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Am Dienstagvormittag haben Union und Grüne sondiert.
© Michael Kappeler/dpa

Wird Laschets Jamaika-Versuch sabotiert?: Neuer Sondierungs-Leak – Grüne sauer auf die Union

Alle sollen schweigen, das klappt nicht. Auch aus der Unions-Runde mit den Grünen dringen Details raus. Armin Laschets Jamaika-Träume werden erschüttert.

Armin Laschet ist noch halbwegs hoffnungsfroh, als er auf dem Euref-Campus mit Annalena Baerbock, Robert Habeck und Markus Söder das Podium zum Pressestatement betritt: Klar, es gebe Gegensätze zwischen Union und Grünen, aber die ließen sich überwinden. Die Union sei jedenfalls bereit, „bei dieser Grundidee einer Modernisierung des Landes Tempo zu machen“. Man sei bereit zu weiteren Gesprächen. Doch ob es die ob der Begleitumstände gibt? Fraglich.

In Bezug auf die Durchstechereien aus den eigentlich vertraulich tagenden Sondierungsrunden, sagt Laschet: „Das ist nicht gut, wenn es geschieht. Aber wir haben uns heute mehr mit der Frage beschäftigt: Wie kann man eigentlich diese riesigen Aufgaben, die vor uns liegen, lösen?“

Eine Jamaika-Koalition mit ihm als Kanzler ist sein letzter Rettungsanker. Als nordrhein-westfälischer Ministerpräsident und CDU-Landeschef wird ihm Hendrik Wüst nachfolgen. Und just als er später diese Nachfolge in Düsseldorf regelt, platzt den zweiten Tag in Folge ein „Bild“-Bericht hinein, der wie eine Sabotage seiner Kanzlerambitionen wirkt. Er kann nun alles verlieren.

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Armin Laschet schreitet mit Grünen-Chefin Annalena Baerbock zur Sondierung auf dem Euref-Campus.
Armin Laschet schreitet mit Grünen-Chefin Annalena Baerbock zur Sondierung auf dem Euref-Campus.
© Kay Nietfeld/dpa

Nachdem zuvor aus der Unions-Runde mit der FDP berichtet wurde, gibt es nun konkrete Details aus der Runde mit den Grünen. Deren Seite versichert: Wir waren es nicht.

Die Grünen-Spitze habe in den Gesprächen klar zum Ausdruck gebracht, dass die Erwartungshaltung der Parteibasis eine Ampel-Koalition sei, berichtete „Bild“. Zudem hätten die Grünen auf eine deutlich liberalere Migrationspolitik und eine Aufweichung des EU-Stabilitätspakts gepocht. Ferner forderten die Grünen, schon vor 2035 aus dem Verbrennungsmotor auszusteigen. Das sind alles Themen, die gerade bei der CSU auf viel Gegenwehr stoßen.

„Eh kein Bock auf regieren, ciao Kakao“

Die Reaktion nach dem Bericht folgt prompt, Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner wiederholt quasi die Worte von FDP-Vize Johannes Vogel zu den Durchstechereien aus der Unions-FDP-Runde vom Vortag: „Es gab in den letzten Tagen vier Sondierungsgespräche. Aus zweien liest und hört man nix. Aus zweien werden angebliche Gesprächsinhalte an die Medien durchgestochen. Das fällt auf, liebe Union - und es nervt!“, schreibt Kellner bei Twitter.

Die Europapolitikerin Franziska Brantner, die Teil des erweiterten Grünen-Sondierungsteams ist, meint, offensichtlich sei es einigen bei CDU/CSU wichtiger „durchzustechen, als Verantwortung zu übernehmen.“ Und Anna Peters, Bundessprecherin der Grünen Jugend, bilanziert bei Twitter: „Grüne: Vertraulichkeit; SPD: Vertraulichkeit; FDP: Vertraulichkeit; CDU: lass uns einfach alles durchstechen, eh kein Bock auf regieren, ciao Kakao.“

Warum Schweigen jetzt so wichtig ist

Im Moment ist eigentlich die schwierigste Disziplin in der Politik gefragt: Nichts sagen, zumindest ein paar Tage. 15 Verhandler bei der Union, je zehn bei FDP und Grünen, sechs bei der SPD – sie alle schauen genau aufeinander, ob sie sich an das Schweigegelübde halten.

Die Jamaika-Sondierung 2017 wirkt als warnendes Beispiel, was schief gehen kann, daher sind diese Vorsondierungen vor allem ein Test. „Vertrauen ineinander ist das wichtigste Kapital in der Politik“, bringt es der FDP-Verhandler Marco Buschmann auf den Punkt - warum er zu Inhalt und Atmosphäre schweigt. In Sachen Vertrauen und echter Geschlossenheit hat die Union gerade das größte Problem.

Aus Sicht von Grünen und FDP hat die Union damit den Vertrauenstest nicht bestanden, am Mittwochmorgen beraten beide Parteien, wie es weitergeht. Die Grünen-Führung kündigte für 10 Uhr ein Statement an.

