Schwierige Jamaika-Sondierung gestartet: Die neue Einsamkeit des Armin Laschet
Merz weg, Spahn weg: Der CDU-Chef steht vor dem Aus. Er klammert sich an Jamaika, doch die Chancen schwinden. Diskutiert wird mehr über das Nachfolge-Prozedere.
Und Herr Söder, sind Sie zuversichtlich? Es kommt nur ein kleines Nicken, als der CSU-Chef mit Julia Klöckner am Gasometer in Berlin-Schöneberg vorbei in den Backsteinbau schreitet, zur ersten Sondierungsrunde der Union mit der FDP. Über 20 schwarze Limousinen parken hier, allein das ist schon eine Machtdemonstration, aber in der Union mokieren sie sich darüber, ob ein 15-köpfiges Verhandlungsteam wirklich zielführend ist. „Das ist doch lächerlich“, sagt ein CDU-Mann dazu.
An diesem Sonntag des politischen Speed-Datings – 15.30 bis 17.30 Uhr: SPD/FDP; 18 bis 20 Uhr: SPD/Grüne und 18.30 bis 21 Uhr: Union/FDP – geht es auch um die Zukunft von Armin Laschet. Ist die Union noch verhandlungsfähig oder sind die Zentrifugalkräfte zu groß? Das liegt wie Blei auf diesen Versuchen, noch ein Jamaika-Bündnis mit ihm als Kanzler zu schmieden.
Wie um neue Eintracht zu demonstrieren, kommen CDU-General Paul Ziemiak und CSU-General Markus Blume gemeinsam.
Als einer der letzten kommt Laschet, er entsteigt mit dem Chef seiner nordrhein-westfälischen Staatskanzlei der Limousine, Nathanel Liminski. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff kommt direkt von den Feiern zum Tag der Deutschen Einheit in Halle, er macht auf Zweckoptimismus: „Nach der Deutschen Einheit kann alles noch gut werden.“
CSU-General Blume betont nach dem Gespräch, bei dem Vertraulichkeit vereinbart worden ist: „Das war ein guter Abend, ein guter Start, der Lust auf mehr macht“. Und ja, auch die CSU wolle Jamaika. Dass er das extra betonen muss, spricht schon Bände. Mit der FDP gibt es die geringsten inhaltlichen Differenzen, am Dienstag spricht die Union mit den Grünen - es soll zeitnah Entscheidungen geben, ob eher Jamaika oder die Ampel konkreter verhandelt werden soll.
FDP-General Volker Wissing sieht mit der Union zwar die wenigsten Klippen, will sich aber nicht näher zum Zustand der Union äußern. Er stellt das Gespräch wesentlich nüchterner dar und lässt die Umarmungsstrategien abperlen. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak betont fast beschwörend, es gebe ein großes persönlichen Vertrauen, unglaublich große Gemeinsamkeiten. Klar sei, dass etwas Neues entstehen müsse, mit neuen Ansätzen. "Wir sind bereit, als Union uns dieser Verantwortung zu stellen."
Viele Schnittmengen aber Machtkämpfe in der CDU
Doch die Union macht gerade keine Werbung für einen Aufbruch mit einem Kanzler Laschet. Er konnte dieses Wochenende noch einmal mehr in den Abgrund blicken. Die, die ihn mit auf den Schild des CDU-Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten gehoben haben, in Erwartung lukrativer Ministerposten in der nächsten Bundesregierung, fallen ihm in den Rücken. Erst Friedrich Merz, nun sogar sein bisheriger Tandempartner, den er zum CDU-Vize erkoren hat: Jens Spahn.
Sie beide, wie auch weitere einflussreiche CDU-Politiker wie Carsten Linnemann kündigen ihm die Gefolgschaft auf - und verhandeln bereits das Prozedere der Wahl eines neuen CDU-Chefs. Er klammert sich an die Aussicht, sich als Kanzler in eine Jamaika-Koalition zu retten. Aber das wird von Tag zu Tag unwahrscheinlicher, da er seine Autorität immer weiter verliert. Wo ihn erst die CSU mir Markus Söder an der Spitze zermürbte und Olaf Scholz zum wahrscheinlichen nächsten Bundeskanzler erklärte, erlebt nun eine rasante Erosion was die Unterstützung in der CDU anbelangt. Das ist keine Werbung, um FDP und Grüne zu gewinnen.
Und so stand das erste Sondierungstreffen von CDU/CSU mit der FDP schon vor Beginn unter einem ungünstigen Stern. Auch nach Einschätzung von Unions-Politikern ist man derzeit nur bedingt verhandlungsfähig. In den ersten Umfragen nach der Wahl ist die Union auf 20 bis 21 Prozent gefallen, die SPD auf 28 Prozent gestiegen. Laut ZDF-Politbarometer wollen nur noch 24 Prozent ein Jamaika-Bündnis und 13 Prozent Laschet als Kanzler.
