Truppenverlegung, Abzug von Diplomaten, Waffenlieferung: Die Eskalation um die Ukraine erhöht den Druck auf die Ampel
Nato-Partner reagieren hart auf Putins Drohkulisse, die Bundesregierung setzt weiter auf Entspannung und zieht wachsende Kritik auf sich. Eine Analyse.
Sind dies die Anzeichen, dass ein russischer Angriff auf die Ukraine in vielen westlichen Hauptstädten als wahrscheinlich gilt? Die USA und Großbritannien ziehen Botschaftspersonal aus Kiew ab. Australien und die USA warnen ihre Bürger vor Reisen in die Region. Parallel erhöht sich der Druck auf die Bundesregierung. Enge Partner reagieren härter auf die russische Eskalation, Berlin setzt hingegen weiter auf Entspannung und handelt sich damit Kritik ein.
Schweden hatte in der vergangenen Woche seine militärische Präsenz auf der Ostseeinsel Gotland verstärkt, nachdem russische Landungsboote in der Umgebung gesichtet worden waren. Panzer rollten über die Insel.
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„Wir können einen bewaffneten Angriff auf Schweden nicht ausschließen“, sagt Verteidigungsminister Peter Hultqvist. „Schweden ist bereit, seine Souveränität und Integrität zu verteidigen – selbst zu tun, aber auch zusammen mit anderen Ländern, mit denen wir seit vielen, vielen Jahre kooperieren.“ Schweden ist nicht Nato-Mitglied.
Die Fülle der Nachrichten und die Reaktionen darauf lassen Unterschiede in der Einschätzung der Lage zwischen den Demokratien in Europa, Amerika und Asien erkennen. Sie spiegeln sich darin, wie die Regierungen über die jeweiligen Vorkehrungen zum Schutz der eigenen Bürger und Diplomaten, über Waffenlieferungen und Truppenverstärkungen diskutieren.
Rätselraten, wie weit Putin gehen wird
Sie wollen einerseits vorbereitet sein und sich nicht von Wladimir Putin überrumpeln lassen. Andererseits möchten sie nicht selbst zur Eskalation beitragen und zudem vermeiden, wie Außenministerin Annalena Baerbock beim Treffen der EU- Außenminister ausführte, dass Kriegsangst ihre Gesellschaften erfasst und die Wirtschaft und das Alltagsleben lähmt. Auch das könnte ein Ziel der psychologischen Kriegsführung Putins sein.
Über allem schwebt die Unsicherheit, auf welche Szenarien man sich überhaupt vorbereiten soll: eine begrenzte russische Invasion zur Eroberung kleinerer Gebiete mit dem Ziel, eine Landbrücke durch die Südostukraine zu der von Russland annektierten Halbinsel Krim zu schaffen oder auch nur die Kontrolle über die Wasserversorgung der Krim zu erlangen? Oder ein raumgreifender militärischer Angriff auf die Ukraine, um eine moskaufreundliche Regierung in der Hauptstadt Kiew zu installieren?
Oder sind der Truppenaufmarsch an den Grenzen der Ukraine und die Landungsboote vor Schwedens Küste vor allem russische Drohgebärden, um Druck auf die Ukraine und den Westen auszuüben, damit sie doch noch auf Putins Forderungen eingehen?
Ein Feldlazarett statt der erbetenen Schutzausrüstung
Unübersehbar wächst dabei der Druck auf die Ampelkoalition. Ihre Weigerung, der Ukraine Verteidigungswaffen zu liefern, und ihr Zögern, zumindest Schutzausrüstung wie schusssichere Westen und Helme zur Verfügung zu stellen, löst Kritik im In- und Ausland aus.
Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht und der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk tragen Wortduelle über die Medien aus. „Der Ernst der Lage verlangt von der Ampel-Regierung sofortiges Umdenken und Kursänderung in der Frage von Waffenlieferungen an die Ukraine“, verlangt Melnyk. „Waffenlieferungen wären aktuell nicht hilfreich. Das ist Konsens in der Bundesregierung“, bekräftigt Lambrecht.
Deutschland helfe, indem es die Lieferung eines Feldlazaretts finanziere, fügt Lambrecht hinzu. Es soll im Februar übergeben werden, wird aber auch nicht von Deutschland, sondern von Estland geliefert.
Harte Worte einer Grünen: "Eigensucht getarnt als Edelmut"
Diese deutsche Zurückhaltung kommentiert Marieluise Beck, die langjährige Sprecherin der Grünen für Osteuropapolitik, mit bitterbösen Worten: „Zweifelsohne ist ein Krieg am schnellsten vorbei, wenn die Angegriffenen sich nicht wehren können. Dann braucht man auch kein Feldlazarett mehr zu liefern. Dieses Deutschland ist irre: Eigensucht getarnt als Edelmut.“
Unmut unter Nato-Verbündeten ruft zudem hervor, dass die Ampel-Koalition Alliierte daran hindere, der Ukraine Waffen zu liefern. Estland möchte Haubitzen weitergeben, die ursprünglich aus DDR-Beständen stammen, weshalb Deutschland zustimmen muss. Die Bundesregierung prüft seit Tagen, das Einverständnis steht weiter aus.
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Das lässt den Kontrast zu Nato-Partnern, die der Ukraine Waffen liefern, damit sie sich verteidigen kann, umso schärfer erscheinen – darunter die USA, Großbritannien, die Baltischen Staaten und Polen. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba empört sich: Deutschland untergrabe den Zusammenhalt und ermuntere Putin.
London: Putin plant Sturz der Regierung in Kiew
Die britische Regierung warf Russland am Wochenende vor, es plane eine verdeckte Geheimdienstaktion, um die ukrainische Regierung zu stürzen und durch eine Moskau-freundliche zu ersetzen. Neuer Regierungschef solle der frühere ukrainische Abgeordnete Jewgenij Murajew werden, Chef der pro-russischen Kleinpartei „Nashi“. Sie ist nicht im Parlament vertreten.
Murajew steht allerdings auf einer russischen Sanktionsliste. Er sagte dem „Observer“, es sei unlogisch, dass ein von Russland Verbannter als potenzieller Statthalter Putins in Kiew in Frage komme.
Das britische Außenministerium nannte weitere Namen ukrainischer Politiker, die wegen der Umsturzpläne angeblich im Kontakt mit russischen Diensten seien. Nach Analyse westlicher Experten kalkuliert Moskau, eine Invasion zum Schutz einer angeblich rechtmäßigen Notregierung in Kiew sei leichter zu rechtfertigen als ein Angriff auf ein Land mit intakter Regierung.
Hoffnung auf Frieden während der Olympischen Spiele
In der undurchsichtigen Lage sucht der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn einen Hoffnungsschimmer: die Olympischen Winterspiele in Peking vom 4. bis 20. Februar.
Nach einer traditionellen Übereinkunft darf in dieser Zeit kein Krieg geführt werden. Er hoffe, das gebe allen einen Anlass, über Krieg und Frieden nachzudenken.