Ralf Fücks über den Klimakonflikt bei Sondierungen: „Ein ökologisch-sozialliberales Bündnis wäre eine große Chance für dieses Land“
Beim Klimaschutz haben FDP und Grüne unterschiedliche Ansätze. Trotz Differenzen sieht Ralf Fücks Kompromissmöglichkeiten.
Der grüne Vordenker Ralf Fücks sieht ein ökologisch-sozialliberales Bündnis als „große Chance“. Im Interview spricht der Leiter des Zentrums Liberale Moderne über Konfliktlinien und Kompromissmöglichkeiten angesichts der laufenden Ampel-Sondierungsgespräche. Eine Art Autosuggestion des Aufbruchs könne dabei helfen, Gegensätze zu überwinden.
Herr Fücks, Sie haben lange Jahre die grüne Heinrich-Böll-Stiftung geleitet und danach das Zentrum Liberale Moderne mit ihrer Frau Marieluise Beck gegründet – wie kaum ein anderer gelten sie als liberaler Grüner. Was jahrelang als recht abwegig galt – dass Liberale und Grüne in einem Bündnis zusammenkommen – ist nun das wahrscheinlichste Resultat der kommenden Wochen und Monate?
Ein wenig enttäuscht bin ich schon vom grünen Wahlergebnis, da war noch mehr drin. Aber grüngelb ist in der Tat eine vielversprechende Achse für die neue Koalition. Auch wenn die Ampel noch nicht in trockenen Tüchern ist – ein ökologisch-sozialliberales Bündnis begreife ich als große Chance für dieses Land. Zentrale Idee – das ist auch ein Anliegen des Zentrums Liberale Moderne – sollte sein, dass Ökologie und Freiheit, Klimaschutz und Marktwirtschaft zusammengehen.
Wenn das gelingt, kann es einen Schub geben für die kommenden Jahre. Dann kann etwas gelingen, das über Deutschland hinaus als Zukunftsmodell taugt. Es wäre ein großes Glück, denn selbstverständlich ist das keinesfalls.
Was meinen Sie damit?
Die liberale Demokratie ist nicht garantiert. Auf der einen Seite haben wir die antiliberalen Bewegungen in den Demokratien westlicher Prägung. Trump war kein Betriebsunfall. Gleichzeitig gibt es seit Coronakrise eine starke Tendenz zu mehr Staat. Die Sehnsucht nach dem schützenden, vorsorgenden, aber eben auch vorschreibenden Staat ist gewachsen. Auch in der Klimapolitik ist nicht ausgemacht, wohin die Reise geht. Mehr staatlicher Dirigismus und Verbote, eine Art ökologische Planwirtschaft?
Oder finden wir einen freiheitlichen Weg, der Klimaneutralität in der gebotenen Geschwindigkeit erreicht und gleichzeitig Freiheitsräume lässt für Unternehmen und die Bürgerinnen und Bürger? Wir haben uns bisher auf Ziele und einzelne Instrumente konzentriert und die große Frage des Ordnungsrahmens für die ökologische Transformation vernachlässigt.
Die schwarz-rote Klimapolitik der vergangenen Jahre war geprägt von detaillierten Zielen für einzelne Sektoren, Förderprogramme, ein bis in kleinste Details verhandelter Kohleausstieg, der nun allerdings schon wieder zur Disposition stehen dürfte.
Genau. Ein Nachteil detaillierter Einzelregelungen ist, dass sie mit hohem Aufwand und Zeitverlust ständig angepasst werden müssen. Ein staatliche Top-Down-Steuerung folgt einem ingenieurhaften Verständnis des Umbaus einer komplexen Industriegesellschaft, das in sich logisch scheint, aber kaum zum Erfolg führen wird. Klimaneutralität erfordert nichts weniger als eine grüne industrielle Revolution. Dafür muss man eine marktwirtschaftliche Dynamik von Innovationen und Investitionen freisetzen.