Es gibt zwar Gedankenspiele, dass Jamaika mit einem Kanzler Markus Söder zur Option werden könnte, wenn Ampel-Verhandlungen scheitern sollten. Das wäre verfassungsrechtlich zwar möglich, aber Söder stand nie zur Wahl – daher sollte nicht die Meinung der am Ende zu befragenden Grünen-Basis unterschätzt werden.
Merz wie auch Norbert Röttgen im Tagesspiegel-Interview umschreiben in aller Klarheit, wie tief die Probleme der Union gehen, wie sie das Gespür für die Sorgen verloren hat, vor lauter personeller Selbstbeschäftigung, die sich nun auch nach dem Wahltag weiter fortsetzt.
[Das komplette Interview lesen Sie bei Tagesspiegel Plus: Röttgen rechnet mit Laschet ab: „Es reicht nicht, nur eine Person auszuwechseln“]
Merz schreibt in einer E-Mail an seine Unterstützer im Sauerland: „Ohne starke und notfalls konfliktbereite politische Führung“ könne die CDU nicht aus dieser Krise kommen.
Es ist unschwer zu erkennen, wen Merz für so eine Aufgabe geeignet hält. Da er aber schon bei seiner Niederlage gegen Laschet bei der Bewerbung um den Parteivorsitz gegen das Partei-Establishment wetterte, dass man ihn verhindern wolle, hat er seine Meinung geändert: Er macht sich nun, wie auch Norbert Röttgen für eine Mitgliederbefragung stark. Röttgen hat so schon einmal in Nordrhein-Westfalen den CDU-Landesvorsitz gewonnen - gegen Armin Laschet. Beide hätten bei so einem Verfahren größere Chancen.
Erst wollte Merz eigentlich nur ein drittes Mal für den Vorsitz kandidieren, wenn ihm dieser angedient würde, also ohne erneute Kampfkandidatur. Da nun aber zwei Konkurrenten ebenfalls antreten könnten und Merz vor allem Jens Spahn verhindern will, setzt er - anders als früher offensichtlich - auf ein Votum der Mitglieder. In seiner Mail fragt er, ob die immer noch rund 400.000 Mitglieder der CDU weiterhin nur als Wahlhelfer genutzt werden sollen - oder mit ihren Meinungen auch ernst genommen werden: „zu Sachfragen zuerst, dann aber auch zu Personalentscheidungen?“.
Spahn will einen Sonderparteitag
Es ist interessant, dass Spahn hingegen sagt, die Entscheidung solle auf einem Sonderparteitag bis Ende Januar fallen und zwar unabhängig von der Frage, ob es der Union doch noch gelingen sollte, eine Regierung unter ihrer Führung zu bilden.
In der Partei müsse die nächste Generation „jetzt stärker sichtbar werden“, sagte der 41-Jährige der „Welt am Sonntag“ und rückte von Laschet ab: "Dass im Wahlkampf Fehler passiert sind und unser Spitzenkandidat nicht richtig gezogen hat, kann niemand leugnen." Die Entscheidung über die Kanzlerkandidatur sollen CDU und CSU laut Spahn künftig auf einem gemeinsamen Parteitag treffen.
Spahn gilt als gut vernetzt, telefoniert in diesen Tagen viel – denn droht der Gang in die Opposition, könnte der ehrgeizige Bundesgesundheitsminister tief fallen. Chef der Bundestagsfraktion ist bis mindestens Ende April 2022 Ralph Brinkhaus, auch das Amt des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten in der Nachfolge von Laschet ist vorerst nicht erreichbar für ihn, da dieser anders als ein Kanzler im Bund (der kein Bundestagsmandat braucht) ein Landtagsmandat benötigt.
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"Er ist Laschets Mann, ein Funktionärstyp"
Spahn hätte zweifelsohne größere Chancen bei einer Abstimmung durch Funktionäre und Delegierte bei einem Parteitag, weniger an der Basis: "Er ist Laschets Mann, stellvertretender Vorsitzender, ein typischer Funktionärstyp", sagt ein einflussreicher CDU-Politiker, die Widerstände gegen einen neuen CDU-Vorsitzenden Spahn würden täglich wachsen. Spahn ist nicht erst durch sein Agieren in der Corona-Pandemie umstritten; verwiesen wird nun auch auf seine Illoyalität gegenüber Laschet.
Und gerade nach dem Ignorieren der Basisstimmung bei dem Durchsetzen Laschets als Kanzlerkandidaten gegen Söder, wächst in der Union der Druck für mehr Mitgliedermitbestimmung, ähnlich wie das in der SPD nach jahrelangen Krisen zum Maßstab geworden ist.
