Privatvorsorge über Vater Staat: Minister werben für "Deutschland-Rente"
Weil zu wenige privat fürs Alter vorsorgen, trommeln drei hessische Minister nun für eine automatische Standardabsicherung. Und anders als bei Riester-Verträgen soll daran keiner mitverdienen.
Ihre Bestandsaufnahme ist so knapp wie ernüchternd. „Betriebliche und private Altersvorsorge sind in Deutschland unterentwickelt“, resümieren die hessischen Minister für Finanzen, Soziales und Wirtschaft, Thomas Schäfer, Stefan Grüttner (beide CDU) und Tarek Al-Wazir (Grüne). Sie sind sich einig: Wenn nichts geschieht, „droht zukünftige Altersarmut“. Und sie haben einen Lösungsvorschlag: ein zusätzliches unkompliziertes Altersvorsorgeprodukt „für jedermann“, das – obwohl kapitalgedeckt – nicht von Banken und Versicherern organisiert wird, sondern vom Staat ganz ohne Gewinnerzielungsabsicht. Per Bundesratsinitiative will das Trio sein Projekt „Deutschland-Rente“ nun auf den Weg bringen.
Betriebs- und Riesterrenten reichen nicht
Aufgrund des demografischen Wandels werde der Lebensstandard vieler im Ruhestand „deutlich sinken und Altersarmut erheblich zunehmen“, warnen die Hessen. Bis 2030 soll das Standard-Rentenniveau um 20 Prozent geschrumpft sein, der gesetzlich vorgegebene Mindestsicherungssatz beträgt dann, vor Steuern, nur noch 43 Prozent. Im Gegenzug wird seit 2001 zwar zusätzliche Altersvorsorge gefördert. Doch deren Verbreitung sei „völlig unzureichend“, so die Minister. Die Lücke bei der gesetzlichen Rente lasse sich so nicht annähernd schließen.
Beispiel Betriebsrente. Bislang habe nur die Hälfte aller Beschäftigten eine Anwartschaft, in kleineren Betrieben „sogar nur jeder Vierte“. Andere Länder erreichten Verbreitungsgrade von mehr als 90 Prozent.
Ähnlich unbefriedigend die Versorgung mit Riesterrenten. Auf 30 Millionen Förderberechtigte kommen kaum mehr als 16 Millionen Verträge. „Die Sättigungsgrenze ist erreicht“, sagt der hessische Finanzminister, „da tut sich seit Jahren kaum mehr was.“ Im Gegenteil: Ein Viertel der bestehenden Verträge wird nicht mehr bedient. Und ausgerechnet Geringverdiener, die eine Zusatzrente am nötigsten hätten, riestern besonders selten.
„Der Staat fördert die Falschen“, bringt es Schäfer auf den Punkt. Und die politisch Verantwortlichen sähen zu, „wie die Inanspruchnahme von Sozialleistungen im Alter von der Ausnahme zur Regel wird“.
Zu kompliziert und zu teuer
An der Förderung kann es nicht liegen. Bei einer Familie mit zwei nach 2008 geborenen Kindern und entsprechendem Einkommen zahle der Staat bis zu 93 Prozent des Riesterbeitrags, rechnen die Minister vor. Entscheidend sei anderes: Viele der offerierten Riester-Produkte seien zu kompliziert und „zum Teil völlig überteuert“. Die „berechtigte öffentliche Kritik“ habe die Bürger „stark verunsichert“. Gerade junge Menschen scheuten daher vor Vertragsabschlüssen zurück. Und Geringverdiener sehen wenig Sinn darin, sich Riesterbeiträge vom Mund abzusparen, wenn ihnen die dadurch erzielten Zusatzeinkünfte im Alter wieder von der Grundsicherung abgezogen werden.
Bei Betriebsrenten gibt es noch ein anderes Ärgernis. Durch die Regelung, darauf in voller Höhe Krankenkassenbeiträge abführen zu müssen, verringern sich die Auszahlungsbeträge ganz erheblich. Vor allem aber bekommen Beschäftigte in kleinen Betrieben nur selten solche Entgeltumwandlungen angeboten. Ihren Chefs sind solche Langzeitverpflichtungen oft nicht geheuer. Zu kompliziert, zu hohe Verwaltungskosten, zu viele Haftungsrisiken.
„Sanfter Zwang“ soll helfen
Die Deutschland-Rente wäre weniger kompliziert als die bisherigen Vorsorgeprodukte. Und womöglich auch renditestärker. Schließlich gäbe es bei einem einfachen Standardprodukt, das der Staat auf Selbstkostenbasis organisiert, keinen Geldabfluss mehr an Makler und Fondsverwalter, die bisher an der privaten Altersvorsorge kräftig mitverdienen. Jeder könnte darauf vertrauen, keinem überteuerten Angebot aufzusitzen.
