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Durch regennasse Fensterscheiben - Robert Habeck, Armin Laschet, Annalena Baerbock, Markus Söder
© Kay Nietfeld/dpa

Jamaika-Sondierung zwischen Union und Grünen: Demonstrative Bescheidenheit und ein Saboteur

CDU und CSU bescheiden, die Grünen höflich konziliant - die Jamaika-Sondierung verläuft professionell. Doch irgend jemand stört massiv das Klima.

Armin Laschet lugt unter dem Schirm hervor und lächelt freundlich. Was er erwarte vom Treffen mit den Grünen? „Es regnet“, sagt Laschet nur.

Dann verschwindet der CDU-Chef im Klinkerbau auf dem Euref-Campus, in den kurz danach auch die Grünen-Delegation unter Schirmen einmarschiert.

Die zweite und vielleicht entscheidende der Jamaika-Vorsondierungsrunden startet allerdings nicht nur meteorologisch ziemlich unterkühlt. Selbst langjährige Vorkämpfer für schwarz-grüne Bündnisse stellen in Frage, ob es sich mit einer Union überhaupt zu reden lohnt, die den eigenen Kanzlerkandidaten in den letzten Tagen scheibchenweise demontiert.

Als jüngster Beleg für Chaos in der Union gelten Durchstechereien an „Bild“ aus der sonntäglichen Runde von Union und FDP. FDP-Vize Johannes Vogel hatte sich mächtig darüber erregt. Grünen-Politiker zogen nach. Das sei ein „Zeichen für interne Führungsprobleme“, kritisierte Cem Özdemir bei RTL.

„Schwer irritiert“ zeigte sich am Dienstagmorgen auch Bundesgeschäftsführer Michael Kellner. So was werfe kein gutes Licht auf die Zustände in der Union. Denn es sei ja auffällig, dass nur aus dem bisher einzigen Sondierungstreffen mit der Union etwas nach außen gedrungen sei.

Das hatte auch Vogel geschrieben. Es ist aber falsch. Aus dem Treffen zwischen SPD und FDP am Sonntag konnte man ebenfalls Details erfahren.

Allerdings standen die nicht im lautstarken Massenorgan „Bild“, sondern eher unauffällig im Bezahlabo-Newsletter der Pioneer-Crew. Wer den Beitrag in ThePioneer vom Montag nachliest, kommt um den Eindruck schwer herum, dass dort ein Freidemokrat auf die Vertraulichkeit pfiff.

Referiert werden FDP-Redebeiträge und FDP-Sichtweisen und die Bemerkung, dass die FDP-Verhandler „ruhig, aber bestimmt“ auf ihren Positionen bestanden hätten. Auf solch ein liberales Eigenlob kommt freiwillig kein Sozialdemokrat.

Steckte also auch hinter der Indiskretion aus dem Treffen mit der Union womöglich gar kein Saboteur aus der Union, der Laschet schaden wollte? Die FDP hätte jedenfalls auch ein Motiv. Sie braucht für ihre bürgerliche Klientel gute Gründe, wenn sie demnächst scharf in Richtung Ampel abbiegen wollte.

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Für Laschet würde das die Sache um nichts erfreulicher machen. Vom Premium-Partner hintergangen zu werden wäre so übel wie ein Attentäter in den eigenen Reihen.

In der Gesprächsrunde spielte das Thema dann offenkundig keine zentrale Rolle. Laschet wird später, darauf angesprochen, die Durchstechereien als „nicht schön“ bezeichnen, aber auch nicht mehr, gemessen an der Größe der Aufgaben. Grünen-Kandidaten Annalena Baerbock merkt an, „Verlässlichkeit und Vertrauen“ gehörten zur Zusammenarbeit dazu.

Doch ihr Co-Chef Robert Habeck wehrt Fragen nach dem Zustand der Union eher ab. Eine Regierung funktioniere natürlich besonders gut, wenn die internen Fragen geklärt seien. „Aber da halten wir uns komplett raus.“

Dass nach den vereinbarten zweieinhalb Stunden die vier Parteichefs vor die Mikrofone treten, ist übrigens anders als in den Vorgänger-Runden. Dort blieben die Auftritte den Generalsekretären überlassen.

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Laschet beginnt mit einer demonstrativen Geste der Bescheidenheit: „Für uns ist noch mal wichtig: Die Union hat diese Wahl nicht gewonnen“, sagt er. Für die Grünen ist das auch nicht unbedeutend; Habeck verweist auf die „Ausgangslage“ für das Treffen, dass nämlich die SPD bei der Wahl vor der Union gelegen hat.

„Trotzdem oder deshalb“ seien die Gespräche mit CDU und CSU sehr konzentriert geführt worden, berichtet der Grüne. Auch Baerbock lobt, es sei konstruktiv und geprägt von Ernsthaftigkeit zugegangen. Gemeinsame Anliegen seien Digitalisierung und ökologische Transformation, weiter auseinander lägen Union und Grüne in gesellschaftspolitischen Fragen.

Diese Gegensätze sehen natürlich auch Laschet und Markus Söder. „Es waren sehr konstruktive Gespräche, aber auch sehr ehrliche“, resümiert der CSU-Chef. Laschet spricht von einem „guten Austausch“, bei dem man in vielen Fragen an die ersten Jamaika-Verhandlungen von 2017 habe anknüpfen können.

Wenn es nach der Union geht, kann man das Anknüpfen gerne fortsetzen. Auch Söder zeigt sich nicht abgeneigt. Dass sich FDP und Union nahe stünden, habe sich am Sonntag gezeigt, aber: „Ich fand das Gespräch heute genauso oder noch spannender.“ Wenn alle bereit wären, aufeinander zuzugehen, dann könne daraus etwas werden.

Laschet betont die Breite, die ein Jamaika-Bündnis gesellschaftlich hätte. „Das müsste man vertiefen“, sagt er. „Es würde lohnen.“

Aber darüber entscheiden diesmal die beiden kleineren Kanzlermacher-Parteien. Bis Mittwoch wollen die Grünen über das weitere Vorgehen beraten und sich wohl auch noch einmal mit der FDP abstimmen. Zumindest taktisch spricht einiges dafür, dass beide Parteien sich eine Jamaika-Option offenhalten, schon als Druckmittel in Ampel-Gesprächen gegen Olaf Scholz und die SPD.

Auch dazu wollen sie jetzt noch nichts sagen. „Alles andere werden wir dann in den nächsten Zeiträumen verkünden“, sagt Baerbock.

Sie dehnt den Satz genüsslich in die Länge und schmunzelt derart dabei, dass man ihr die Genugtuung über die Schlüsselrolle deutlich ansieht. Söder übt sich ebenfalls in Demut: „Vielen Dank für den Austausch, und wir sind gespannt, wie's weiter geht.“

Wenig später kann man ahnen: Eher gar nicht.

Bei „Bild“ sind wieder angebliche Details zu lesen. Die Grünen hätten klargemacht, dass sie auf eine Ampel zusteuerten, und für die Union schwer erfüllbare Forderungen etwa zur EU-Schuldenpolitik aufgestellt.

Diesmal konnte es nicht die FDP gewesen sein. Bei den Grünen ist auch kein Motiv zu erkennen. Kellner nimmt die Beschwerde des FDP-Kollegen Vogel wortgleich auf: „Das fällt auf, liebe Union – und es nervt.“

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