„Wir sollten lernen, dass man wichtige Personalfragen wie eine Kanzlerkandidatur nicht mit einer Gremienmehrheit durchdrücken kann - gegen die Mehrheit der Abgeordneten, der Mitglieder, der Öffentlichkeit“, sagt Röttgen im Interview mit dem Tagesspiegel. In bestimmten Situationen halte er daher Mitgliederentscheidungen für sinnvoll. „Die können entscheiden: Will ich Merz, Laschet oder Röttgen? Will ich Söder oder Laschet?“
Auch der frühere Bundesumweltminister wird erneut für den Vorsitz gehandelt. „Ich habe immer gesagt: Wenn wir die inhaltlichen Debatten nicht führen, werden wir dafür einen sehr, sehr hohen Preis bezahlen“, sagt Röttgen, der die Partei vor dem Verlust des Volkspartei-Status sieht. „So, da sind wir jetzt. Die Erneuerung der Partei muss daher unbedingt inhaltliche, kommunikative, organisatorische und personelle Fragen zusammenbringen.“
Eine Mitgliederbefragung, um Spahn zu verhindern?
Auch Unterstützer von Merz wie Carsten Linnemann, der Mittelstands-Politiker Christian von Stetten und der Hamburger Landesvorsitzende Christoph Ploß verlangen in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, dass bei Entscheidungen in der CDU „die Meinung der Mitglieder stärker berücksichtigt werden sollten“.
Linnemann betont, falls ein Jamaika-Bündnis unter Führung der Union nicht zustandekomme und Laschet sein Amt verliere, müsse die nächste Parteiführung über eine Mitgliederbefragung bestimmt werden. Spahn dürfte es damit zunehmend schwer haben, sich mit seinem Parteitags-Plan durchzusetzen.
[Lesen Sie zudem eine Analyse zum Desaster der Union: „Ansonsten wählen wir den aufrechten Gang in die Opposition“ (T+)]
Allein schon die drei sehr unterschiedlichen Typen Merz, Spahn und Röttgen zeigen, dass der Union harte Richtungskämpfe bevorstehen, zurück zu einem konservativeren Kurs als unter Angela Merkel oder zu einem liberalen Modernisierungskurs, für den zum Beispiel Röttgen steht.
Randnotiz: Nach der Ära Angela Merkel schwingen sich bisher weiterhin nur Männer auf, die Partei zu führen und zu reformieren.
Merz betont, die Union habe auf keine der großen politischen Fragen der Gegenwart - geschweige denn der Zukunft - mehr eine überzeugende Antwort. „24,1 Prozent und Platz 2 waren vor diesem Hintergrund sogar noch ein relativ gutes Ergebnis, im Wesentlichen erreicht durch die Angst vor Rot-Grün-Rot.“ Angst vor dem politischen Gegner sei auf Dauer aber keine Basis für eine erfolgreiche Parteiarbeit. „Und da Rot-Grün-Rot jetzt keine Bedrohung mehr ist, können die Zustimmungswerte für die Union auch noch weiter fallen.“
Laschets Schicksal hängt jetzt auch an Lindner
Im Prinzip hängt das Schicksal Laschets jetzt vor allem an FDP-Chef Christian Lindner, der gerne mit Laschet als Kanzler regiert hätte. Erwartet wird eine recht zügige Entscheidung, wer mit wem Koalitionsverhandlungen aufnehmen will.
Die Union spricht nach der FDP an diesem Sonntag am Dienstag mit den Grünen. Da aber die Jamaika-Variante wegen der immer stärkeren Kritik an CDU-Chef Laschet derzeit zunehmend unrealistisch erscheint, könnten FDP und Grüne dann entscheiden, ob sie zunächst mit der SPD in Koalitionsverhandlungen eintreten wollen.
Wäre das der Fall, wäre Laschets Schicksal wohl besiegelt.
Die Parallelen zum Fall des Martin Schulz
Einer, der mit Laschet mitfühlen kann, ist Martin Schulz. Er wurde nach der Wahlniederlage 2017 auch von den eigenen Leuten zermürbt, durfte noch die große Koalition mitaushandeln, verlor dann den Parteivorsitz und wurde einfacher Abgeordneter. Er rät dem CDU-Vorsitzenden zum Aufgeben, bevor es ganz bitter wird.
„Laschet klammert sich an die Jamaika-Perspektive, weil er glaubt, das sei seine Lebensversicherung.“ Das führe zu einer Hängepartie in der Union, sagte Schulz der „Bild am Sonntag“. „Wenn es die theoretische Möglichkeit von Jamaika nicht gäbe, wäre Laschet schon von den eigenen Leuten zum Rücktritt gezwungen worden. Noch kommt keiner von seinen Feinden so richtig aus der Deckung, weil keiner der böse Bube sein will.“