Altersvorsorge vom Chef: Worauf es bei der Betriebsrente ankommt
Die Niedrigzinsen werden für die Betriebsrente zur Belastungsprobe. Ohnehin lohnt sie sich nicht für jeden.
Die Zahlen sind erschreckend. Wer 35 Jahre lang arbeitet und dabei 2500 Euro brutto verdient, bekommt im Alter gerade einmal knapp 700 Euro Rente – nicht viel mehr als die Grundsicherung. Bereits ab 2030 wird dieses Szenario Realität sein, wenn das Rentenniveau von heute 51 auf dann 43 Prozent abgesunken ist. Das zeigen Prognosen des Bundesarbeitsministeriums. Die Folge: Wer im Alter nicht in die Armut rutschen will, darf sich nicht mehr allein auf die gesetzliche Rente verlassen. Neben der privaten Altersvorsorge spielt dabei die Betriebsrente eine wichtige Rolle: Arbeitnehmer legen jeden Monat einen Teil ihres Gehalts fürs Alter zurück. Im besten Fall zahlt das Unternehmen ihnen dazu einen Zuschuss.
Das Grundprinzip klingt verlockend. Denn im Idealfall profitiert der Arbeitnehmer ebenso wie die Firma. Angestellte müssen auf die Beiträge zur Betriebsrente keine Steuern und Sozialabgaben zahlen. Die Unternehmen können sich dank Betriebsrente als attraktiver Arbeitgeber präsentieren und müssen weniger Lohnnebenkosten zahlen. Betriebswirte nennen das eine Win-win-Situation. Trotzdem ist die betriebliche Altersvorsorge in Deutschland längst nicht so stark verbreitet, wie die Politik sich das wünschen würde. Gerade einmal 60 Prozent der Angestellten haben einen solchen Sparvertrag fürs Alter.
Denn das System ist nicht ohne Macken. Aktuell sind es vor allem die niedrigen Zinsen, die die Betriebsrente für Unternehmen zu einer Belastung werden lassen. Hinzu kommt, dass die Anreize nicht richtig gesetzt sind: So lohnt sich die Betriebsrente aufgrund der steuerlichen Behandlung im Alter derzeit tatsächlich nicht für jeden.
Warum Firmen Probleme bekommen
Die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) stellt das Modell der Betriebsrente auf den Kopf. Die meisten bieten eine betriebliche Altersvorsorge als sogenannte Direktzusage an: Das heißt, die Unternehmen bilden Rücklagen, um später die Betriebsrente auszahlen zu können. Sie kümmern sich also selbst um die Anlage der Gelder – statt diese Aufgabe auf eine Pensionskasse, einen Versicherungskonzern, einen Fondsanbieter oder eine Unterstützungskasse zu übertragen (siehe Kasten). Das Problem ist nur: Eine lang anhaltende Phase niedriger Zinsen ist in diesem System nicht vorgesehen. Fallen die Zinsen, müssen die Unternehmen einen immer größeren Teil für die Renten zur Seite legen.
Das steckt dahinter, wenn Firmen bei ihren Bilanzpressekonferenzen von den „hohen Rückstellungen für Pensionen“ sprechen, die ihr Ergebnis belasten. Noch können die meisten Unternehmen das einigermaßen verkraften. Doch Experten warnen bereits vor einer Welle von Firmenpleiten.
Wie ernst die Lage ist, zeigt der Stresstest der Europäischen Versicherungsaufsicht (Eiopa). Die Kontrolleure haben kürzlich durchgerechnet, wie sich die betriebliche Altersvorsorge entwickelt. Das Ergebnis: Im schlimmsten Fall (wenn die Zinsen weiter fallen und die Preise steigen) klafft in den europäischen Pensionskassen eine Lücke von 773 Milliarden Euro. Selbst wenn alles bleibt, wie es ist, fehlen noch immer 428 Milliarden Euro, um alle Verpflichtungen zu erfüllen, meinen die Aufseher.
Betroffen sind insbesondere Unternehmen, die ihren Mitarbeitern – wie in der Vergangenheit üblich – feste Zusagen für die Rentenhöhe gemacht haben: Sie wissen derzeit einfach nicht, wie sie sie erwirtschaften sollen. In manch einem Fall eskalierte dieser Streit bereits – zum Beispiel bei der Lufthansa, wo der Zwist mit den Angestellten über die Betriebsrenten ein Grund für die vielen Streiks im vergangenen Jahr war.
Wie Firmen und Politik reagieren
Die Folge dieser Entwicklung: Die Unternehmen passen ihre Modelle für die Betriebsrente an. Statt eine feste Rente zu versprechen, legen sie nur noch die Höhe ihrer Beiträge fest. Das Risiko, wie sich Zinsen und Kurse entwickeln, tragen dann die Arbeitnehmer. Einige Großkonzerne sind diesen Schritt bereits gegangen. Siemens sagt zum Beispiel nur noch eine Verzinsung für die betriebliche Altersvorsorge zu, die sich am Garantiezins für Lebensversicherungen orientiert (derzeit liegt er gerade einmal bei 1,25 Prozent). Auch wer bei der Deutschen Bank anfängt, bekommt nur noch eine Betriebsrente, deren Verzinsung dem Marktniveau entspricht. Für die Angestellten hat das einen großen Nachteil: Sie können kaum absehen, wie hoch ihre Betriebsrente später ausfallen wird.
