Zum Tod von US-Senator John McCain: Ein Leben als Kämpfer
Mehr als drei Jahrzehnte stritt John McCain im US-Senat für seine Überzeugungen - oft gegen die eigene Partei. Nun hat er die Schlacht gegen den Krebs verloren.
Sein letzter Tweet datiert auf den 21. August. "Cindy und ich senden unsere Gebete zu der Familie und den Freunden von Oberstabsfeldwebel 3 Taylor J. Galvin, der bei einem Hubschrauberabsturz im Irak ums Leben kam." Es ist bezeichnend, dass sich die letzte eigene Wortmeldung von US-Senator John McCain mit dem Schicksal eines unbekannten amerikanischen Soldaten beschäftigt. Sein eigenes besiegelte er mit der Einstellung der Krebsbehandlung selbst, wie seine Familie am Freitag angekündigt hatte.
McCain war ein Kämpfer bis zuletzt. Mehr als ein Jahr lang hat sich der republikanische Senator gegen seinen aggressiven Hirntumor gestemmt, hat sein Schicksal akzeptiert und öffentlich gemacht, aber gleichzeitig nicht aufgehört, sich vehement für seine Überzeugungen und sein Land einzusetzen. Nun ist auch die allerletzte Schlacht des einstigen Kriegshelden vorbei: McCain starb am Samstagnachmittag (Ortszeit) im Alter von 81 Jahren auf seiner geliebten Hidden Valley Ranch in Arizona, nur wenige Tage vor seinem Geburtstag am 29. August. Seine Familie war bei ihm.
Ein gutes Jahr kämpfte er gegen den Krebs
Im Juli 2017 war der Krebs festgestellt worden, die Prognosen waren düster, in der Regel sterben die Betroffenen in weniger als zwei Jahren nach der Diagnose. Dennoch wollte McCain eine Chemotherapie, er wollte nicht kampflos aufgeben. Länger als von den Ärzten vorhergesagt hielt er durch, am Ende entschied er sich dann aber "mit seiner gewohnten Willensstärke", wie seine Familie in ihrer Erklärung schrieb, die Krebsbehandlung einzustellen. Dann ging es schnell.
John Sidney McCain III wurde das Kämpfen in die Wiege gelegt. Seine Mutter brachte ihn auf der US-Militärbasis Coco Solo in der Panamakanalzone auf die Welt. Sowohl sein Vater als auch sein Großvater waren Navy-Admirale, er selbst flog Jagdbomber im Auftrag der Navy. Am 26. Oktober 1967 wurde er im Vietnamkrieg abgeschossen, hier beginnt auch sein Heldenmythos: Er rettete sich mit dem Schleudersitz und schwamm mit zwei gebrochenen Armen und einem zertrümmerten Knie an Land, wo ihn dann die Nordvietnamesen festnahmen und misshandelten.
Mehr als fünf Jahre lang war er im berüchtigten Hoa-Lo-Gefängnis interniert, von den Inhaftierten zynisch "Hotel Hanoi" genannt. Dabei wurde er immer wieder gefoltert, seine Knochen wurden mehrfach gebrochen, die Folgen spürte er sein Leben lang: So konnte er seit damals die Arme nur noch bis auf die Höhe der Schultern anheben. Besonders wütend machte die Vietkongs, dass McCain eine vorzeitige Freilassung ablehnte, die sie vorschlugen, weil sein Vater damals Kommandeur der US-Pazifikflotte war. Dass er 1973 nach fünftägiger Folter schließlich ein "Geständnis" unterschrieb, ein Kriegsverbrecher zu sein, hat McCain sich selbst nie verziehen. Dass er dies später selbst öffentlich machte, spricht für ihn.
2005 war vor allem McCain es dann, der ein Folterverbot für den Auslandsgeheimdienst CIA anstrebte, das aber am Veto von Präsident George W. Bush scheiterte. Dass Donald Trump den Veteranen im Präsidentschaftswahlkampf 2015 verhöhnte und ihm absprach, ein Held zu sein, weil er gefangen genommen worden war, muss ihn schwer getroffen haben. Trump selbst wurde während des Vietnamkriegs als untauglich ausgemustert: wegen eines Fersensporns.
