Regierungserklärung der Kanzlerin: Merkel sieht noch Chancen für einen Brexit-Vertrag
In ihrer Regierungserklärung zeigt die Kanzlerin vor dem Start des EU-Gipfels beim Thema Brexit hoffnungsvoll. Pessimistischer ist Merkel bei der Migration.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat im Bundestag eine Regierungserklärung zum anstehenden Rat der Staats- und Regierungschefs abgegeben. Der EU-Gipfel beginnt am Mittwoch in Brüssel und beschäftigt sich unter anderem mit dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union. Merkel sagte, in den letzten Wochen und Monaten hätten beide Seiten intensiv miteinander verhandelt. Sie verwies auf die Schätzung von EU-Verhandlungsführer Barnier, wonach 90 Prozent des Textes eines Austrittsabkommens stehen würden.
Ungeklärt sei aber, so Merkel, nach wie vor die Zukunft der Grenze zwischen Irland und Nordirland - und damit die Zukunft des europäischen Binnenmarktes sowie der Erhalt des Karfreitagsabkommens. "Jeder, der schon einmal internationale Verhandlungen geführt hat, der weiß, dass das Schwierigste bekanntermaßen zum Schluss kommt." Und daher, so fügte Merkel an, sei es für ein Brexit-Abkommen auch noch nicht zu spät: "Die Chance, ein tragfähiges Austrittsabkommen hinzubekommen, ist nach wie vor da."
Sie wünsche sich, dass Großbritannien auch nach seinem Austritt ein enger und vertrauensvoller Partner Europas bleibe. Allerdings gehöre es auch zu ihrer Verantwortung, dass sich die Bundesregierung auf alle Szenarien vorbereite - inklusive eines ungeregelten Austritt Großbritanniens. Die Bundesregierung habe daher begonnen, sich mit den entsprechenden Fragen zu befassen - etwa, wie in Deutschland lebende britische Staatsbürger in Zukunft zu behandeln seien oder wie Zoll und Steuerbehörden auf den Austritt vorbereitet werden können.
Verteilung von Flüchtlingen bleibt "ein ungelöstes Thema"
Zum Thema Migration sagte Merkel, viele Bürger setzten auf europäische Lösungen und nicht auf Alleingänge. Daher werde im Kreis der Staats- und Regierungschefs über diverse Maßnahmen gesprochen werden, vom Kampf gegen Schleuser über eine bessere Vernetzung von Europol bis hin zu einem gestärkten Mandat für die Grenzschutzagentur Frontex. Über die gerechte Verteilung von Migranten auf die Staaten der EU werde es allerdings keine Entscheidung geben: "Das bleibt ein ungelöstes Thema", so die Bundeskanzlerin.
Mit Blick auf die Europawahl im kommenden Jahr sagte Merkel weiter, die Staats- und Regierungschefs wollten sich über Maßnahmen austauschen, diese Wahlen vor Beeinflussung von innen und außen zu schützen. Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit zeigten, dass demokratische Willensäußerungen „durch gezielte Desinformationskampagnen, Cyberangriffe oder Datenmissbrauch allzu leicht verfälscht werden können“, sagte Merkel. "Europa ist nicht nur entschlossen, sondern zunehmend auch in der Lage, das Freiheits-und Sicherheitsversprechen der Europäischen Union zu gewährleisten."
Die EU arbeite daher daran, etwa den Missbrauch persönlicher Daten aus sozialen Netzwerken im Wahlkampf zu verhindern. Es werde darum gehen, in letzter Konsequenz auch über Sanktionen gegen soziale Netzwerke nachzudenken. Außerdem gehe es um Leitlinien für Parteien, die in ihren Kampagnen „aktiv Desinformation“ betrieben. "Wer sich nicht an die Spielregeln hält, kann nicht erwarten, von der Parteienfinanzierung zu profitieren. Auch das ist wehrhafte Demokratie", so Merkel. In den Reihen der AfD-Abgeordneten entsteht daraufhin Geraune. Und die Kanzlerin legt nach: "Fühlt sich da jemand angesprochen?"
Zum Abschluss ihrer Rede ging Merkel auch auf dem ASEM-Gipfel ein, der sich an den EU-Gipfel ansteht. Dieses Treffen von 51 Staaten sei ein "bewährtes Forum für den Austausch zwischen Asien und Europa". Ohne die Politik von US-Präsident Trump direkt zu erwähnen fuhr Merkel fort, dieses Treffen sei zudem ein "Signal für multilaterale Zusammenarbeit". Sie kündigte an, am Rande des Gipfels ein Freihandelsabkommen mit Singapur unterzeichnen zu wollen.
Nahles: "Wir brauchen mehr Europa, und zwar jetzt"
Im Anschluss sprach sich SPD-Parteichefin Andrea Nahles für eine vertiefte Zusammenarbeit in der Europäischen Union aus. „Wir brauchen mehr Europa, und zwar jetzt“, sagte sie. Es gehe um die Zukunft eines friedlichen, weltoffenen und wirtschaftlich starken Europas, während es von innen und außen angegriffen werde. Nahles sagte, Deutschland müsse mit Frankreich „Lokomotive“ sein bei Reformen etwa in der Währungsunion.
FDP-Chef Christian Lindner warf der Bundesregierung vor, beim Thema Brexit genau so paralysiert zu sein wie die Regierung in London. "Wir müssen uns darauf einstellen, dass es zu einem harten Brexit kommt", so Lindner. Es fehle ein Brexit-Beauftragter, der sich darum kümmere, dass der Finanzplatz Frankfurt am Main vom Umzug bestimmter Einrichtungen profitiere.
Für Linke-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht sind die Brexit-Verhandlungen nicht das größte Problem der EU: „Europa ist in schlechter Verfassung. Die soziale Ungleichheit wächst und die Lebensunsicherheit, die Zukunftsangst von immer mehr Menschen nimmt zu.“ Es seien die „unsozialen Vorgaben der EU-Verträge“ und die „dreisten Politikdiktate aus Brüssel und Berlin“, die dazu beitrügen. Als Ergebnis hätten anti-europäische Kräfte leichtes Spiel.
AfD-Fraktionschefin Alice Weidel kritisierte, die EU-Kommission überschreite Kompetenzen. Ihr müssten „legislative Hoheitsrechte“ entzogen werden. Es gehe um einen „Rückbau“ der EU-Institutionen. (mit Agenturen)