Schon aufgrund all dessen wäre mit einer höheren Verbreitung zu rechnen. Hinzukommen muss aus der Sicht der Minister aber noch etwas, das sie als „sanften Zwang“ bezeichnen: Bei der „Deutschland- Rente“ wäre jeder dabei und bekäme seine Beiträge automatisch vom Arbeitgeber abgebucht – es sei denn, er entscheidet sich aktiv dagegen.
„Nur durch eine Opting-Out-Regelung lässt sich die Quote steigern“, sagt Schäfer. Der ebenso aufwändige wie abschreckende Akt des Kümmerns, Auswählens und Entscheidens müsse wegfallen, er halte zu viele vom Abschluss einer privaten Altersvorsorge ab.
Vom Markt drängen wolle man keinen der bisherigen Anbieter, versichern die Minister. Die „Deutschland-Rente“ solle ja nicht gesondert subventioniert werden. Bei Förderbeträgen und Arbeitgeber-Zuzahlungen werde sie sich nicht von den gängigen Riester- oder Betriebsrenten unterscheiden. Es gehe schlicht um „mehr Wettbewerb für bessere Produkte“, sagt Schäfer.
Ob sich am Ende dann jeder zusatzversichern muss oder ob man auch ganz ohne bleiben darf, lassen die Deutschlandrenten-Erfinder offen. Ebenso die Beitragshöhe. Wichtig sei es, niemanden mit den Kosten zu überfordern.
Norwegischer Staatsfonds als Vorbild
Das Einsammeln der Beiträge könne die gesetzliche Rentenversicherung übernehmen, meinen die Minister. Das verhindere zusätzlichen Aufwand für die Arbeitgeber. Die Verwaltung sei dann einer unabhängigen Organisation zu übertragen, die vor politischem Zugriff streng geschützt sein müsse. Angelegt sehen wollen die Initiatoren das Geld dann möglichst breit und vor allem in Aktien, da dies langfristig höhere Renditen erwarten lasse. Auf diese Weise lasse sich vielleicht auch der „Aktienphobie“ der Deutschen begegnen und mehr Kapital für junge Unternehmen requirieren, hofft Schäfer.
Als Vorbild nennen die Minister den norwegischen Staatsfonds, der seit seiner Gründung 1997 eine Durchschnittsrendite von mehr als fünf Prozent erzielt. Mit derzeit etwa 775 Milliarden Euro ist er der größte Fonds der Welt.
Bundesratsinitiative im nächsten Jahr
Bei seinen Finanzministerkollegen stoße das Konzept „eher auf neugieriges Nachfragen als auf Ablehnung“, berichtet Schäfer. Missfällig äußerte sich bisher nur die Versicherungswirtschaft. Es sei keineswegs erwiesen, dass ein staatlich verwalteter Fonds kostengünstiger sei als marktwirtschaftliche Angebote, gab deren Gesamtverband zu bedenken.
Der Rentenexperte der Unionsfraktion im Bundestag, Peter Weiß, ließ sich von der „Frankfurter Allgemeinen“ mit dem Kommentar zititieren, die Idee eines einfachen Musterprodukts zur Privatvorsorge sei ein „im Grundsatz interessanter Vorschlag“. Die SPD-Expertin Katja Mast lobte den Versuch, „eine marktferne und gemeinwohlorientierte Anlagemöglichkeit zu schaffen“. Die Grünen können sich vorstellen, die Idee aus Hessen in ihr neues Rentenkonzept einfließen zu lassen. Und die Verbraucherzentralen haben auch schon applaudiert.
Dass die Sache schnell realisiert werden könnte, ist aber unwahrscheinlich. Vorrangig wollen die Regierenden jetzt erst mal die Betriebsrenten attraktiver machen. Die Initiatoren wären zufrieden, wenn ihr Vorschlag in den nächsten Monaten kräftig debattiert wird. 2017 wollen sie ihn per Bundesratsinitiative auf den Weg bringen.
Ob der Bundestag im Wahljahr noch die Kraft zur Umsetzung habe, sei ungewiss, sagt Schäfer. Aber womöglich ist die schwarz-grüne Idee ja auch ein Signal für die Zeit danach. „Wir haben jedenfalls schon mal bewiesen“, sagt der CDU-Minister, „dass wir uns sozialpolitisch auf gemeinsame Projekte verständigen können.“
Rainer Woratschka