Seit Dezember war er nicht mehr in Washington
Überhaupt hat die mediale Auseinandersetzung mit Präsident Trump in den vergangenen Monaten die Berichterstattung über McCain dominiert, er selbst war seit Dezember 2017 nicht mehr in der Hauptstadt Washington gewesen. Vor allem der Verlauf des Treffens von Trump mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, den McCain vor anderthalb Jahren als "Mörder" und "Verbrecher" bezeichnete hatte, in Helsinki im Juli 2018 empörte den erfahrenen Außenpolitiker. Das Verhalten von Trump, der Putin nicht auf die russische Einmischung in US-Wahlkämpfe ansprach und dessen Einschätzung über die Erkenntnisse seiner eigenen Nachrichtendienste stellte, sei ein "Tiefpunkt in der Geschichte der amerikanischen Präsidentschaft". Kaum ein Tag verging seither, an dem McCain sich auf Twitter nicht kritisch über den Präsidenten äußerte.
Umgekehrt nutzte Trump seine stärkste Waffe gegen den widerspenstigen Parteifreund: Er schwieg ihn tot, zuletzt bei der Unterzeichnung des Gesetzes, mit dem der Verteidigungshaushalt für das Jahr 2019 beschlossen wurde – ein Gesetz, das den Namen seines Widersachers trägt: John S. McCain National Defense Authorization Act. Trump erwähnte McCain dabei kein einziges Mal. Ein Vorgang, der auch viele in der eigenen Partei empörte. Immerhin: Nur Minuten, nachdem McCains Tod bekannt wurde, kondolierte Trump dessen Familie: "Mein tiefstes Mitgefühl und Respekt gehen an die Familie von Senator John McCain", twitterte er. "Unsere Herzen und Gebete sind bei euch." Mehr gab es zunächst aber auch nicht.
1977 leitete McCain seine politische Karriere ein, als er Verbindungsoffizier der Navy zum US-Senat wurde, ein Posten, den schon sein Vater innehatte. Hier freundete er sich mit wichtigen Senatoren an. Für die politische Karriere überaus hilfreich war dann seine zweite Ehe mit Cindy Hensley, die aus einer einflussreichen und wohlhabenden Familie in Phoenix (Arizona) stammt. 1980 zogen sie nach Phoenix, wo McCain zwei Jahre später das erste Mal für ein politisches Amt kandidierte.
Vier Jahre lang war er Abgeordneter in Washington. Sein eigentliches Ziel war es aber, Barry Goldwater zu beerben, wenn der seinen Senatorensitz aufgeben würde. 1986 war es soweit, McCain wurde in den Senat gewählt, dem er seither angehörte. Seit 2015 war er dort Vorsitzender des Streitkräfteausschusses. Seine sechste Amtszeit als Senator begann 2016 und hätte eigentlich bis zum 3. Januar 2023 gedauert. Nach seinem Tod wird nun der Gouverneur von Arizona, der Republikaner Doug Ducey, entscheiden, wer seinen Sitz übergangsweise bis zur nächsten Wahl im November 2020 einnehmen wird – dabei wird unter anderem Cindy McCains Name genannt.
Zweimal wollte er Präsident werden
Mehr als 30 Jahre lang stritt der Republikaner McCain im Senat für seine Positionen, immer wieder auch auf Seiten ihm nahestehender Demokraten wie Ted Kennedy, wenn es ihm richtig erschien. Dass er sich selbst noch weitaus mehr zutraute, zeigte seine zweimalige Bewerbung um das höchste Staatsamt. Im innerparteilichen Nominierungswettstreit für die Präsidentschaftswahl 2000 hieß sein Gegner George W. Bush. Dessen Wahlkampfteam fuhr eine üble Schmutzkampagne gegen McCain: Ihm wurde Verrat an den Vietnam-Veteranen, ein uneheliches Kind mit einer Afroamerikanerin, Homosexualität und seiner Ehefrau Drogensucht unterstellt. Die konservativen Wähler waren verstört, McCain verlor die entscheidenden Vorwahlen in South Carolina – Bush wurde Spitzenkandidat der Republikaner und Präsident.
Bei der Wahl 2008 sicherte sich McCain dann die Nominierung seiner Partei, verlor aber gegen Barack Obama. Seine Rede, in der er die Niederlage eingestand, dem ersten afroamerikanischen Präsidenten zum Sieg gratulierte und gleichzeitig zur parteiübergreifenden Zusammenarbeit aufrief, bleibt unvergessen und wird in den sozialen Netzwerken seit Tagen vielfach geteilt. Gerade jetzt, wo sich die politischen Lager so unversöhnlich gegenüber stehen, beeindruckt diese Haltung viele.