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) will das Problem mit einer Reform in den Griff bekommen. Geht es nach ihr, sollen Arbeitgeber und Tarifpartner künftig gemeinsam Pensionskassen gründen. Die Ministerin nennt das ihr „Sozialpartnermodell“. Für die Unternehmen hätte es den Vorteil, dass sie aus der Haftung entlassen würden. Sie müssten dann zwar weiter ihre zugesagten Beiträge zur Betriebsrente leisten, würden aber nicht mehr das Kapitalmarktrisiko tragen. Könnte die Pensionskasse die zugesagten Renten nicht mehr leisten, würde nicht das Unternehmen, sondern eine Sicherungseinrichtung einspringen. Das soll vor allem für kleine Firmen die Betriebsrente attraktiver machen. Die engere Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften soll zudem helfen, das Modell bei Angestellten beliebter zu machen.
Vollständig überzeugt sind von diesem Modell bislang allerdings weder Gewerkschaften noch Arbeitgeber. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fürchtet den „Teilrückzug von Arbeitgebern aus der Verantwortung für die betriebliche Altersversorgung“. Und auch bei der Bundesvereinigung der Arbeitgeber (BDA) geht man davon aus, dass es dann weniger betriebseigene Rentensysteme geben wird – dabei sind die gerade für die Arbeitnehmer attraktiv.
Wer im Nachteil ist
Zudem würde die Reform viele Fehlanreize nicht beheben, kritisiert Klaus Stiefermann, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersvorsorge. Denn in ihrer jetzigen Form lohnt sich die Betriebsrente längst nicht für jeden. So stehen zum Beispiel Alleinerziehende mit einem guten Riester-Vertrag bei voller Förderung nach Ansicht der Stiftung Warentest besser da als mit einer Betriebsrente, weil sie fürs Riestern eine Kinderzulage bekommen.
Auch Geringverdiener fahren in der Regel mit der Riester-Rente besser. Denn anders als bei einer privaten Altersvorsorge müssen Verbraucher auf die betrieblichen Rentenzahlungen im Alter Krankenversicherungsbeiträge zahlen – und zwar sowohl den Arbeitnehmer- als auch den Arbeitgeberanteil. Fällig werden diese Beiträge, sobald die monatliche Betriebsrente einen bestimmten Betrag übersteigt (2015 lag die Grenze bei 141,75 Euro). Doch gerade bei Geringverdienern fällt diese Zusatzbelastung ins Gewicht: Im Zweifel kann dabei sogar die gesamte Rendite draufgehen. Das heißt: Der Rentner hätte das Geld ebenso gut unter die Matratze legen können.
Hinzu kommt, dass die Betriebsrente im Alter auf die Grundsicherung angerechnet wird. Das heißt: Wer im Alter nur eine sehr geringe gesetzliche Rente zu erwarten hat, kann das Geld lieber heute ausgeben, als es für später zurückzulegen. „Diese Fehlanreize führen dazu, dass die Betriebsrente für Niedrigverdiener heute wenig attraktiv ist“, sagt Stiefermann. Dabei bräuchte gerade diese Gruppe die Möglichkeit, früh Geld fürs Alter zurückzulegen.
Arbeitsministerin Nahles könnte allerdings noch nachbessern. Um Fehler auszumerzen, hat sie bereits ein Gutachten in Auftrag gegeben, das in Kürze vorgelegt werden soll. Möglicherweise passt sie ihren Vorschlag dann noch an. Bis Mai will Nahles sich mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) auf eine Reform der Betriebsrente verständigen.
Was man tun sollte
Vorerst bleibt Arbeitnehmern nur, genau nachzurechnen. Beteiligt sich der Chef an der Betriebsrente, lohnt sie sich in der Regel für den Mitarbeiter. So kann ein 35-Jähriger, der 54 000 Euro netto verdient und 20 Prozent Zuschuss zur Betriebsrente vom Chef erhält, in 28 Rentenjahren insgesamt sogar 10.000 Euro mehr erhalten als mit einem Riester-Vertrag. Das zeigt eine Beispielrechnung des Verbraucherportals „Finanztip“. Wie bei anderen Vorsorgeprodukten sollten Arbeitnehmer aber auch bei der Betriebsrente auf die Höhe der Kosten achten.
Oft können Angestellte die Betriebsrente noch erweitern – etwa um einen Hinterbliebenenschutz oder eine Berufsunfähigkeitsversicherung. Nach Ansicht der Stiftung Warentest ist es allerdings oft besser, darauf zu verzichten und das extra über eine private Versicherung zu regeln. Denn sonst schmälern die Zusatzleistungen die Altersrente. Eine Berufsunfähigkeitsversicherung sollten Arbeitnehmer nur dann integrieren, wenn sie bei privaten Anbietern keinen günstigen Vertrag bekommen.
Carla Neuhaus