Egal, wer dahintersteckt und wer welche Motive hat: Ein Weg nach Jamaika wird so unwahrscheinlicher und eine Ampel-Sondierung wahrscheinlicher.

[Lesen Sie auch: So hat die SPD die Wahl gewonnen (T+)]

Schon am Montagnachmittag sickerte via „Bild“-Zeitung durch, dass es in der vertraulichen Runde mit der FDP am Sonntagabend eine klare Ansage der FDP gegeben habe, dass die Union die Grünen überzeugen müsste. "Wir haben ein Interesse an Jamaika. Habt Ihr es auch? Wollt Ihr es? Habt Ihr die Nerven? Seid Ihr geschlossen?", habe die FDP-Riege um Christian Lindner die Unions-Sondierer um Armin Laschet und Markus Söder gefragt, berichtet „Bild“.

An und für sich sind es keine besonders „heißen“ Informationen - aber darum geht es nicht: Diese erste Phase der Regierungsfindung ist vor allem ein Belastungstest für Vertraulichkeit und Geschlossenheit, die zwei Grundsäulen einer erfolgreichen Regierungszusammenarbeit. Es geht nicht darum, was, sondern, ob überhaupt etwas nach draußen dringt, wenn man sich in die Hand verspricht, nichts verlässt den Raum.

Fahrt ins Ungewisse: Der Vertrauensbruch schadet Armin Laschets Jamaika-Ambitionen.
Fahrt ins Ungewisse: Der Vertrauensbruch schadet Armin Laschets Jamaika-Ambitionen.
© Leon Kuegeler/Reuters

Wer hat also ein Interesse daran? Es gibt starke Kräfte in der Union, die Laschet als CDU-Chef nach der verheerenden Niederlage lieber heute als morgen ablösen wollen. Eine Jamaika-Koalition mit ihm als Kanzler wäre seine letzte Rettung. Die Reaktionen zeigen: Es ist ein Vorfall, der nicht passieren darf, um Regierungs- und Verhandlungsfähigkeit zu demonstrieren. Allen Gegnern eines Jamaika-Bündnisses werden Argumente frei Haus geliefert. Und im Hintergrund laufen sich schon Laschets Nachfolgekandidaten warm.

Auch Lindner macht deutlich: So nicht

FDP-Vize Johannes Vogel ist Teil des FDP-Sondierungsteams. Er twitterte jene Nachricht, die Grünen-Bundesgeschäftsführer Kellner nach der eigenen Sondierungserfahrung mit der Union selbst aufgriff.

„Es gab vergangenes Wochenende drei Sondierungsgespräche, an denen ich für die @fdp auch teilgenommen habe. Aus zweien liest und hört man nix. Aus einem werden angebliche Gesprächsinhalte an die Medien durchgestochen. Das fällt auf, liebe Union - und es nervt!“, schrieb Vogel am Montagabend bei Twitter.

Will die FDP Ausreden für ein Jamaika-Aus finden?

FDP-Chef Christian Lindner retweetete die Nachricht, was zeigte, er teilte den Ärger. Die undichte Stelle bei der Union zu verorten liegt nahe, da auch von der eigenen Unions-Vorbesprechung berichtet wird. Laschet habe sich dort überzeugt gezeigt, dass er Kanzler einer Jamaika-Koalition werde. Zugleich könnte aber auch zusätzlich jemand aus der FDP gequatscht haben. Daher wird von der Unions-Seite die These gestreut, dass vielleicht ja auch die FDP aus der Runde mit der Union Dinge durchgestochen haben könnte, um gegenüber den eigenen Jamaika-Fans eine Ausrede zu haben, warum man doch lieber erstmal die Ampel ausloten möchte. Belege dafür fehlen bisher.

Dass aber vor allem Unions-Leute Laschets Operation Jamaika Schaden zufügen, macht Karin Prien deutlich, eine seiner größten Unterstützerinnen, die auch Teil des Zukunftsteams war. Die schleswig-holsteinische Bildungsministerin zeigte sich erschüttert über die eigenen Leute: „Was für eine charakterlos miese Nummer. Wer jetzt die Vertraulichkeit bricht, handelt vorsätzlich verantwortungslos und verliert jede Legitimation für die @CDU zu sprechen“, schrieb Prien bei Twitter. Wer der Maulwurf oder die Maulwürfe sein könnte(n), ist noch unklar.

Von den 15 Verhandlern sind zehn von der CDU - darunter auch Jens Spahn, der sich bereits als Laschets Nachfolger in Stellung zu bringen versucht - und fünf von der CSU, angeführt von Markus Söder.

Die Grünen erinnern an die Wahlkampfwunden

Laschets Problem ist: Bei der Union wird alles gerade vor einer anderen Folie betrachtet, hier gibt es seit Wochen Indiskretionen, die seine Autorität immer weiter schwächen. Die Union gilt nur als bedingt verhandlungsfähig und ziemlich instabil.

Es drängt sich folgender Eindruck auf: Aus der Machtmaschine Union, die sich zusammenreißt, wenn es um das Bilden einer Bundesregierung und die Macht geht, wird gerade eine Entmachtungsmaschine.

