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US-Senator John McCain im Oktober 2008
© Reuters/Brian Snyder

Zum Tod von John McCain: Noch im Tod an Trump gefesselt

John McCain hatte einen moralischen Kompass. Das tritt besonders hervor, seit Donald Trump Präsident ist. McCains andere Seiten verblassen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Noch im Tod kommt John McCain nicht los von Donald Trump. Das öffentliche Bild von ihm fiele anders aus, wenn nicht dieser Präsident im Weißen Haus säße. Dank Trump war McCain in den letzten Jahren seines Lebens wieder zu einer moralischen Instanz geworden: ein zäher Widersacher Donald Trumps im republikanischen Lager. Einer der Wenigen, die Prinzipien und Moral über die machtpolitische und parteipolitische Opportunität stellten.

Er verhinderte die Abwicklung von Obamacare

An John McCain scheiterte die Abwicklung von Obamacare, die Abschaffung des Grundsatzes, dass zumindest im Prinzip jeder US-Bürger eine Krankenversicherung haben sollte. Dafür hatte sich erst 2010 eine äußerst knappe Mehrheit im US-Kongress gefunden. 

Und da schließt sich ein Kreis. Auch den Beginn seiner politischen Laufbahn verdankt McCain dem Ruf moralischer Integrität. Im Vietnamkrieg hatte er als Marineflieger gedient und war im Oktober 1967 bei einem Einsatz über Hanoi abgeschossen worden. Für mehr als fünf Jahre kam er in Kriegsgefangenschaft - mit gebrochenen Knochen, die nicht richtig geschient und eingerichtet wurden. Im Lager für Kriegsgefangene, dem er den Spitznamen „Hanoi Hilton“ gab, wurde er gefoltert. Die körperliche Behinderung waren ihm lebenslang anzusehen. Seine Auftritte als Präsidentschaftskandidat 2008 gegen Barack Obama wirkten etwas hölzern, seine Arme konnte er nicht über den Kopf heben.

Vietnam-Held und Kronzeuge gegen Folter

Die Vietnamesen hatten damals die vorzeitige Entlassung angeboten - in der Hoffnung auf einen Propagandaerfolg, McCains Vater war inzwischen Oberkommandierender für die Pazifikregion. McCain lehnte ab. Der Ehrenkodex gebietet, dass Kriegsgefangene in der Reihenfolge ihrer Gefangennahme freikommen. Im März 1973 kehrte er auf Krücken heim, 36 Jahre alt, aber mit weißen Haaren.

Die persönliche Erfahrung machte McCain zu einem Gegner von Folter – und von „verschärften Verhörmethoden“ wie Präsident George W. Bush und seine Anhänger die physische Malträtierung der Gegner in ihrem Krieg gegen Terror nach den Angriff auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001 nannten. Ebenso kategorisch trat er Donald Trump entgegen, als der im Wahlkampf vorschlug, die USA sollten „Waterboarding“ zu einer zulässigen Methode in Verhören von Terrorverdächtigen erklären.

Er genießt hohen Respekt seiner Gegner

Sein Verhalten in der Kriegsgefangenschaft machte John McCain in den Augen der meisten Amerikaner zu einem Helden. Auch das politische Gegenlager zollte ihm Respekt. Einstimmig beschloss der US-Senat, dass John McCain die formalen Qualifikationen für die Präsidentschaftskandidatur erfülle – obwohl sein Geburtsort zu einem Auslegungsstreit hätte führen können. Er ist nicht in den USA geboren, sondern auf einer US-Militärbasis in der Panama-Kanal-Zone.

In der öffentlichen Erzählung seiner Krankengeschichte wurde diese Kultur eines parteiübergreifenden Grundkonsenses im Senat, der kleineren und feineren Kammer des US-Parlaments, fortgeschrieben. War sein Gehirntumor nicht eine Parallele zu dem überlebensgroßen Senator der Demokraten, Ted Kennedy, den sie den „Löwen des Senats“ genannt hatten? 

Symbol für parteiübergreifenden Wertekanon

So erinnert selbst McCains Sterben noch daran, dass die Zeiten und Sitten in den USA bis vor kurzem ganz andere waren als heute, dass andere Regeln galten, wie man mit politischen Gegnern umgeht. Und so darf man die Frage stellen, wie das Bild von John McCain ausfiele, wenn seine letzten politischen Taten nicht in Donald Trumps Präsidentschaft gefallen wären? Im Vergleich mit Trump tritt McCains moralischer Kompass hervor, seine Prinzipientreue, seine Wertschätzung für Allianzen und das westliche Wertesystem. Deshalb ehrte in die Münchner Sicherheitskonferenz mit dem Ewald-von-Kleist-Preis

Trump hatte den breiten amerikanischen Konsens, wie McCains Vietnam-Heldentum einzuordnen sei, in seinem Wahlkampf aufgekündigt. Er halte mehr von Menschen, die sich nicht gefangen nehmen lassen, hatte er gegen McCain geätzt. Und so war auch niemand überrascht, als Obamas Vizepräsident Joe Biden McCain im Mai am Krankenbett besuchte und von dort die Nachricht mitbrachte, der Todkranke wolle Trump nicht bei seiner Beerdigung sehen. 

Der Fehlgriff: Sarah Palin

Doch wo war McCains moralischer Kompass, als er Sarah Palin 2008 zu seiner Vizepräsidentschaftskandidatin machte? Damit kehrte die hasserfüllte Sprache schon damals in den Wahlkampf ein, ein Vorgeschmack auf Trump acht Jahre später. McCain trat dem entgegen, als er den Fehler bemerkte, verteidigte die Integrität seines Gegners Obama: Der sei kein Terrorist, sondern ein guter Amerikaner, hielt er einer Anhängerin entgegen, als die Palins Sprüche über Obama wiederholte.

Und wohin hätten ihn seine Prinzipientreue und sein Jähzorn geführt, wenn er Präsident geworden wäre? Hätte er einen Krieg mit Putins Russland im Georgienkonflikt 2008 riskiert? Hätte er eine militärische Intervention in Syrien nach dem Giftgaseinsatz angeordnet? Angedroht und gefordert hat er harte, auch militärische Antworten immer wieder, wenn Diktatoren nach seiner Diagnose mangelnden Respekt vor universellen Werten und vor Amerikas Militärmacht zeigten.

Der aktuelle Kontext zeichnet am Bild mit

So lehrt der Rückblick auf McCains Leben: Die öffentlichen Narrative folgen keinen absoluten Werteskalen. Sie sind vom aktuellen Kontext abhängig. Säße heute ein Amerikaner im Weißen Haus, dem man allgemein hohe moralische Maßstäbe zubilligt, fielen die Nachrufe auf John McCain womöglich etwas anders aus. Doch aus der Realität des August 2018 ist Trump nicht wegzudenken. 

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