Personal-Mikado bei der SPD: Noch will niemand Parteichef werden
Keiner meldet sich, alle wollen gerufen werden – so ist der Stand des Bewerbungsverfahrens um die SPD-Spitze. Ein Überblick mit echten und falschen Kandidaten.
Manche vergleichen das Verhalten möglicher Kandidaten für die Führung der SPD schon mit einem Mikado-Spiel. Denn beim Kampf um den SPD-Vorsitz gilt offenbar die gleiche Regel wie beim Umgang mit den bunten Holzstäbchen: Wer ungeduldig ist, wer früh zu viel will, wer gleich zu Anfang viele Punkte machen will und mit einem Zug andere Stäbchen zum Wackeln bringt, hat schon verloren. Deshalb gilt bei der SPD in der tiefsten Krise: Keiner meldet sich, alle wollen gerufen werden.
Am Montag begann die offizielle Bewerbungsfrist für den Top-Job der angeschlagenen Partei. Bis zum Nachmittag aber war keine Bewerbung im Willy- Brandt-Haus in Berlin eingegangen. Dafür gibt es einen organisatorischen Grund: Wer sich der Entscheidung der Basis stellen will, muss vorher die Empfehlung von mindestens fünf Unterbezirken der Partei oder die eines Landesverbandes vorweisen können. Die Landesvorstände aber tagen in unterschiedlichen Abständen, in manchen Bundesländern haben schon die Schulferien angefangen.
Es gibt aber auch noch einen zweiten Grund: Die kommissarische Parteiführung hat ausdrücklich Kandidaten-Duos zur Bewerbung ermutigt, weil sie auch eine Frau an der Spitze sehen und die Arbeit auf mehrere Schultern verteilen will. Ein Duo, so die verbreitete Einschätzung in der SPD, dürfte weit bessere Chancen haben als Einzelbewerber, die offiziell ebenfalls zugelassen sind.
Doch bevor sich ein Duo findet und gemeinsam antritt, sind komplizierte Sondierungen und Abstimmungsgespräche notwendig - auch ein möglicher Grund, warum manche zwar den Kopf rausstrecken, aber sich bislang niemand offiziell darum beworben hat, später Nachfolger August Bebels und Friederich Eberts zu werden. Bis dahin bringen sich manche als Bewerberin oder Bewerber ins Gespräch, andere werden in der Partei oder den Medien als Kandidatin oder Kandidat gehandelt.
Kühnert als Kandidat der Anti-GroKo-Fraktion
Die Berliner Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan hat in mehreren Interviews, auch im Tagesspiegel, deutlich gemacht, dass sie die Partei gern führen würde, wenn sie denn genug Unterstützung bekommt. An neuen Ideen für die deutsche Sozialdemokratie mangelt es der 76-Jährigen nicht, möglicherweise aber an Erfahrung in einem politischen Spitzenamt. Manche in der SPD warnen, dass die Professorin die Herausforderungen an einen Parteivorsitzenden im Medien- und Internetzeitalter unterschätzt. Schwan will nicht alleine antreten, Juso-Chef Kevin Kühnert ist ihr Traumpartner. Sie sagt aber voraus, dass es nicht zu einer Doppelbewerbung Schwan-Kühnert kommen wird – nicht wegen ihr, sondern wegen des Juso-Chefs.
Den 29-jährigen Nachwuchspolitiker bringen solche Sozialdemokraten ins Spiel, die der großen Koalition überdrüssig sind und sich von ihrer Partei ein kompromisslos linkes Profil wünschen. Dass der Berliner ein Kommunikations-Talent ist, bestreiten auch Sozialdemokraten vom rechten Flügel nicht. Kühnert ist mitschuldig daran, dass sich die Debatte um seine Zukunft verselbstständigt hat. Schließlich könnte er die Spekulationen mit einem Satz bestätigen oder aus der Welt schaffen, was er nicht tut. Dabei gibt es kaum jemanden in der SPD-Spitze, der ihm die schwierige Aufgabe ernsthaft zutraut.