McCain wollte nicht einfach nur ein Parteisoldat sein. So erstritt er beispielsweise die Reform der Wahlkampffinanzierung, die 2002 verabschiedet wurde, gegen den erbitterten Widerstand eingefleischter Republikaner. Im vergangenen Sommer verhinderte er im Kongress – mit frischer Operationswunde am Kopf –, dass die bei den Republikanern verhasste Gesundheitsversicherung "Obamacare" ersatzlos abgeschafft wurde. Trump tobte. Dabei lehnte McCain Obamas Gesundheitsreform, den Affordable Care Act, eigentlich selbst ab. Aber ihm war wichtig, dass Obamacare nicht einfach nur gestrichen, sondern durch eine bessere Alternative ersetzt wird. Im anderen Fall hätten bis zu 32 Millionen Amerikaner ihre Krankenversicherung verlieren können. McCain warb dafür, dass Republikaner und Demokraten gemeinsam eine gute Lösung suchen sollten.
Obama sprach ihm Mut zu
Wegen seiner Überparteilichkeit – er verstand sich als liberaler Konservativer – wurde er auch im Lager der Demokraten geachtet. Als er seine Erkrankung öffentlich machte, sprach ihm nicht zuletzt Obama Mut zu: Der Krebs wisse nicht, mit wem er sich da anlege, schrieb ihm der ehemalige Präsident. "Mach’ ihm die Hölle heiß!"
In seiner jahrzehntelangen politischen Karriere nahm McCain aber auch immer wieder umstrittene und widersprüchliche Positionen ein, gerade in der Innenpolitik. Kritiker warfen ihm daher Opportunismus vor. Er war stets ein Befürworter der Todesstrafe, bei Themen wie Abtreibung, Steuern und Einwanderung vertrat er aber mal die eine, mal die andere Haltung. Dass er einst die Tea-Party-Vertreterin Sarah Palin als Vizepräsidentschaftskandidatin auswählte, zählt zu seinen größten Fehlern: Er hat diese Bewegung unterschätzt, die letztlich zur Wahl von Donald Trump führte.
Außenpolitisch war er eher ein "Falke": So gehörte er zu den vehementesten Befürwortern des Irak-Kriegs 2003. Später wollte er den Sturz von Baschar al Assad in Syrien mit Luftangriffen beschleunigen. Er war aber auch ein überzeugter Transatlantiker und glaubte fest an den Westen und dessen Verteidigungsbündnis, die Nato. Nach Trumps Wahl tourte McCain durch verbündete Staaten, um die Partner davon zu überzeugen, dass in Washington noch genügend Leute mit Verstand säßen, die den Präsidenten einhegen könnten. Gebt uns nicht auf, Amerika ist größer als Trump, so seine Botschaft.
Richard Fontaine, Präsident des Center for a New American Security in Washington, hat für McCain von April 2004 bis September 2009 gearbeitet, also während des Irak-Kriegs und seiner gescheiterten Präsidentschaftskandidatur. Fontaine erklärt McCains teilweise interventionistischen Politikansatz mit dessen Überzeugung, dass die Vereinigten Staaten "eine Kraft des Guten" in der Welt seien, dass Amerika Verantwortung hätte, die sich nicht einfach abstreifen ließe. "Er glaubte an die Umsetzung amerikanischer Interessen, aber auch an die Verbreitung von Werten wie Demokratie und Menschenrechten. Vor allem war er aber von der Stärke der amerikanischen Führungsrolle überzeugt, und er inspirierte andere, auch daran zu glauben", sagte Fontaine dem Tagesspiegel. "Er hat uns zu einem Zeitpunkt verlassen, an dem die Republikanische Partei und ganz Washington außenpolitisch in einer völlig anderen Stimmung ist. McCains Tod kommt zu einer Zeit, in der wir eigentlich mehr wie ihn bräuchten."
In "Faith of My Fathers: A Family Memoir" hat McCain im Jahr 1999 so etwas wie sein Lebensmotto beschrieben: "Nichts im Leben ist befreiender, als für eine Sache zu kämpfen, die größer ist als man selbst." Sein Kampf ist nun vorbei.