Wie soll es so für Laschet mit einer Regierungsbildung noch klappen? Zumal bei den Grünen auch die Verletzungen aus dem Wahlkampf noch nicht abgeklungen sind. So sagte der Grünen-Politiker Konstantin von Notz vor der Woche der Entscheidung in der ARD-Sendung „Anne Will“, mit der Ruchlosigkeit der Union entstehe kein Vertrauen. Bis 18 Uhr am Wahlabend sei ein Linksrutsch an die Wand gemalt und gegen die grüne Verbotspartei gewettert worden. Zwei Stunden nach Schließung der Wahllokale kam dann die Union und sagte: „Jetzt wollen wir mit der FDP und den Grünen eine Zukunftskoalition machen.“  

CSU-Chef Markus Söder hat immer wieder Laschet geschadet. Hier ist er mit Agrarministerin Julia Klöckner auf dem Weg zur Sondierung mit der FDP.
CSU-Chef Markus Söder hat immer wieder Laschet geschadet. Hier ist er mit Agrarministerin Julia Klöckner auf dem Weg zur Sondierung mit der FDP.
© AFP

Baerbocks Mahnung und die Söder-Spekulation

Es zeichnet sich ab, dass noch diese Woche eine Entscheidung fallen könnte, mit wem FDP und Grüne gemeinsam nach den Vorsondierungen in richtige Sondierungen einsteigen wollen.

Grünen-Chef Robert Habeck betonte nach den rund zweieinhalbstündigen Beratungen mit der Unions-Führung: „Natürlich ist es immer so, dass eine Regierung dann besonders gut funktioniert, wenn die Autorität innerhalb der Parteien klar und gesetzt ist.“ Dennoch würden die Grünen davon ausgehen, „dass Armin Laschet der gesetzte Kandidat der CDU fürs Kanzleramt ist“. 

Seit Tagen halten sich Spekulationen, dass die Union bei einem Scheitern von Ampel-Verhandlungen und einem folgenden Laschet-Aus bei einem Neuanlauf für Jamaika beispielsweise CSU-Chef Markus Söder als Kanzlerkandidaten vorschlagen könnte.

Ein Bundeskanzler muss nicht zugleich Mitglied des Bundestags sein. Grünen-Co-Chefin Annalena Baerbock machte mit Blick auf die Union und ein stabiles Regierungsbündnis deutlich: „Zur Verantwortung gehört Verlässlichkeit und Vertrauen.“

Wie es nun weitergeht

Letztlich geht es nun um drei Optionen: Weitere Vorgespräche mit Union und SPD, oder eine Entscheidung, lieber mit der Union in Jamaika-Sondierungen einzutreten, oder aber mit der SPD über eine Ampel zu verhandeln.

Vieles spricht nun eher für die Ampel-Sondierung - übrigens ist von der SPD-Seite um Kanzlerkandidat Olaf Scholz bisher nichts nach außen gedrungen. Die Grüne kündigten eine mögliche Entscheidung oder Empfehlung - in Absprache mit der FDP - schon bis Mittwoch an.

Dann könnten mehrere Dreier-Sondierungstreffen folgen, von drei bis vier ist die Rede. Anschließend müssten die beteiligten Parteien festlegen, ob die inhaltlichen Schnittmengen ausreichen, um in konkrete Koalitionsverhandlungen mit der Bildung von Arbeitsgruppen für einzelne Themenfelder einzutreten. Kommt es zur Aufnahme von Verhandlungen mit Ausarbeitung eines Koalitionsvertrags, dürfte es auch mit einem Bündnis klappen.

Will Kanzler werden und ist der Wahlsieger: Olaf Scholz
Will Kanzler werden und ist der Wahlsieger: Olaf Scholz
© Tobias Schwarz/AFP

Wird doch Baerbock Vizekanzlerin?

Danach müssten bei den Grünen die Mitglieder ihr grünes Licht geben, auch zur geplanten Ministerienbesetzung. Weil die SPD-Seite mit Olaf Scholz als möglichem Kanzler und die FDP mit Christian Lindner als möglichem Finanzminister zwei Männer als führende Köpfe einer solchen Koalition hätte, könnte bei den Grünen noch einmal Bewegung in die Sache kommen, ob nicht doch Annalena Baerbock statt Robert Habeck den Vizekanzlerposten bekommen sollte.

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Bei der SPD zeichnet sich ab, dass es dieses Mal nur einen Parteitag geben könnte. Zum einen hat Scholz die Erwartungen übertroffen - er braucht keine Mitgliederlegitimation, um Kanzler zu werden. Zum anderen hat er den Rückhalt der von den Mitgliedern zu den Vorsitzenden gewählten Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Zwar hat der SPD-Vize Kevin Kühnert ein erneutes Mitgliedervotum gefordert, aber dass Kühnert vorerst nicht Teil des Sondierungsteams ist, wird auch als Signal der neuen Machtverhältnisse gewertet.

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