Auch Bundesfamilienministerin Franziska Giffey lässt offen, ob sie antritt. Allerdings hat die 41-jährige Berlinerin offensiv für sich geworben, indem sie in einem Interview erklärte, die SPD müsse wieder Garant dafür werden, dass Regeln eingehalten werden - genau dafür steht sie. Der oder die neue Vorsitzende müssten in der Lage sein, mit Bauch und Herz der Menschen anzusprechen, forderte sie. Giffey hat gleich mehrere Probleme: Im Willy-Brandt-Haus und in den Augen vieler Funktionäre gilt sie als Politikerin, die von der Distanz zu ihrer Partei gelebt und wenig für sie getan hat. Auch lehnt der linke Parteiflügel ihr Programm der Regeldurchsetzung ab. Ihr größtes Problem aber ist die ausstehende Entscheidung der FU Berlin über ihre Doktorarbeit, die unter Plagiatsverdacht steht. Wann die Entscheidung der Universität kommt, ist völlig offen.
Hat Außenminister Heiko Maas neben seinem Amt genug Zeit für den SPD-Vorsitz?
Giffey hat mit Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil über eine mögliche gemeinsame Kandidatur beraten. Zu seiner eigenen Zukunft sagt der Regierungschef aus Hannover, er habe keine Ambitionen, sehe seinen Platz in Niedersachsen. Zugleich gilt als sicher, dass er springen würde, wenn ihn die Bundespartei in die Pflicht nehmen wollte. Der Jurist ist Chef seines Landesverbandes, der im Vergleich mit Sozialdemokraten in anderen Ländern noch gut dasteht. Weil steht für mehr ökonomische Kompetenz und mehr Bürgernähe. Gegen ihn spricht, dass sein Profil dem von Giffey zu ähnlich ist. Das gilt nicht nur für die Verortung auf der Links- Rechts-Skala, sondern auch für die große Koalition: Beide werben für eine Fortsetzung der gemeinsamen Arbeit.
Ein zweiter Niedersachse hat am Wochenende Interesse angemeldet: Weils Innenminister Boris Pistorius. Er kennt die Basis, war bis vor sechs Jahren Oberbürgermeister von Osnabrück. Wenn Weil doch antreten würde, müsste Pistorius ihm wohl den Vortritt lassen.
Auch der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen, Thomas Kutschaty, hat schon erklärt, dass er sich rufen lassen würde, wenn es so weit ist. Der Ex-Justizminister kommt zwar aus dem stärksten SPD-Landesverband. Doch der zerfällt in mehrere Lager, so dass schwer zu eruieren ist, wie viele Unterstützer Kutschaty in NRW mobilisieren könnte.
Außenminister Heiko Maas hat sich öffentlich zu eigenen Ambitionen noch nicht geäußert, genießt es aber, im Gespräch zu sein. Auch für ihn gilt: Maas will sich rufen lassen. Das Problem des Außenministers: Er hat wenig Zeit neben seinem Amt. Und in der SPD-Spitze gilt er als Politiker, der nicht führen kann.
Auch der Fraktionschef der SPD im Landtag Rheinland-Pfalz, Alexander Schweitzer, gilt als Aspirant, hat sich aber noch nicht klar positioniert. In der Partei wird aber bezweifelt, ob Schweitzer ernsthaft antreten will. Ihm gehe es darum, sich im Kampf um die Nachfolge von Ministerpräsidentin Malu Dreyer zu profilieren, heißt es.
In einigen Medien wird auch Lars Klingbeil als Option gehandelt. Der Generalsekretär steht für einen neuen, weniger machohaften Politikstil und für Offenheit gegenüber sozialen Netzwerken und Digitalkultur. Zumindest in der übrigen Führung der SPD löst die Vorstellung, er könne gewählt werden, keine Jubelstimmung aus. Die Führung der Partei trauen ihm dort wenige zu.
Erfahrung im Kampf um die Parteispitze hat Simone Lange. Die Flensburger Oberbürgermeisterin kandidierte im April 2017 auf einem Parteitag gegen Andrea Nahles, erzielte mit 28 Prozent gleichsam aus dem Nichts einen Achtungserfolg. Die ehemalige Kriminalbeamtin, die sich als Vertreterin der linken Basis anpreist, lässt gegenwärtig offen, ob sie nochmal antritt.