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War die bisherige Klimapolitik also für die Tonne? Das scheint ein wenig harsch. Auch unter den Regierungen Merkel I bis IV sind die Emissionen deutlich gesunken.
Ein erheblicher Teil der Erfolge geht auf den europäischen Emissionshandel zurück – beileibe keine deutsche Erfindung. Es gab bisher nur wenige systemische Innovationen in der deutschen Umweltpolitik, zum Beispiel das Kreislaufwirtschaftsgesetz. Auch das EEG fällt in diese Kategorie. Es hat die Lernkurve für Solar- und Windenergie finanziert und einen Markt für erneuerbare Energien geschaffen, der enorme Kostensenkungen auf der Angebotsseite hervorgebracht hat. Inzwischen ist die Streichung der EEG-Umlage überfällig, um die Strompreise zu senken. Zentrales Instrument für die Dekarbonisierung ist der Emissionshandel.
Mit Verlaub, jetzt klingen Sie fast schon wie Christian Lindner pur, ganz ohne grüne Beimischung.
Geschenkt. Ein ambitionierter Emissionshandel ist kein klimapolitisches Larifari, sondern setzt einen verbindlichen Deckel auf die CO2-Emissionen, der sukzessive abgesenkt wird. Das ist marktwirtschaftliche Ordnungspolitik. Und ja, ich halte die Einführung eines sektorübergreifenden CO2-Marktes für einen sehr wirksamen Hebel. Er erfasst das gesamte Angebot und die gesamte Nachfrage und setzt einen Wettbewerb um die besten Lösungen in Gang.
Rund 80 Prozent der Investitionen kommen von Unternehmen. Das bedeutet im Umkehrschluss: Ohne Mobilisierung privaten Kapitals geht es nicht. Staatliche Investitionen spielen eine flankierende Rolle. Sie müssen die nötige Infrastruktur bereitstellen, Forschung und Entwicklung fördern und die Mehrkosten bei der Umstellung auf klimaneutrale Produktionsprozesse abpuffern. Ein konkretes Beispiel ist die rasche Entwicklung einer Wasserstoffökonomie.
Dafür sind die Grünen zuständig?
Die Grünen sind die treibende Kraft der ökologischen Transformation. Aber Olaf Scholz und die SPD fordern einen Klimafonds für öffentliche Investitionen, neue Stromleitungen und Unterstützung für Pionierinvestitionen der Industrie.
Na, dann läuft es ja bei Rot-Grün-Gelb fast von allein, wenn man Ihnen Glauben schenkt.
Keine Sorge – in den Koalitionsverhandlungen müssen noch eine Menge Differenzen überbrückt werden. Die staatlichen Finanzierungsbedarfe sind vermutlich das größte Problem. Weitreichende Steuersenkungen, die Rückkehr zur „schwarzen Null“ im Bundeshaushalt und eine deutliche Ausweitung öffentlicher Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Klimaschutz, das passt hinten und vorne nicht zusammen. Da wird es knirschen. Aussichtslos ist das freilich nicht.
Eine Dynamisierung der Schuldenbremse – etwa durch das Herausnehmen von Zukunftsinvestitionen - könnte einen tragbaren Kompromiss darstellen. Dafür muss man der FDP entgegenkommen, etwa durch verbesserte Abschreibungen für Forschungsausgaben und Klima-Investitionen von Unternehmen.
Was ist mit den direkten Belastungen für die Bevölkerung? Die FDP will zwar einen umfassenden Emissionshandel, spricht sich aber gleichzeitig zumindest in Teilen für einen Spritpreisdeckel aus. Ein Widerspruch?
Ja, sicher. Man kann nicht sagen, der CO2-Preis ist das zentrale Instrument, aber wenn er anfängt zu wirken, will man das verhindern. Die richtige Konsequenz ist doch eine andere: Wenn wir steigende Preise für Gas und Sprit bekommen, müssen wir finanzielle Kompensationen für einkommensschwache Haushalte sicherstellen, etwa in Form eines pauschalen „Ökobonus“. Das hat auch eine positive soziale Verteilungswirkung.
