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Ein ungeregelter Austritt Großbritanniens aus der EU ist seit dem Wochenende ein Stück wahrscheinlicher geworden.
© Justin Tallis/AFP

Brexit: EU bereitet sich jetzt auf No-Deal-Szenario vor

Kommissionschef Juncker will beim Gipfel am Mittwoch Pläne für ungeregelten Austritt vorstellen. Auch Kabinettsausschuss in Berlin erörtert Notfall-Szenario.

Nach dem vorläufigen Scheitern der Brexit-Verhandlungen am vergangenen Sonntag werden in der EU die Planungen für ein ungeordnetes Ausscheiden Großbritanniens aus der EU intensiviert. Die Vorbereitungen für ein so genanntes No-Deal-Szenario seien angesichts der Entwicklung vom vergangenen Wochenende „auf der Tagesordnung nach oben gerutscht“, hieß es am Dienstag aus EU-Diplomatenkreisen.

Am vergangenen Wochenende hatte es in Brüssel zunächst nach einem Durchbruch bei den Verhandlungen über das geplanten Austrittsabkommen ausgesehen. Der Londoner Brexit-Minister Dominic Raab hatte dann aber überraschend bei einem Treffen mit dem Brüsseler Chefunterhändler Michel Barnier klar gemacht, dass London die EU-Lösung zur künftigen Grenzregelung auf der irischen Insel nicht akzeptieren kann. Für den Eventualfall, dass sich die EU und Großbritannien langfristig nicht über ihre künftigen Handelsbeziehungen einigen können, beharrt die EU auf einem Verbleib Nordirlands im europäischen Binnenmarkt. So soll verhindert werden, dass in der einstigen nordirischen Bürgerkriegsregion wieder eine „harte Grenze“ entsteht. Da die britische Premierministerin Theresa May die Notfall-Lösung der EU unter dem Druck ihres Koalitionspartners von der nordirischen Protestanten-Partei DUP ablehnt, droht ein Scheitern der gesamten Gespräche über die geplante Austrittsvereinbarung mit der EU.

Verhandlungen mit May sind in Brüssel nicht geplant

An diesem Mittwochabend will May beim EU-Gipfel in Brüssel zunächst erklären, woran es aus ihrer Sicht bei den Verhandlungen hakt. Anschließend ist ein Abendessen ohne May im Kreis der verbleibenden 27 EU-Staaten geplant. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker will dabei erläutern, wie weit die Notfall-Pläne der EU für den Fall eines Scheiterns der Gespräche gediehen sind. Verhandlungen mit May seien bei dem Treffen nicht geplant, hieß es am Dienstag aus Regierungskreisen in Berlin.

Vor dem EU-Gipfel will Kanzlerin Angela Merkel (CDU) an diesem Mittwoch eine Regierungserklärung im Bundestag abgeben. Am Montag hatte sie gesagt, dass man auf alle verschiedenen Szenarien vorbereitet sein müsse. Im Kanzleramt hieß es, dass für den Fall eines ungeordneten EU-Austritts Großbritanniens auch jenseits möglicher gesetzlicher Vorkehrungen unter anderem Dinge wie die zusätzliche Einstellung von Zollbeamten und das Aufenthaltsrecht britischer Staatsangehöriger zu klären seien. Mit derartigen Fragen werde sich auch der Kabinettsausschuss zum Brexit an diesem Mittwoch befassen.

Unklar ist indes, ob der überraschende Rückschlag bei den Verhandlungen vom Sonntag zum Theaterdonner der britischen Seite gehört oder ob die Gespräche wegen des Irland-Problems tatsächlich endgültig in der Sackgasse stecken. Nach der Einschätzung des EU-Chefverhandlers Barnier sind zwar bis zu 85 Prozent des Austrittsabkommens unter Dach und Fach. Allerdings bleibt die Lösung des Irland-Problems weiter offen. Weil beim EU-Gipfel keine Fortschritte bei den Gesprächen über das Abkommen erwartet werden, richten sich die Hoffnungen auf einen weiteren möglichen Sondergipfel im November.

Barnier sagte am Dienstag in Luxemburg, dass man die Gespräche mit London in den nächsten Wochen ruhig und ernsthaft weiter führen werde, um zu einer umfassenden Lösung zu kommen.

In den Berliner Regierungskreisen hieß es, das Austrittsabkommen sollte im Interesse von Bürgern und Unternehmen möglichst zügig vereinbart werden. Das informelle Ziel sei es stets gewesen, im November die Vereinbarung so weit abzuschließen, dass sie anschließend vom britischen Unterhaus und dem EU-Parlament ratifiziert werden könne. „Da sind wir noch im Zeitplan“, hieß es.

Tusk: Brexit ohne Abkommen "wahrscheinlicher denn je"

Dass aber ein Scheitern der Brexit-Gespräche weniger denn je auszuschließen ist, machte EU-Ratschef Donald Tusk in seinem Einladungsschreiben für den EU-Gipfel deutlich. Ein Brexit ohne Abkommen sei „wahrscheinlicher denn je“, schrieb Tusk. Der EU-Austritt Großbritanniens ist am 29. März 2019 geplant. Falls sich beide Seiten auf ein Austrittsabkommen einigen sollten, würde sich für die Wirtschaft und die Bürger zunächst nichts ändern. Großbritannien würde dann im Rahmen einer Übergangsregelung bis Ende 2020 in der EU-Zollunion bleiben. Bei einem No-Deal-Szenario würden indes mit dem Austritt sofort Zollkontrollen zwischen der EU und Großbritannien fällig werden.

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