen Unterschied. Warum also die Vehemenz der Debatte?
Zwei Erklärungen dominieren: das wirtschaftliche und politische Gewicht Deutschlands sowie seine prinzipielle und oft hochmoralische Begründung von Politik. Die Bundesrepublik ist die größte Volkswirtschaft der EU und die viertgrößte der Welt.
Was sie tut oder lässt, wird genauer beobachtet als bei anderen Ländern Europas. Unter Angela Merkel war Berlin zudem eine zentrale Schaltstelle der Russlandpolitik.
Die Deutschen überbetonen Prinzipien und Moral
Und: Deutschland hat eine Neigung, seine Haltung in Konflikten nicht flexibel und pragmatisch zu erklären, sondern grundsätzlich. Das lädt zur Überprüfung ein, ob es sich selbst an die Prinzipien hält.
Mit den Argumentationsmustern im Streit um deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine hat die Regierung Widerspruch provoziert. Deutschland liefere nicht in Spannungsgebiete? Es verkauft Waffen an Ägypten, Saudi Arabien und Israel. Es hat mitten im Krieg im Mittleren Osten kurdische Milizen bewaffnet und ausgebildet, damit die einen Massenmord an Jesiden verhindern.
Der Verweis auf die historische Verantwortung gegenüber Russland überzeugt auch nicht, sofern daraus abgeleitet wird, man dürfe potenzielle Kriegsgegner Russlands nicht bewaffnen. Mit dem Argument müsste man auch deutsche Waffen für Nato-Partner verbieten. Historische Verantwortung hat Deutschland zudem auch gegenüber der Ukraine.
Ein drittes Argument: Wenn Deutschland Waffen liefere, könne es nicht mehr vermitteln. Wenn das so wäre: Warum sucht Putin Verhandlungen mit den USA, obwohl die Kiew Waffen geben?
Der Rat der Gesprächspartner: Eine Regierung, die weniger dogmatisch agiert und argumentiert, ist weniger angreifbar und kann den Kurs leichter ändern.