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EVP-Fraktionschef Manfred Weber will EU-Kommissionspräsident werden.
© dpa

Vor der Europawahl: Der Kampf um die Spitzenkandidaten für Europa ist entbrannt

Vier Männer haben derzeit die besten Chancen: Konservative und Sozialdemokraten wollen bald entscheiden, wer sie in die Europawahl führt.

Es ist ein sehr deutsches Wort. Es heißt „Spitzenkandidat“. EU-Diplomaten und Parlamentarier aus Spanien und Italien nehmen es in den Mund, und auch die Franzosen sprechen von „le Spitzenkandidat“. Es geht darum, wer die Parteienfamilien der Konservativen und der Sozialdemokraten in der EU in die Europawahl im nächsten Mai führt.

Kurz vor Ende der offiziellen Bewerbungsfrist sind es vier Männer, die dabei Chancen haben. Bei der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) haben der CSU-Vizechef Manfred Weber (CSU) und der Finne Alexander Stubb ihre Bewerbung für die Spitzenkandidatur angemeldet. Im Lager der Sozialdemokraten haben der Niederländer Frans Timmermans und der Slowake Maros Sefcovic ihren Hut in den Ring geworfen. Das Drehbuch des EU-Parlaments sieht vor, dass einer von ihnen die Nachfolge von Jean-Claude Juncker antritt, der Ende des nächsten Jahres als EU-Kommissionschef aufhört. Ob es tatsächlich so kommt, ist schwer vorauszusagen. Am Ende mischen nämlich auch die Staats- und Regierungschefs bei der wichtigsten Personalie, die die EU zu vergeben hat, mit.

Vermutlich könnte am Ende der EVP-Spitzenkandidat bessere Aussichten haben, auf Vorschlag der Hauptstädte vom Parlament gewählt zu werden: Es wird damit gerechnet, dass die EVP zwar Federn lassen, aber trotzdem wieder die stärkste Fraktion im EU-Parlament stellen wird. Auf etwa 180 von insgesamt 705 Sitzen spekuliert die EVP.

Als Favorit bei den Christdemokraten gilt Manfred Weber

Jetzt geht es erst einmal darum, wer überhaupt Spitzenkandidat bei den beiden großen europäischen Parteienfamilien wird. Bei Parteitagen im November und Dezember wollen Konservative und Sozialdemokraten jeweils entscheiden, wer als Frontmann antritt. Als Favorit bei den Christdemokraten gilt Manfred Weber. Der 46-Jährige führt die EVP-Fraktion im Europaparlament. Hier hat er sich einen guten Ruf erworben, seine Position in der 219 Mitglieder umfassenden Fraktion ist unangefochten. Er verfügt über prominente Unterstützer wie den elsässischen EVP-Chef Joseph Daul, Kanzlerin Angela Merkel sowie EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger. Alexander Stubb, sein Gegenkandidat, ist derzeit Vize in der Europäischen Investitionsbank (EIB). Sein Vorteil: Anders als Weber war der 50-Jährige auch schon einmal Regierungschef.

Beobachter schätzen, dass Weber beim entscheidenden Wahlparteitag Ende des Jahres bis zu zwei Drittel der Stimmen bekommt. Welches Kriterium für die Delegierten aber beim EVP-Konvent in Helsinki, bei dem Anfang November die Entscheidung fällt, letztlich den Ausschlag gibt, ist schwer vorauszusagen. Bei Spitzenjobs in Europa sind Sprachkenntnisse immer ein wichtiges Pfund. Weber ist hier nicht so gut aufgestellt, er spricht passabel Englisch, aber kein Französisch. Stubb hingegen ist polyglott. Der Finne verweist auch gern darauf, dass er Extrem-Ausdauersportler ist. Ein deutscher Abgeordneter glaubt allerdings, dass all dies letztlich für den früheren Ministerpräsidenten auch kontraproduktiv sein könnte: „Die Delegierten, die nicht so sprachbegabt sind und nicht regelmäßig einen Marathon rennen, werden ihn womöglich als zu glatt, zu gut, zu streberhaft empfinden.

Bei den Sozialdemokraten rangeln zwei amtierende Kommissare um den Spitzenkandidaten-Posten. Der 52-jährige Slowake Sefcovic und der 57-jährige Niederländer Timmermans gehören beide zu Junckers Kommissionsteam. Zwar kann sich Timmermans im direkten Vergleich mit Sefcovic als Favorit fühlen. Beide haben aber das Manko, dass die sozialdemokratischen Parteien in ihren Heimatländern in den vergangenen Jahren massiv an Zustimmung der Wähler verloren haben.

In der SPD wird um die Bundesliste gerungen

Das gilt auch für Deutschland, wo SPD-Chefin Andrea Nahles inzwischen zwar mit Justizministerin Katarina Barley eine Frau gefunden hat, die die Bundesliste zur Europawahl anführen soll. Barley soll nun den SPD-Wahlkampf aufpeppen.

Gebrauchen könnte es die Partei angesichts der gegenwärtigen Umfragewerte in jedem Fall. Bei einer Befragung von Infratest dimap kam die SPD Ende der vergangenen Woche nur noch auf 15 Prozent. Bei einem derartigen Ergebnis würden die Sozialdemokraten lediglich 15 Abgeordnete nach Straßburg schicken. Gegenwärtig sind es 27.

Die 27 Abgeordneten verdankt die SPD dem 27-Prozent-Ergebnis, das die Partei bei der letzten Europawahl 2014 noch erzielen konnte. Das Resultat war überdurchschnittlich gut, weil damals der Frontmann Martin Schulz auch über die nationalen Grenzen hinaus Wahlkampf machte. Die Auftritte von Schulz, der als europaweiter Spitzenkandidat der Sozialdemokraten antrat, brachten der SPD seinerzeit drei bis vier zusätzliche Prozentpunkte, schätzen Beobachter.

Wegen der veränderten Ausgangslage wird nun die Abstimmung Ende Mai vor allem für die ostdeutschen SPD-Europaabgeordneten zur Angstwahl. Aufgrund der schwachen Mitgliederzahlen der Landesverbände im Osten finden sie sich in der Regel auf den hinteren Listenplätzen wieder. Bis zum 18. November muss der SPD- Vorstand einen Vorschlag für die Zusammenstellung der Bundesliste vorlegen. Aber schon jetzt ist ein heftiges Gerangel um die vorderen Plätze entbrannt. Aus der Ost-SPD kommt der Vorschlag, dass jedes Bundesland ein „Grundmandat“ erhält – also ein gesichertes Ticket nach Straßburg.

Dies würde aber darauf hinauslaufen, dass mitgliederstarke Landesverbände wie Nordrhein-Westfalen auf vordere Plätze verzichten müssten. Dass es so kommt, gilt als wenig wahrscheinlich. Die endgültige Entscheidung über die Platzierungen fällt am 9. Dezember, wenn sich 200 Delegierte im Willy-Brandt-Haus in Berlin versammeln. Überraschungen sind bei der Abstimmung über die Liste nicht ausgeschlossen – inklusive Kampfkandidaturen von Bewerbern aus Ostdeutschland, die auf aussichtslosen Listenplätzen stehen.

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