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Die Grünen sind dagegen durchgängig gut aufgestellt?
Da gibt es auch noch Klärungsbedarf. Unter dem Druck des Klimawandels und von Fridays for Future wollen vielen Grüne eine radikalere Klimapolitik. Gebote und Verbote scheinen dann das Mittel der Wahl. Aber das ist trügerisch. Wir können nicht einmal die Verbrennung von Kohle verbieten, bevor wir Alternativen der Energieversorgung haben. Auch die Radikalsten fordern nicht, Kohlekraftwerke schon morgen stilllegen, obwohl es in der Logik der Klimakatastrophe richtig wäre.
Für das globale Klima ist es unerheblich, ob das letzte deutsche Kohlekraftwerk 2030 oder 2034 die letzte Kilowattstunde erzeugt. Entscheidend ist, dass die Energiewende auch ein wirtschaftliches Erfolgsmodell wird. Nur dann bekommt sie den nötigen Rückhalt und ist auch global anschlussfähig. Unsere Rolle im Kampf gegen den Klimawandel liegt vor allem darin, Alternativen zu entwickeln, die für bald zehn Milliarden Menschen Wohlstand ohne Umweltzerstörung ermöglichen.
Tragen Charme und Energie des Neuanfangs und schicke Selfies über diese Schwierigkeiten hinweg?
Bei aller Nüchternheit von Koalitionsverhandlungen braucht es doch eine Art von Autosuggestion: Das ist ein Neuanfang, das ist ein Aufbruch, wir bringen die Republik voran und wir gehen die Dinge gemeinsam an. Das müssen die Protagonisten glauben und das muss das Publikum ihnen abnehmen. Dann kann daraus eine Dynamik entstehen, die es erleichtert, Gegensätze zu überbrücken.
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Das klingt arg psychologisierend…
Aber es ist dennoch wahr. So ist Politik – zumindest in Teilen. Dazu kommt: Der Problemdruck wächst und wächst. Eine Regierung, die noch einmal vier Jahre vor sich hindödelt, ist der Öffentlichkeit nicht mehr vermittelbar. Wir alle wissen: Der Klimawandel ist schon gefährlich nahe an einer kaum noch kontrollierbaren Eskalation. Wir hängen bei der Digitalisierung hinterher, und wir schieben die Probleme des demographischen Wandels vor uns her.
Zu glauben, dass die Bevölkerung weiteren Zeitverzug noch einmal treuherzig mitmacht, halte ich für eine gefährliche Illusion. Gefährlich für das Klima, aber auch für die Politikerinnen und Politiker, die sich ihr hingeben.
Auf was spielen Sie an? Auch die Union hat doch die Wichtigkeit des Themas verstanden. So groß ist der Unterschied zur SPD in der Klimapolitik nicht. Warum also nicht Jamaika?
Die Union hat sich zur Kenntlichkeit entstellt, um es spitz zu formulieren. Sie ist programmatisch ausgebrannt und weiß nicht mehr, wofür sie steht. Sie muss sich inhaltlich und personell neu aufstellen. Natürlich wäre es töricht, wenn FDP und Grüne ein Jamaika-Bündnis ausschließen würden, damit würden sie die SPD in den Verhandlungen stärker machen als sie ist. Aber es würde einen Aufschrei geben, wenn man die Partei, die die Wahl verloren hat, nun doch wieder ins Kanzleramt bringt. Mit Armin Laschet kann ich mir das beim besten Willen nicht mehr vorstellen. Das ist vorbei.
Und mit Söder?
Markus Söder ist extrem wandlungsfähig und wäre auch in der Lage, sich an die Spitze einer Modernisierungs-Koalition zu setzen. Die Frage ist eher: Ist das gedeckt durch die Union, wie sie leibt und lebt? Seit der Bundestagswahl haben die Sympathien für eine Ampel deutlich zugelegt, der Rückhalt für ein Jamaika-Bündnis ist gesunken. Das ist ein deutliches Signal.